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Foto: Nicolas Carvalho Ochoa, dpa
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Demonstranten protestieren in Barcelona gegen die Pläne der Regionalregierung Kataloniens zu einer Abspaltung von Spanien.

Katalonien-Krise
10.10.2017

Bricht Spanien heute Abend auseinander?

Von Ralph Schulze

Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont will im Parlament von Barcelona die Unabhängigkeit seiner Region ausrufen. Welche Folgen dieser Schritt haben würde.

Europa schaut am heutigen Dienstag auf die spanische Region Katalonien, in der ein Unabhängigkeitskonflikt brodelt. Am Abend, ab 18 Uhr, will das katalanische Parlament zusammentreten. Laut offizieller Tagesordnung, damit der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont „über die aktuelle politische Lage“ informieren kann. Es wird nicht ausgeschlossen, dass das Parlament, in dem die Separatisten eine knappe absolute Mehrheit haben, im Anschluss an Puigdemonts Rede eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verabschiedet. Die wichtigsten Fakten zur Katalonienkrise

Hat Katalonien das Recht, einseitig die Unabhängigkeit zu erklären?

In der Charta der Vereinten Nationen ist zwar von der „Selbstbestimmung der Völker“ die Rede. Ein Recht auf einseitige Abspaltung lässt sich daraus jedoch nur in extremen Ausnahmefällen ableiten. Zudem steht diesem Selbstbestimmungsrecht das Recht eines jeden Staates gegenüber, seine territoriale Integrität zu verteidigen und separatistischen Bestrebungen entgegenzutreten. Nach der vorherrschenden Interpretation des Völkerrechts gibt es dieses Recht zur Sezession nur, wenn ein Volk massiv unterdrückt wird, wie es zum Beispiel im früheren Jugoslawien der Fall war. Das EU-Mitglied Spanien gilt jedoch als demokratischer Staat. Und die Menschenrechte in der spanischen Region Katalonien werden nach einhelliger Einschätzung der internationalen Staatengemeinschaft nicht systematisch unterdrückt. Auch wenn die Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit dies anders sehen. Deswegen muss sich auch Katalonien an Spaniens Verfassung halten, wonach Volksabstimmungen vom Staat genehmigt werden müssen. Spaniens Regierung wie auch das spanische Parlament lehnen jedoch ein Unabhängigkeitsreferendum ab.

Wie wird Spaniens Regierung auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung reagieren?

Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy hat angedroht, dass der spanische Staat mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates“ auf eine unilaterale Abspaltung antworten wird. Zu den möglichen Schritten gehört laut Rajoy, dass die Zentralregierung in Madrid befristet die politische Kontrolle in Katalonien übernimmt, die dortige Regionalregierung absetzt und dann Neuwahlen ansetzt. Zudem könnte Spaniens Regierung den nationalen Notstand ausrufen, mit dem die Befugnisse von Regierung, Polizei und Militär ausgeweitet und die Bürgerrechte, wie etwa das Demonstrations- und Streikrecht, eingeschränkt werden. Der offene Rechtsbruch der katalanischen Regierung könnte auch mit einer Anklage der Verantwortlichen vor Gericht enden. Strafrechtliche Ermittlungen wegen Rechtsbeugung, Ungehorsams, Veruntreuung und Rebellion laufen bereits.

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Welche konkreten Auswirkungen hätte eine einseitige Unabhängigkeitserklärung?

Da weder Spanien noch die Europäische Union die Abspaltung anerkennen würde, hätte ein solcher Schritt zunächst einmal keine direkten rechtlichen Auswirkungen. Katalonien würde weiterhin zum spanischen Staatsgebiet und zur Europäischen Union gehören. Gleichwohl würde eine unilaterale Abspaltung eine schwere Krise provozieren, deren Ausgang nicht durchweg abzuschätzen ist: Die politischen Spannungen zwischen Barcelona und Madrid würden sich verschärfen, und der tiefe Riss in der katalanischen Gesellschaft würde sich vertiefen. Auch eine Eskalation der angespannten Stimmung auf Kataloniens Straßen, auf denen derzeit täglich Demonstrationen für oder gegen die Unabhängigkeit stattfinden, ist nicht ausgeschlossen. Ein solches Szenario dürfte zugleich nicht ohne Auswirkungen auf den Tourismus, wichtiges Wirtschaftsstandbein Kataloniens, bleiben. Seit Anfang Oktober sind die Hotelbuchungen nach Angaben der Branche bereits um rund 20 Prozent eingebrochen.

Würde ein unabhängiges Katalonien weiterhin zur EU gehören?

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Zusammenstöße beim Referendum in Katalonien
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Mit Gummigeschossen ging die spanische Polizei gegen Demonstranten und Befürworter des Referendums in Katalonien vor.

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Hunderte Menschen wurden bei den Konflikten verletzt.

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Viele Menschen kamen und warteten vor den Wahllokalen, die die katalonische Regierung bestimmt hatte. Die spanische Zentralregierung hatte das Referendum abgelehnt.

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Einigen Katalanen gelang die Abgabe ihrer Stimme.

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Viele Wahllokale wurden von der Polizei blockiert.

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Menschen singen als Ausdruck ihres Protests katalanische Lieder.

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Viele Menschen bejubeln das Referendum. Es ist nicht klar, ob es wirklich eine Mehrheit für die Abspaltung gibt.

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Nationalpolizisten versuchten in Wahllokalen, Urnen mit abgegebenen Stimmen zu beschlagnahmen.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

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Das Ausmaß der Polizeigewalt zeigt sich in Bildern.

Sollte es in der Zukunft einmal zu einer einvernehmlichen Unabhängigkeitserklärung kommen, die von Spanien und der EU anerkannt wird, müsste ein katalanischer Staat die Aufnahme in die EU beantragen. Denn die bisherige Rechtsposition der EU-Kommission ist, dass Katalonien mit einer Unabhängigkeit von Spanien zunächst einmal aus der Union ausscheiden würde. Mit dem Ende der EU-Mitgliedschaft würde Katalonien auch die Eurozone verlassen – und den Binnenmarkt. Einer Aufnahme Kataloniens müssten alle EU-Mitglieder zustimmen. Die heutige Position der spanischen Regierung ist, dass sie eine EU-Mitgliedschaft Kataloniens nicht akzeptieren würde.

Wie sind die Mehrheitsverhältnisse in Katalonien?

Hinsichtlich der Unabhängigkeit Kataloniens ist die Bevölkerung der Region gespalten. Im katalanischen Parlament haben die Unabhängigkeitsbefürworter vor zwei Jahren mit 47,8 Prozent der Wählerstimmen eine knappe absolute Mehrheit der Mandate errungen. Bei der letzten offiziellen Erhebung der katalanischen Regierung von Juli 2017 sprachen sich aber nur 41 Prozent der Befragten für eine Abspaltung und 49 Prozent dagegen aus. Das brutale Vorgehen der spanischen Polizei am Tag des illegalen Referendums sorgte jedoch auch bei Unabhängigkeitsgegnern für Empörung und könnte dem Lager der Separatisten Zuwachs beschert haben. Bei dem vom spanischen Verfassungsgericht verbotenen Referendum hatten nur 43 Prozent der Wahlberechtigten mitgemacht, die prospanischen Parteien hatten die Abstimmung boykottiert. 90 Prozent der teilgenommenen Wähler stimmten am 1. Oktober mit Ja. Doch das Ergebnis gilt nicht als repräsentativ und wird weder von Spanien noch von der EU anerkannt. Unabhängig davon zeigen alle Umfragen in Katalonien, dass sehr wohl eine große Mehrheit der Bevölkerung dafür ist, dass in einem offiziellen regionalen Volksentscheid – ähnlich wie 2014 in Schottland – über die Zukunft Kataloniens verbindlich abgestimmt werden soll.

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