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Olaf Scholz in Brandenburg: Klare Kante oder Nerven verloren?

Debatte

Klare Kante oder Nerven verloren: Hat sich Olaf Scholz im Ton vergriffen?

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    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht während der Landesvertreterversammlung der SPD.
    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht während der Landesvertreterversammlung der SPD. Foto: Monika Skolimowska, dpa

    Wer Ruhe sucht, begibt sich in die Berge oder ans Meer. Bundeskanzler Olaf Scholz machte sich am Montag an die Ostsee auf, dienstlich zwar, aber es war ein vergleichsweise geruhsamer Termin für den SPD-Politiker. Nachdem er am Samstag auf einem Europafest seiner Partei im brandenburgischen Falkensee noch von zahlreichen Menschen ausgebuht worden war und als Reaktion kurzzeitig die Contenance verloren hatte, kam ihm der Besuch auf der Fregatte "Mecklenburg-Vorpommern", knapp 20 Kilometer vor der Ostseeküste, gerade recht. Scholz landete mit einem Hubschrauber auf dem Schiffsdeck, umgeben nur von Soldatinnen und Soldaten, keine Störtrupps weit und breit. Über den Vorfall am Wochenende verlor der Kanzler kein Wort. Die Sache scheint für ihn abgehakt, sie könnte ihn aber noch lange begleiten. 

    Was war passiert? Scholz tritt in Falkensee auf, eine 45.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Havelland, die direkt an Berlin grenzt. Der Kanzler muss kräftig gegen den Lärm anbrüllen, der ihm während des Europafestes der SPD entgegenschallt. Es gibt einige Videos im Netz, die ihn zuerst noch lächelnd zeigen. Später dann wird der Regierungschef erkennbar sauer. "Volksverräter" wird er genannt, "Kriegstreiber". Einige schreien "Hau ab, hau ab", andere "Frieden schaffen ohne Waffen".

    Ist Bundeskanzler Scholz über das Ziel hinausgeschossen?

    Die Zwischenrufe kommen von Männern und Frauen, Junge wie Alte äußern ihren Unmut über die Ukraine-Politik der Bundesregierung. Der Kanzler kontert: "Kriegstreiber ist Putin. Er ist mit 200.000 Soldaten in die Ukraine einmarschiert", ruft er ins Mikrofon. "Er hat das Leben seiner eigenen Bürger riskiert für einen imperialistischen Traum. Putin will die Ukraine zerstören und erobern, und er hat noch andere im Blick. Das werden wir als Freiheitsfreunde, als Demokraten, als Europäer nicht zulassen." Und dann sagt er noch, der Satz verrutscht ihm ein wenig: Putin sei der Kriegstreiber, der "hier von euch ausgeschrien" werden müsste, "wenn ihr irgendeinen Verstand in den Hirnen hättet".

    Der Satz mit dem Verstand und den Hirnen ist in zweierlei Hinsicht auffällig. Erstens: Ein Regierungschef sollte wohl akzeptieren, dass nicht alle Menschen seiner Meinung sind. Seinen Kritikerinnen und Kritikern auf offener Bühne zu unterstellen, sie seien ohne Verstand – also praktisch doof –, ist ein Ausbruch, der von Spitzenpolitikern so vielleicht zuletzt zu Zeiten von Franz Josef Strauß gehört wurde. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit fallen höchst unterschiedlich aus. Manche feiern Scholz für seine klare Kante, andere fanden den Auftritt indiskutabel. Scholz habe in "einer Situation, in der laut demonstriert wurde, eine laute Antwort" gegeben, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag. "Der Kanzler hat dort Klartext gesprochen, ich glaube, das ist sein gutes Recht."

    Bemerkenswert: Der Bundeskanzler duzt die Zwischenrufer

    Zweitens ist bemerkenswert, dass Scholz die Zwischenrufer mit der Anrede "ihr" und "euch" praktisch duzte. Der SPD-Politiker war auf einer Veranstaltung seiner Partei, Genossinnen und Genossen duzen sich in der Regel. Aber für den Kanzler dürfte klar gewesen sein, dass sich in der Menge vor ihm nicht nur Parteifreunde aufhalten.

    Der Vorfall weckt Erinnerungen an die Wahlkampfauftritte von Angela Merkel vor der Bundestagswahl 2017. Die damalige Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende wurde vor allem auf den Marktplätzen im Osten aufs Übelste niedergebrüllt. "Volksverräterin" war dabei noch einer der eher milden Ausdrücke. Merkel wahrte die Fassung, ging auf die Pöbeleien nicht direkt ein, mahnte aber: Andere Länder wären dankbar, "wenn sie unter so demokratischen Bedingungen demonstrieren könnten". Darüber hinaus sind zwar verbale Ausfälle von Politikerinnen und Politikern überliefert – allein die Plenarprotokolle des Bundestages sind voll davon –, aber die richteten sich üblicherweise gegen den eigenen Berufsstand oder gegen Journalistinnen und Journalisten.

    Scholz-Auftritt wurde schon jetzt im Internet instrumentalisiert

    Scholz und die Regierung werden offenbar keine Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen. "Auch die Demokratie zeigt: Es gibt Schreihälse, aber wir können lauter reden. Schönen Tag", sagte Scholz zum Abschluss seines Auftritts in Falkensee. Der Blick ins Netz zeigt indes, dass es so einfach wohl nicht ist. Rechte Medien haben Ton und Bild des Auftritts bereits so zerlegt und neu zusammengeschnitten, dass Scholz in einem besonders schlechten Licht steht: Er wirkt da wie der arrogante Machtpolitiker, der sich vom normalen Leben komplett entkoppelt hat. Das Internet vergisst nie, die Szenen werden schon jetzt instrumentalisiert. Von anderer Seite bekam der Kanzler aber auch viel Zuspruch für seine klaren Worte. Zumindest kann man ihm in diesem Moment nicht – wie sonst so oft – vorwerfen, einer Debatte leise lächelnd ausgewichen zu sein. 

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