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Prostitution: Warum Corona das Leben der Prostituierten noch härter macht

Prostitution

Warum Corona das Leben der Prostituierten noch härter macht

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    Die Corona-Pandemie hat die prekäre Situation vieler Prostituierter noch weiter verschlechtert.
    Die Corona-Pandemie hat die prekäre Situation vieler Prostituierter noch weiter verschlechtert. Foto: Boris Roessler, dpa (Symbolbild)

    Mimi hat es überall getan. Im Bordell, im Hotel, im Internet, in Studios und privaten Wohnungen. Nur auf dem Strich, da war sie nicht. Mimi heißt nicht wirklich Mimi. Sie ist Mitte 30 und hat fünf Jahre lang ihren Körper verkauft. An der Uni hatte sie angefangen mit älteren Männern. Sie wollten ihren jungen Körper, sie brauchte deren Geld. Mimi hatte auch andere Namen, die sie den Männern nannte. Vielleicht Kathi oder Sophie. Kurze blonde Haare hat sie, ist nicht groß, nicht klein. So beschreibt sie sich selbst am Telefon. „Ich bin unscheinbar. Ich könnte eine Mutti vom Spielplatz sein.“ Die Männer hätten ihr gesagt, sie habe ein freundliches Wesen.

    Mimi hat aufgehört, Ende 2019. Bevor Corona über das Land kam. Die Pandemie ist auch in das Geschäft mit dem gekauften Sex gefahren. Die Bordelle sind zu, Prostituierte dürfen nicht arbeiten. Der Trieb, das Verlangen hören deshalb nicht auf. Man kann weiter Sex kaufen. Mimi hilft heute Frauen, die aus der Prostitution raus wollen. Sie tut das bei dem Verein Sisters („Schwestern“), der in mehreren Städten aktiv ist, auch in Berlin, wo Mimi lebt. Es scheint auf den ersten Blick wie eine gute Gelegenheit für einen Ausstieg. Es ist sowieso nicht erlaubt. Doch so einfach ist es nicht. Die Zuhälter wollen weiter Geld verdienen und setzen die Prostituierten unter Druck. Doch die können sich nicht einfach arbeitslos melden und Stütze beantragen. Die meisten Frauen kommen aus Osteuropa, sind in der Hand der Zuhälter und würden sich in der deutschen Sozialstaatsbürokratie verirren. Sie müssten anders Geld verdienen, nur wie? „Sie stellen sich die eine Frage: Wer stellt denn überhaupt eine Nutte ein?“, sagt Mimi.

    Die Preise in der Prostitution sind durch Corona gefallen

    Corona hat das Leben von Prostituierten noch härter gemacht. In der ersten Welle blieben die Kunden aus, weil sie sich nicht mit dem Virus anstecken wollten. Um doch irgendwie an Geld zu kommen, gingen sie mit den Preisen runter, um die Männer anzulocken, deren Lust größer war als die Angst vor Ansteckung. Die Gesetze des Marktes wirken sehr effizient. Die Preise für Sex sind nicht wieder nach oben gegangen, was die Not der Prostituierten größer macht. Ähnliche Probleme zeigen sich auch in der Region.

    Die Diakonie als einer der großen Sozialverbände hält die Lage für alarmierend. „Viele von Ihnen sind regelrecht in ein schwarzes Loch gefallen. Sie sind völlig mittellos, prostituieren sich im Verborgenem weiter und müssen sich auf vieles einlassen“, sagt die Vorständin für Sozialpolitik, Maria Loheide. In ganz Deutschland haben sich 40.000 Prostituierte angemeldet, wie es das Gesetz vorsieht. Tatsächlich gibt es wohl zehnmal mehr. So geht eine immer wieder genannte Schätzung. Wie viele es wirklich sind und wie sich die Pandemie auf das Sex-Geschäft ausgewirkt hat, weiß niemand. Vielleicht ist es kleiner geworden, verschwunden ist es nicht.

    Die Diakonie fordert einen runden Tisch für Prostitution

    Loheide fordert die Einberufung eines runden Tisches zur Prostitution, um den Frauen, aber auch den wenigen Männern und Transsexuellen zu helfen. Die Bundesregierung, Vertreter der Länder, die Polizei, der Gesundheitsdienst, Sozialverbände und Prostituierte selbst sollen zusammenkommen. Die dringlichste Forderung Loheides ist, die Sozialhilfe und die Krankenversicherung zu öffnen. „Corona hat das Leben vieler Prostituierter drastisch verschlechtert“, sagt Loheide. Es brauche mehr Sozialarbeiter vor Ort und vor allem mobile Teams, die dorthin gehen, wo trotz Verbot Sex verkauft wird.

    In einem Klohäuschen verrichten die Frauen ihre Arbeit

    Manche Prostituierte verrichten ihre Dienste in Klohäuschen.
    Manche Prostituierte verrichten ihre Dienste in Klohäuschen. Foto: Christian Grimm

    So ein Ort ist die Kurfürstenstraße in Berlin. Dort liegt der Straßenstrich im alten Westen der Stadt. Um Corona einzudämmen, müsste er eigentlich verwaist sein. Aber er ist es nicht, ganz im Gegenteil. „Hast Du Lust, hast Du Zeit?“, rufen einem die Prostituierten zu. Sie kommen aus Ungarn. Der Ungarnabschnitt ist der Größte. Es gibt natürlich auch die Rumäninnen und die Bulgarinnen, die Stricher und Transsexuellen. Der Strich beschränkt sich nicht nur auf die Kurfürstenstraße, sondern zieht sich über einige Nebenstraßen. Die Polizei schickt mehrmals am Tag einen Streifenwagen durch die Gegend. Dann laufen sie auseinander, die ihre Körper anbieten. Es sind junge, schöne Körper darunter, aber auch ausgezehrte und verbrauchte. Sex ist hier etwas Banales. Die Stadt hat Verrichtungsboxen aufgestellt. Das sind kleine Häuschen aus Holz. Drinnen ist ein Klo. Es stinkt nach Urin, Kondome liegen rum und Klopapier. Trotzdem schreckt das einen Mann in den 30ern nicht ab. Er verschwindet mit zwei sehr blonden Ungarinnen in engen weißen Hosen in den Verschlag. Sein Kumpel wartet draußen. Nach fünf Minuten ist der Akt vorbei, der Kunde knöpft seine Hose zu.

    „Die zwei Männer gehen jetzt bestimmt einen Döner essen“, sagt Gerhard Schönborn. Er ist ein Fels für die, die die Prostitution fertig macht. Montags steht er mit einem kleinen Stand in der Kurfürstenstraße. Es gibt Kaffee, Wasser, etwas zu essen. Aus dem wegen der Pandemie geschlossenen Treffpunkt holt er frische Kleider, wenn sie gebraucht werden. Eine zahnlose Prostituierte in rotem Kleid bittet um einen Schlafsack. Sie spricht gebrochen Deutsch, ihre Habe hat sie in einen Einkaufswagen gesteckt, den sie über die Straßen schiebt. Schönborn kann ihr dieses Mal nicht helfen. Er hat keinen Schlafsack mehr. Seit 16 Jahren hilft er Prostituierten dabei, durchzukommen oder auszusteigen. Der Mann mit den kurzen grauen Haaren ist Vorsitzender des Vereins Neustart. Schönborn kennt das Milieu. Er beobachtet, dass Corona die Position der Frauen geschwächt hat. „Trotz Verbots ist das Angebot auf der Straße groß. Die Preise sind im Keller.“

    Manche fordern Strafen für die Freier

    Drogensüchtige Frauen oder Frauen ohne Obdach machen es für zehn Euro. Der Normalpreis für Sex liegt bei 30 bis 40 Euro. So erzählt es Schönborn. Die orale Befriedigung kostet 20 Euro. „Wenn sie neu sind, kriegen die Frauen aus Osteuropa einen Zettel. Dann können sie den Freiern vorlesen, was es kostet.“ Der Helfer der Frauen ist sich einig mit der Diakonie, dass den Prostituierten jetzt schnell geholfen werden muss. Aber ihm geht es nicht weit genug: Er wünscht sich, dass Deutschland dem Vorbild von Schweden folgt. Dort werden Freier bestraft, die Sex kaufen. „Früher war ich selbst kritisch beim Sexkaufverbot. Aber es hat in Schweden die Einstellungen zur Prostitution verändert“, meint Schönborn.

    Die Ex-Prostituierte Mimi drückt es anders aus. Für sie gibt es keine gleichberechtigte Gesellschaft, wenn Menschen anderen Menschen konsumieren dürfen. Maria Loheide will die Prostitution auch soweit es geht zurückdrängen. An die Wirkung der Freierbestrafung glaubt sie nicht. Das Geschäft würde, ist sie sich sicher, einfach noch weiter in die Schattenzonen der Gesellschaft verschwinden. „Prostitution hört nicht einfach auf, wenn man sie verbietet“, sagt sie. Gerhard Schönborn, der Fels der Strichfrauen, wiegt den Kopf. Nein, ausrotten werde man die Prostitution wohl nie können – egal welche Gesetze gelten.

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