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Kommentar: Die Menschheit droht an ihrem Plastikmüll zu ersticken

Kommentar

Die Menschheit droht an ihrem Plastikmüll zu ersticken

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    Der Verpackungsmüll nimmt immer mehr zu.
    Der Verpackungsmüll nimmt immer mehr zu. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Bilder können eine große Macht ausüben. Das Foto des dreijährigen Aylan aus Syrien, der ertrunken an einem Strand in der Türkei lag, hat 2015 der Flüchtlingspolitik eine entscheidende Wende gegeben. Der Kniefall von Willy Brandt vor dem Denkmal für die ermordeten Juden in Warschau wurde 1970 weltweit als ehrliche Geste der Demut und Entschuldigung Deutschlands verstanden. Die Bilder aus Fukushima vom zerborstenen Kernkraftwerk besiegelten das Ende der Atomkraft in Deutschland.

    Auch vom Plastikmüll auf unseren Wiesen, in unseren Seen, Flüssen und Meeren, in den Mägen von Fischen, Kühen und anderen Tieren gibt es unzählige abschreckende und ekelerregende Bilder und Videos. Allein es fehlt das eine wirkungsstarke Bildmotiv, das in den Köpfen von Verpackungsingenieuren, Kunststoffproduzenten, Verbrauchern und – nicht zu vergessen – Politikern den entscheidenden Hebel umlegen könnte. So werden wir auch weiterhin Tüten, Kanister, Flaschen, Becher, Folien, Plastikmöbel produzieren. Bis irgendwann die Katastrophe eintritt und es heißt, dass unsere Körper verseucht und krank sind von all den mikroskopisch kleinen, von uns selbst produzierten Plastikteilchen, die über die Nahrungskette den Weg zurück gefunden haben. Dann ist es aber endgültig zu spät.

    In den Meeren schwimmen Unmengen an Abfall

    Es gibt Prognosen, wonach die Menge des Plastikmülls in den Weltmeeren schon bald genauso viel wiegt wie der gesamte Fischbestand. 80 Prozent aller Lebewesen sind in den Ozeanen daheim. Der Abfall bedroht sie existenziell. Stündlich werfen Menschen weltweit 675 Tonnen Müll – drei Viertel davon Plastik – in die Meere, nicht daran denkend, dass sie damit die Ernährungsgrundlage von Millionen zerstören.

    Kunststoff ist bequem: Er ist leicht, flexibel, hygienisch und extrem vielseitig als Einmalprodukt einsetzbar. Ohne ihn wäre die heutige Welt des Supermarkt- und Versandhandelkonsums nicht denkbar. Nur: Mal ganz abgesehen vom Rohstoffeinsatz ist Kunststoff auch umweltschädigend und widerspenstig gegenüber natürlicher Zersetzung. Sie dauert Jahrhunderte, bei einer PET-Flasche bis zu 450 Jahre. Das ist eine unglaublich lange Zeit für ein nur ein einziges Mal gebrauchtes Produkt. So als ob uns heute noch Konsumüberreste der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg nachhaltig belasten würden.

    Der gelbe Sack lässt uns in einem falschen Glauben

    Wenn es gut geht, werfen wir all die Flaschen, Verpackungen, Becher in den gelben Sack – milliardenfach produziert und für sich schon Plastikmüll genug – oder die gelbe Tonne anstatt in die Natur. Seit das Sammeln und Trennen 1991 (!) eingeführt wurde, gelten die Deutschen als Mülltrennungsweltmeister, hat sie aber auch im Glauben gelassen, dass ihr Abfall danach irgendwo und irgendwie recycelt oder sonst wie verwertet wird. Aus den Augen, aus dem Sinn. Und so hat sich die hierzulande produzierte Menge an Kunststoffabfall im vergangenen Vierteljahrhundert verdoppelt anstatt wie gewünscht verringert.

    Die EU zeigt sich bemüht, den Plastikmüllberg ernsthaft abbauen zu wollen. Aber sie wirkt verzagt, wenn sie sich in ihrer Not sprichwörtlich an die Strohhalme klammert, die längst Trinkhalme heißen und natürlich aus Plastik sind. Sie sollen zur Müllvermeidung verboten werden, ebenso Einweggeschirr aus Plastik. Das sind Peanuts im Vergleich zu der globalen Überlebensfrage. Die Verbraucher hätten die Macht, sehr viel mehr zu verändern. Die noch viel größere Verantwortung tragen aber alle, die Plastikprodukte herstellen, vertreiben und einsetzen. Und die Politik? Sie darf nicht warten, bis ein wirkungsmächtiges Bild auch sie zum Umdenken zwingt.

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