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Foto: Sebastian Gollnow, dpa
Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Die Kunden gehen vorbei – vor allem der Modehandel ist deshalb alarmiert.

Corona-Krise
28.11.2020

Handel schlägt Alarm: Warum Modehändler eine dritte Welle fürchten

Von Michael Kerler

Plus Der Absatz von Kleidung in Schuhen bricht in der Corona-Krise ein. Die Händler warnen, dass die neuen Auflagen die Situation verschärfen.

Das Modehaus Jung ist ein alteingesessener Betrieb in Augsburg. Dorthin gehen Kunden, wenn sie ein neues Kostüm oder einen Anzug kaufen, einen guten Pullover oder eine neue Festtagsgarderobe. Doch jetzt, in der Corona-Zeit, sind die Verbraucher verunsichert, viele gehen nicht oder viel seltener Kleidung kaufen. „Am Samstag ist manchmal mehr los, häufig ist es im Modehaus aber traurig still“, berichtet Katharina Ferstl, die für das Familienunternehmen spricht und Mitgesellschafterin ist.

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Das Modehaus Jung stemmt sich zwar mit innovativen Aktionen gegen den Einbruch, trotzdem befürchtet sie rund 60 bis 70 Prozent weniger Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat, die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Viele Händler schlagen bereits Alarm. In der Branche befürchtet man, dass die neuen Corona-Auflagen der Regierung die Lage nochmals verschärfen.

In Schwaben gibt es rund 25.000 Einzelhandelsbetriebe. Diese geben rund 57.000 Beschäftigten Arbeit, berichtet die Industrie- und Handelskammer. Der Handel sei der größte Arbeitgeber der Region. Besonders wichtig ist das Weihnachtsgeschäft. „Je nach Sortiment macht ein Händler rund ein Viertel des Jahresumsatzes in den sechs bis acht Wochen rund um Weihnachten“, sagt Sprecher Thomas Schörg. Doch angesichts der Epidemie fahren viele Verbraucher aus Angst vor dem Virus nicht in die Städte. Die Gastronomie hat geschlossen, sodass nochmals weniger Menschen unterwegs sind.

Wolfgang Puff, Handelsverband Bayern hält neue Corona-Regeln für fatal

Da das Infektionsgeschehen kaum sinkt, hat die Bundesregierung in dieser Woche auch striktere Auflagen für den Handel beschlossen: Über 800 Quadratmetern Verkaufsfläche – also in Supermärkten oder große Kaufhäusern – darf sich pro 20 Quadratmetern nur noch ein Kunde aufhalten. Bei kleinen Geschäften bleibt es bei der Regelung, dass auf zehn Quadratmetern ein Kunde erlaubt ist.

Für Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern, ist die Verschärfung fatal: „Es ist ein ungutes Signal, den Kunden mit dieser Begrenzung zu vermitteln, wir hätten Corona-Probleme im Handel“, sagt er. Bis auf längere Beratungsgespräche gebe es in den Geschäften aber vor allem flüchtige Begegnungen, argumentiert Puff. „In den Geschäften ist es sicher, die Kunden können zu uns kommen“, sagt er deshalb.

Es gibt auch Bereiche, die boomen. Im Online-Handel rechnet der Handelsverband dieses Jahr mit einem satten Plus von 20 Prozent. Auch Baumärkten oder Möbelhäusern gehe es gut. Der Lebensmittelhandel befürchtet angesichts der neuen Regeln wieder Schlangen am Eingang. Im Handel mit Kleidung und Schuhen nennt der Verband aber Umsatzrückgänge von 30 bis 50 Prozent. Rund 40 Prozent weniger Kunden kämen in die Läden.

Katharina Ferstl, Modehaus Jung: Kunden haben weniger Anlässe, Kleidung zu kaufen

Katharina Ferstl vom Modehaus Jung ärgerte sich, dass ihrer Meinung nach in Politik und Gesellschaft das Verständnis für die Lage der Händler bisher fehlte. „Das Argument lautet, dass wir im Gegensatz zur Gastronomie ja öffnen dürfen. Das ist eine Farce“, sagt sie. „Denn derzeit haben deutlich weniger Kunden einen Grund, neue Kleidung zu kaufen.“ Es gebe keine Feiern, keine Bälle, wer im Homeoffice arbeitet, braucht keinen neuen Anzug. Im Modehandel habe die Ware aber praktisch ein Verfallsdatum: Ein Winterjacke sei im Frühjahr nur noch einen Bruchteil wert. „Unsere Ware ist verderblich wie Obst“, sagt Ferstl.

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Foto: Modehaus Jung
Foto: Modehaus Jung

Katharina Ferstl beklagt: Durch Corona gebe es kaum Anlässe sich neue Kleidung zu kaufen.

Die Industrie- und Handelskammer Schwaben hat Mitgliedsunternehmen im November über ihre Lage befragt. Ergebnis: 17 Prozent sehen Zahlungsprobleme, 13 Prozent eine Insolvenzgefahr. „Bei den staatlichen Hilfen fällt vor allem der Handel durchs Raster“, sagt Sprecher Thomas Schörg. Denn die Novemberhilfen des Bundes waren vor allem auf die Gastronomie gemünzt. Jetzt kommen Signale, dass der Bund das Problem erkannt hat.

Bund will Überbrückungshilfen auch dem Handel zugute kommen lassen

Die neuen Hilfen könnten auch den Geschäften zugute kommen: Neben den Dezemberhilfen in Höhe von 15 Milliarden Euro vor allem für die Gastronomie werden die Überbrückungshilfen bis Ende Juni 2021 verlängert. Das teilte das Finanz- und das Wirtschaftsministerium am Freitag mit. Das sind Zuschüsse vor allem für kleine und mittlere Firmen, die in der Corona-Krise hohe Umsatzeinbrüche haben. Für die Überbrückungshilfen sind 40 Milliarden Euro eingeplant.

Der Bund will dabei Firmen stärker helfen, die bisher keinen Zugang zu den Novemberhilfen hatten. Die Überbrückungshilfen sollen nun auch Unternehmen bekommen, die im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Umsatzeinbruch von mindestens 40 Prozent erlitten haben. Der Handelsverband Deutschland sprach von guten Nachrichten für viele Firmen, deren Existenz gefährdet sei.

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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

„Helfen würden uns Corona-Sonntage, an denen der Handel öffnen kann“, sagt Hauptgeschäftsführer Wolfgang Puff vom Handelsverband Bayern.

Doch noch etwas ärgert Handelsexperte Puff: „Die Verflachung der Auflagen zwischen den Feiertagen.“ Dann dürfen sich im privaten Kreis wieder 10 statt nur fünf Menschen treffen. „Ich habe die große Sorge, dass es zu einem entsprechenden Infektionsgeschehen kommt und wir Mitte Januar eine neue Debatte über schärfere Auflagen bekommen – dann gibt es wieder einen Leidtragenden: den Handel“, warnt er. An die Kunden appelliert Puff, Verantwortung zu zeigen: „Hören wir auf, über die Maske zu diskutieren, tragen wir sie einfach, wir haben uns daran gewöhnt. Jeder kann Abstand wahren und beitragen, das Infektionsgeschehen zu senken – dann kommen wir gut durch diese Zeit.“

FDP-Chef Christian Lindner für verkaufsoffene Sonntage

FDP-Chef Christian Lindner hatte kürzlich auch vorgeschlagen, dass Händler an zwölf Sonntagen im Jahr öffnen dürfen, um den Geschäften zu helfen. In der Vergangenheit hatte sich der Handelsverband Bayern schon für vier offene Sonntage ohne notwendigen Anlass eingesetzt. Kirchen und die Gewerkschaft Verdi sehen dies aber kritisch.

Um den Corona-Einbruch zu überstehen, würde sich Katharina Ferstl vom Modehaus Jung wünschen, dass die Kunden treu bleiben: „Es ist unrealistisch, dass keiner mehr online einkauft, aber falls man jedes dritte Teil im lokalen Handel kauft oder zu Weihnachten einen Gutschein verschenkt, ist Händlern und Mitarbeitern geholfen“, sagt sie.

Bis zum Ende der Krise aber gilt: „Wir tun, was wir können“, sagt Ferstl. Es gibt einen Online-Shop, einen großen Parkplatz, eine Frischluftanlage. Im Haus hat eine „Private Shopping Lounge eröffnet, in der ein Kunde sich beraten lassen kann, aber nicht mit anderen Kunden in Berührung kommt.

„Wir glauben an unser Haus“, sagt Ferstl. „Tradition verpflichtet.“ Das Modehaus Jung gibt es seit fast 120 Jahren. Es hat schon manche Krise miterlebt.

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