Zehn Menschen hatten wir vor der Bundestagswahl in einer Serie nach ihren Erwartungen und Hoffnungen gefragt. Nun starten die Koalitionsverhandlungen. Deshalb sollen die Wählerinnen und Wähler erneut zu Wort kommen. Was erwarten sie sich von der neuen Bundesregierung?
Andreas Magg, Sontheim, betreibt einen Einödhof im Unterallgäu: „Die beiden großen Verlierer der Wahl wollen jetzt also gemeinsam regieren? Ganz ehrlich, da sehe ich eher schwarz für die Zukunft. Ich bin auch irritiert davon, wie schon wenige Tage nach der Wahl alle möglichen Positionen aus dem Wahlkampf offenbar nichts mehr wert sind. Plötzlich ist Friedrich Merz doch offen für eine Reform der Schuldenbremse. Und die SPD spuckt auch schon wieder große Töne, was sie alles durchsetzen will, obwohl sie doch am Sonntag ein Desaster erlebt hat. Die Wähler haben klar gesagt, was sie wollen. Sie wollen eine andere Energiepolitik. Sie wollen, dass der Staat nicht mehr ausgibt, als er einnimmt, anstatt unseren Kindern immer neue Schulden zu hinterlassen. Und sie wollen eine Veränderung in der Migrationspolitik, und da glaube ich eben nicht, dass Merz seine großen Versprechen einlösen wird.“

Christine Rußwurm-Domek, Fraßdorf, Flüchtlingshelferin und CSU-Ortsverbandschefin: „Mich beruhigt es, dass wir eine aus der konservativen Mitte geführte Bundesregierung bekommen. Doch zugleich halte ich die Formulierung von Markus Söder für zutreffend, dass es jetzt um die ,letzte Patrone der Demokratie’ geht, um ein weiteres Erstarken extremer Kräfte zu verhindern. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sich nichts ändert, droht die AfD bei der nächsten Bundestagswahl auch in Westdeutschland stärkste Partei zu werden. Das Wichtigste für die Zufriedenheit in der Gesellschaft ist, dass es wirtschaftlich wieder bergauf geht. Dafür muss der Mittelstand massiv von Bürokratie entlastet werden. Wir brauchen weniger Regelwut und mehr Vertrauen und mehr Freiraum für die Unternehmen. Der Sozialstaat muss gerechter und zielgenauer werden, gerade, wenn es um das Bürgergeld, aber auch um die Zuwanderung geht. Wir müssen unsere Grenzen besser im Auge behalten und nicht aufenthaltsberechtigte Menschen zurückführen. Das sollte auch für Menschen aus der Ukraine gelten, sollte sich die Lage dort verbessern. Wir müssen jetzt anpacken und uns dabei wieder viel mehr auf das Wesentliche konzentrieren!“

Henryk Pich, Augsburg, organisiert Hilfstransporte in die Ukraine: „Ich bin froh, dass der russische Präsident Putin im Bundestag mit der AfD nur eine Partei platzieren konnte, die seine Agenda im Ukraine-Krieg unterstützt. Ich bin zwar kein Anhänger von Friedrich Merz, habe mich aber am Wahlabend darüber gefreut, dass er sich für eine Unterstützung der Ukraine ausgesprochen hat, ohne verschwurbelte Formulierung. Was die SPD betrifft, so würde ich es begrüßen, wenn zumindest die Protagonisten mit einer gewissen Nähe zu Positionen des Bündnisses Sahra Wagenknecht in Bezug auf den Ukraine-Krieg in Zukunft keinen Einfluss auf die Partei mehr haben und ihren Ruhestand genießen. Wichtig ist auch, wie sich Europa mit Blick auf die bedrohliche Entwicklung in den USA verhält. Wir müssen endlich darauf reagieren, dass dort mit Donald Trump jemand regiert, dem nicht nur das Schicksal der Ukraine, sondern auch das von Europa völlig egal ist und der über unsere Köpfe hinweg Entscheidungen trifft. Vielleicht kann sich das als heilsamer Schock erweisen.“

Vera Schneevoigt, Mayen in der Eifel, gab ihren Job als Topmanagerin auf, um sich um ihre Eltern und Schwiegereltern kümmern zu können: „Ich bin sehr besorgt, ob des Wahlergebnisses der AfD und deren Sprache in den Runden („Wir werden sie jagen“). Gerade die große Diskrepanz des Ergebnisses zwischen Osten und Westen ist sehr ernst zu nehmen. Meine Hoffnungen und Erwartungen sind verbunden mit einer Regierungsbildung, die zügig und kompetent passiert - und jüngere Menschen in wichtigen Ämtern berücksichtigt. Außerdem erwarte ich von Friedrich Merz und seinem Team einen Prioritäten- und Kommunikationsplan zu den wichtigen Themen wie dem demografischen Wandel inklusive Betreuung und Pflege, Wohnen, Wirtschaft und zur Rolle Deutschlands in der Geopolitik. Ich finde es wichtig, dass er Trump schnell als Vertreter unserer Interessen gegenübertritt.“

Karl Braig, Kempten, Klimaaktivist: „Ich habe Angst davor, dass eine illiberale Regierung entstehen könnte, die in eine rechtskonservative Grundhaltung abknickt und Menschenrechte weniger stark gewichtet. Die SPD halte ich für nicht stark genug, um der Union Kontra zu geben. Deshalb hoffe ich jetzt auf ein Erstarken der Zivilgesellschaft, um dem entgegenzuwirken. Denn die neue Regierung müsste sich wieder mehr um Klimagerechtigkeit kümmern, das Thema ist zuletzt wieder aus dem Fokus geraten. Und es ist ein Problem, dass Reiche immer reicher werden - und andere dafür ärmer. Armut müssen wir stärker bekämpfen, genauso wie wir mehr tun müssen, um den Frieden zu sichern. Die zunehmende Militarisierung sehe ich kritisch, das Geld, das für Rüstung genutzt werden soll, würde dringend fürs Klima benötigt.“

Jasmin Nebl, Neusäß, Mutter von drei Töchtern, eine hat das Downsyndrom: „Inklusion ist für mich ein großes Thema. Ich habe selbst eine Tochter mit Beeinträchtigung und gehe für einen Verein in Schulen, um mit Klassen über das Thema und Menschen mit Behinderung zu sprechen. Und für mich ist es immer wieder ernüchternd zu sehen, wie wenige Schülerinnen und Schüler Berührungspunkte mit Menschen mit Beeinträchtigung haben. Mein Wunsch an die Bundesregierung wäre, Inklusion ernst zu nehmen, damit alle Menschen gleichberechtigt Teil der Gesellschaft sein können. Allein in Bayern leben eine Million Menschen mit sichtbarer oder unsichtbarer Behinderung. Aber ich sehe im Team Merz niemanden, der sich wirklich dafür interessiert. Und was mir dazu noch größere Sorge macht, ist die AfD. Sie ist jetzt schon so stark, wer weiß, was in 20, 30 Jahren ist. Und dann können wir unsere Tochter nicht mehr beschützen.“

Julian Saupe, Aalen, engagiert sich politisch und ist neu in die FDP eingetreten: „Ich wünsche mir, dass sich die neue Regierung auch Meinungen anhört, die nicht ihren eigenen entsprechen. Zum Beispiel beim Punkt Migration: Das ist ein großes Thema, darum sollte man sich kümmern. Aber die Regierung muss jedem zuhören, besonders denen, die sich viele Gedanken machen. Es herrscht so eine schlechte Stimmung, ein Ignorieren von anderen Meinungen würde da nicht helfen. Zudem muss die Regierung in der Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen schaffen. Zum Beispiel sollten die Unternehmen steuerlich entlastet werden, weil dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Arbeitsplätze für Arbeitnehmer attraktiver gestaltet werden. Dafür muss die Regierung finanzielle Belastungen senken.“

Manuela Walther, Kronach, hat ihren Job beim Automobilzulieferer Lear verloren: „Meine Erwartungen an die nächste Bundesregierung sind so klar wie meine Meinung zum Wahlkampf. Das peinliche Auftreten aller Parteien hat mich erschüttert und leider auch zweifeln lassen, ob wir jemals wieder auf Kurs kommen. Da aber die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, wünsche ich mir nicht nur eine schnelle und gut überlegte Regierungsbildung. Vor allem erwarte ich, dass sich die künftige Regierung ihrer Verantwortung dem Volk gegenüber wirklich bewusst wird. Und, ganz wichtig: Hört auf zu jammern, packt gemeinsam die Probleme an, sucht gemeinsam nach Lösungen und nicht nach Schuldigen. Macht Euch gegenseitig nicht schlecht, lasst die Machtkämpfe. Und inhaltlich müssen Investitionen in die Zukunft des Standortes für mich höchste Priorität haben. Ich will zurück zu einer starken Wirtschaft mit einem starken Namen - Made in Germany.“

John Tan, Neu-Ulm, ist im November den Grünen beigetreten: „Wichtig ist mir jetzt erst mal, dass sich die Regierung schnell findet und die Blauen draußen bleiben. Und dann wünsche ich mir, dass neben allen großen Problemen, die jetzt angegangen werden müssen, auch der Klimaschutz nicht hinten runterfällt. Die Regierung sollte Klimaschutz nicht als lästig ansehen, sondern ihn als Chance wahrnehmen. Die Klimakrise birgt das Potenzial für neue Technologien, es könnte sich vieles verbessern. Und technologische Entwicklungen könnten wiederum der deutschen Wirtschaft einen Vorsprung ermöglichen. Neben dem Klimathema ist mir wichtig, dass die neue Regierung Stabilität ausstrahlt. Und das geht nur, wenn die Union mit einer Stimme spricht und nicht mit zwei. Markus Söder sollte Friedrich Merz unterstützen und nicht sein eigenes Süppchen kochen.“
Anika Wassermann (Name geändert), Mering, hat zum ersten Mal gewählt: „Ich erwarte mir von der neuen Regierung hauptsächlich mehr Einbezug und Mitsprache, damit auch alle Meinungen aus der Bevölkerung berücksichtigt werden können – nicht nur die der ‚breiten Mittelschicht’. Ich habe das Gefühl, dass im Wahlkampf die jungen und die ganz alten Menschen nicht gesehen wurden. Natürlich erwarte ich auch eine höhere Verlässlichkeit der Politik allgemein und eine bessere Zusammenarbeit. Ich hoffe außerdem, dass die neue Regierung es schafft, klare Entscheidungen zu treffen und den Stellenwert von in der aktuellen Zeit minder angesehenen Berufen zu steigern, sozialen Berufen und Ausbildungsberufen zum Beispiel. Das würde in meinen Augen zu einer weniger getrennten Gesellschaft führen. Wichtig ist für mich außerdem die wirtschaftliche Stabilität auf längere Sicht in Deutschland, verbunden mit einer größeren wirtschaftlichen Sicherheit.“

Gefühlslage der Nation
Wahlen werden inzwischen mehr denn je auf den letzten Metern entschieden, und oft sind es nicht Programme, die den Ausschlag geben, sondern Stimmungen und Emotionen. Deshalb haben wir uns entschieden, in unserer Wahlserie Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um Mut, Überforderung, Glück, Hoffnung und Angst, die Menschen hinter diesen Gefühlen und um Politik. Alle Teile der Serie sammeln wir auf einer Übersichtsseite.
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