Protestcamp der Gegner steht kurz vor der Räumung
Mit einem massiven Aufgebot möchte die Polizei durchgreifen. Bei der Durchsuchung einer Garage der "Parkschützer" haben die Beamten Gegenstände sichergestellt.
Die Polizei möchte das Protescamp im Stuttgarter Schlossgarten aller Voraussicht nach am Mittwoch räumen. Die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 erwarten einen massiven Einsatz. Die Polizei hatte angekündigt, in den nächsten Tagen die illegale Zeltstadt neben dem Hauptbahnhof zu beseitigen; rund 50 Projektgegner harren dort seit Monaten aus.
Polizei rechnet mit mehr als 1000 Demonstranten
Anschließend will die Bahn gut 100 Bäume fällen und knapp 70 weitere versetzen. Die Polizei rechnet mit deutlich mehr als 1000 Demonstranten.
Die Barrikaden rund um das Zeltdorf würden notfalls mit schwerem Gerät entfernt, kündigte Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle an. Bei der letzten, deutlich kleineren Baumrodung im Schlossgarten war es am 30. September 2010 zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Weit mehr als 100 Menschen waren verletzt worden.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) - nach wie vor Gegner von Stuttgart 21 - rechtfertigte am Dienstag den geplanten Polizeieinsatz: Die Bahn als Bauherrin habe Baurecht. "Wir haben dieses Baurecht durchzusetzen." Einen Ermessensspielraum gebe es in dieser Frage nicht. Kretschmann appellierte an die Gegner, friedlich zu bleiben.
Beim umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 soll der bisherige Kopfbahnhof im Zentrum der Landeshauptstadt in eine unterirdische Durchgangsstation umgewandelt werden. Das soll mehr als vier Milliarden Euro kosten, eine neue Schnellbahnstrecke Richtung Ulm zudem knapp drei Milliarden Euro. Gegner halten das Vorhaben für unnötig und überteuert. Bei einer Volksabstimmung im November hatte sich eine deutliche Mehrheit der Baden-Württemberger dagegen ausgesprochen, den Landeszuschuss zurückzuziehen.
Verkehrsminister Hermann hatte die Gegner des Bahnprojekts bereits am Montag zur Mäßigung aufgerufen. "Man muss mal ein bisschen abrüsten", sagte der Minister in Stuttgart. Er reagierte damit auf die "Parkschützer", die die bevorstehende Baumrodung im Schlossgarten als "Kriegserklärung" bezeichnet hatten. Weiter sagte der Minister: "Wenn man das als Krieg bezeichnet, was ist dann wirklich Krieg?" Er zeigte aber auch Verständnis dafür, dass mancher langjährige Kämpfer gegen das Milliardenvorhaben das Fällen alter Bäume als Frevel empfinde.
Polizisten stellen einen Bezinkanister sicher
Das Verwaltungsgericht Stuttgart lehnte einen Eilantrag von zwei Gegnern des Milliardenprojekts Stuttgart 21 ab. Damit wollten Hannes Rockenbauch und Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis erreichen, dass die geplanten Rodungen gestoppt werden und das Land von einem Polizeieinsatz absieht. Der Erhalt der gesunden Bäume im Stuttgarter Schlossgarten sei im Schlichterspruch von Heiner Geißler festgelegt worden, argumentieren die beiden Antragsteller in der vergangenen Woche. Die 5. Kammer sah die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung aber nicht als erfüllt an. Dem Schlichterspruch komme keine rechtsverbindliche Wirkung zu, teilte eine Gerichtssprecherin mit. Gegen den Beschluss (5 K 405/12) kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde bei Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim eingelegt werden.
Beamte der Kriminalpolizei durchsuchten am Montagnachmittag eine Garage der "Parkschützer". Dabei stellten sie mehrere Benzinkanister mit einer bisher noch unbekannten Flüssigkeit sicher. Wie eine Polizeisprecherin am Dienstag mitteilte, überprüfen die Ermittler nun, ob die vier Benzinkanister einem 19-Jährigen gehören, der bis Donnerstag in Gewahrsam genommen wurde. Er wird verdächtigt, sich an der Herstellung von Molotowcocktails beteiligt zu haben. Bei der Razzia am Sitz der Stuttgart-21-Gegner zogen die Ermittler weitere "mögliche Beweismittel" ein. Details hierzu wurden nicht bekanntgegeben. Der 19-Jährige ohne Wohnsitz hatte das "Parkschützer"-Büro als offizielle Adresse angegeben. Die "Parkschützer" geben an, den Inhalt der Benzinkanister zum Betrieb eines Stromaggregats zu verwenden.
CDU-Generalsekretär Geißler kritisiert die Bahn
Unterdessen zeigte sich die Bahn verärgert über die Kritik des Stuttgart-21-Schlichters Geißler an den geplanten Baumfällarbeiten. Projektsprecher Wolfgang Dietrich sagte, Geißler müsse sich darüber im Klaren sein, dass er mit seinen Vorwürfen in dieser kritischen Phase radikale S21-Gegner aufstacheln könnte.
Der frühere CDU-Generalsekretär Geißler hatte der Bahn in einem Interview vorgeworfen, sie halte sich nicht an die Vorgaben der Schlichtung. Die Bahn fälle gesunde Bäume aus rein finanziellen Gründen. Den Grünen in der Landesregierung warf der Schlichter den Bruch von Wahlversprechen vor. Darauf reagierten wiederum die Südwest-Grünen allergisch. Das Votum der Bürger bei der Volksabstimmung für den Weiterbau von S21 werde akzeptiert. Allein die Bahn habe es jetzt in der Hand, wie es im Schlossgarten mit den Bäumen weiter gehe.
Hermann betonte, auch wenn die Gegner glaubten, das Ergebnis der Volksabstimmung sei aufgrund falscher Informationen zustande gekommen, sei das kein Grund, der Abstimmung die Legitimität abzusprechen. "Am Volksentscheid nehmen Kluge und Dumme, Wissende und Uninformierte teil - alle dürfen abstimmen." Den Kritikern der Volksabstimmung schrieb er ins Stammbuch: "Wenn man nicht akzeptieren will, dass die Mehrheit einem widerspricht, dann bleibt man besser bei elitären Systemen."
Polizei sperrt Straße beim Hauptbahnhof
Hermann appellierte an die Bahn, mit der Rodung zu warten, bis alle rechtlichen Fragen geklärt seien. Vor allem bei der Anbindung der Neubaustrecke an den Flughafen wünscht sich Hermann eine neue Diskussion. Die Pläne der Bahn müssten im Zuge eines Faktenchecks wie bei der S21-Schlichtung geprüft werden. Dazu müssten drei bis vier Varianten nebeneinandergestellt werden.
Vor der Räumung des Zeltcamps hat die Polizei erneut eine Straße beim Hauptbahnhof in Stuttgart dicht gemacht. Seit Montagnachmittag sei die Zufahrtsstraße zum Schlossgarten mit Gittern versperrt, teilte eine Sprecherin der Polizei am Dienstag mit. Bis auf weiteres bleibe Autofahrern und Fußgängern der Zugang dorthin verwehrt. Wann der Verkehr wieder freigegeben werde, sei noch nicht absehbar. Im Laufe des Dienstags wollte die Polizei zudem Geräte hinter die Absperrung bringen. Dies ist Teil der Vorbereitungen für den Polizeieinsatz im Schlossgarten. dpa
Die Diskussion ist geschlossen.