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Kommentar: Die schleichende Enteignung

Kommentar

Die schleichende Enteignung

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    Die schleichende Enteignung
    Die schleichende Enteignung

    Nach Lesart der Europäischen Zentralbank ist die Teuerung in Deutschland mit zuletzt 2,0 Prozent noch hinnehmbar, was viele Sparer anders beurteilen werden, sind sie doch Opfer einer kalten Enteignung.

    Anleger verlieren Geld, wenn sie für ihr Erspartes nur rund ein Prozent Zinsen bekommen und die Inflation 2,0 Prozent beträgt. Aus Angst vor einer Eskalation der Krise nehmen Sparer den Wertverlust in Kauf, weil sie ihr Vermögen bei heimischen Banken zu Recht sicher wissen. Und viele haben nicht genug Geld, um immer teurere Wohnungen und kostspielige Goldbarren zu kaufen. Auch Besitzern deutscher Staatspapiere und Lebensversicherungen zeigt ein Blick in ihre Unterlagen, wie sehr die Renditen schwinden.

    So zahlen die Bürger indirekt die Zeche für die Schuldenorgien südeuropäischer Staaten. Ökonomen haben errechnet, jeder Deutsche musste im Schnitt in den vergangenen fünf Jahren 3125 Euro für die Krise berappen, eine Summe, mit der sich ein langer, luxuriöser Familienurlaub in Griechenland oder Spanien finanzieren ließe.

    Aus Angst flüchten Deutsche zunehmend in Realwerte. Der Kauf von Waldparzellen und Diamanten sind die jüngsten Modetrends. Das Ganze trägt grotesk-apokalyptische Züge, gerade wenn man in Städten wie etwa München beobachtet, dass selbst an lauten Hauptverkehrsstraßen Grundstücke mit sündteuren Wohnungen bebaut werden, die früher kein Investor angefasst hätte. Es sind wohlhabende Menschen, oft Vertreter einer vom Schicksal begünstigten Erbengeneration, die aus Sorge, der gewonnene Wohlstand könne zerrinnen, Immobilie um Immobilie anhäufen, ja zu Kunstfreunden heranreifen und sich mit Im- und Expressionisten eindecken. Während sich diese Klientel zu helfen weiß, findet eine sozialpolitisch bedenkliche Umverteilung statt. Vereinfacht gesagt zahlen weniger begüterte Menschen in Ballungszentren höhere Mieten für reichere Bürger, die aus Angst vor der Krise ihr Geld in Steine stecken. Wer in München diese Mieten nicht mehr zahlen kann, wird an die Peripherie verdrängt.

    Wo in Innenstadtlagen noch alteingesessene Rentner und Arbeiter lebten, ziehen weitere Patentanwälte, Informatiker, Ingenieure und Unternehmensberater ein. Stadtsoziologen sprechen von Gentrifizierung.

    Auch wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland vergleichbar gering ist und viele Firmen nach wie vor solide dastehen, hat sich die Krise längst eingenistet.

    Ein kalter Luftzug weht durch die Türen des noch gut geheizten Wohlstandshauses Deutschland. Da nützt es wenig, dass Ökonomen wie der US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz prophezeien, das Risiko einer ernsten Inflation sei gering. Gefühlt ist die Lage für immer mehr Bürger bereits bedenklich. Nicht wenige Rentner glaubten, ihre Altersbezüge mit Zinseinkünften deutlich aufbessern zu können. Sie sehen sich getäuscht. Insofern mutet es naiv an, wenn der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle EZB-Präsident Mario Draghi bei seinem Besuch in Berlin als „preußischen Südländer“ feiert und verkündet, Inflationsängste seien unbegründet.

    Richtig ist vielmehr, dass der Italiener mit seiner Ankündigung, unbegrenzt Anleihen von Schuldenländern zu kaufen, Inflationsängste befeuert hat. Am Ende bleibt Ungewissheit. Keiner vermag glaubhaft zu prophezeien, wie die Euro-Krise ausgeht und ob doch eine knackige Inflation kommt. Eines legt die Erfahrung nahe: Es bedarf eines Ventils, um den Überdruck einer solchen Krise entweichen zu lassen.

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