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Foto: Marcus Merk
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Im Josefsheim Reitenbuch (Bild) und im nicht weit davon entfernten Marienheim Baschenegg im Landkreis Augsburg kam es seit 1950 immer wieder zu Übergriffen.

Ustersbach
13.04.2022

Missbrauchsopfer aus dem Landkreis Augsburg melden sich zu Wort

Von Philipp Kinne

Missbrauch und Gewalt im Umfeld der Kirche - dieses Thema steht im Mittelpunkt einer bewegenden Diskussion in Ustersbach. Auch Missbrauchsopfer waren vor Ort dabei.

Mit zitternder Stimme meldet sich ein Mann zu Wort, der zuletzt vor mehr als über 50 Jahren in Ustersbach war. In den 1960er-Jahren lebte er wenige Kilometer entfernt im Kinderheim in Reitenbuch. Gewalt, so schilderte es das ehemalige Heimkind, hätten damals alle Kinder erlebt - sexuellen Missbrauch einige. Auch er. Erst viele Jahre später kann er darüber sprechen. Während der Mann mit Tränen in den Augen von abscheulichen Taten erzählt, herrscht Stille.

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Missbrauch in der katholischen Kirche: "Diese Themen müssen auf den Tisch"

Lange wurde geschwiegen. Inzwischen ist das Leid vieler Missbrauchsopfer aus dem Umfeld der katholischen Kirche ans Licht gekommen. Nach und nach wird das Leid aufgearbeitet, Opfer angehört - und auch finanziell entschädigt. Die Pfarreiengemeinschaft Dietkirch lud ein, offen über das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche zu sprechen. Der Parkplatz vor der Ustersbacher Turnhalle war voll belegt, es musste innen nach bestuhlt werden.

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Foto: Marcus Merk
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Eines der ehemaligen Heimkinder berichtet von grauenhaften Taten. Gewalt gehörte in den 1960er-Jahren zum Heimalltag, erzählte der Mann.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung im Ustersbacher Forum sollten die Erzählungen der Opfer eigentlich nicht stehen. Doch es war zu spüren, wie sehr die Erzählungen allen Beteiligten nahe gingen.

"Diese Themen müssen auf den Tisch", sagte Gemeindereferentin Claudia Possi zu Beginn. Ihr Anliegen war es aufzuzeigen, dass die katholische Kirche das Thema Missbrauch ernst nimmt, Geschehenes aufklärt und präventiv Missbrauch in jeglicher Form verhindern möchte. Als Gast war deshalb Dominikus Zöpf, Leiter der Präventionsstelle des Bistums Augsburg, eingeladen. Auch eine Psychologin der Koordinationsstelle für Betroffene von Gewalt, im Kontext der katholischen Kirche war eingeladen, musste aber wegen Krankheit kurzfristig absagen.

Bistum will Missbrauch präventiv begegnen

Dominikus Zöpf beschäftigt sich damit, wie innerhalb der Kirche präventiv Missbrauch verhindert werden kann. Grundsätzlich entstehe Missbrauch oft dort, wo große Hierarchien und ein hohes Machtgefälle besteht - wie in Teilen der katholischen Kirche. Es sei wichtig, nicht grundsätzlich alle Mitarbeiter und Geistlichen unter Generalverdacht zu stellen, betonte er. Das Bistum arbeite aktiv daran, die Strukturen zu ändern und zu sensibilisieren. Zöpf: "Es geht darum, Grenzüberschreitungen früh zu erkennen."

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Foto: Marcus Merk
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Leiter der Präventionsstelle des Bistums Augsburg, Dominikus Zöpf (links), Gemeindereferentin Claudia Possi und Redakteur Daniel Wirsching im Gespräch.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Daniel Wirsching, Redakteur der Augsburger Allgemeinen. Der Journalist beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche. Er hoffe, sagte er zu Beginn der Veranstaltung, dass Formate wie das in Ustersbach Schule machen. Wirsching: "Es ist erschütternd, wie viele Leben durch Missbrauch kaputt gemacht wurden." Als Journalist sei es seine Aufgabe darüber zu berichten - und zu kritisieren. Wirsching: "Es gibt aber auch zu loben."Nämlich im Bereich der Prävention.

Denn der Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema Missbrauch habe sich in den vergangenen Jahren geändert, zeigte Gemeindereferentin Claudia Possi auf. Inzwischen werde Missbrauch strukturell aufgearbeitet, Täter identifiziert, das Leid der Opfer anerkannt - und entschädigt. Es gibt unabhängige Kommissionen zur Aufklärung, Anlaufstellen für Opfer und Schutzkonzepte zur Prävention.

Mitarbeiter der Pfarreien zum Thema Missbrauch sensibilisieren

Wie die aussehen, erläuterte Roland Weber, Referent für Gemeindeentwicklung im Dekanat Augsburg Land. In ersten Projektpfarreien wurden in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern der Kirche Konzepte entwickelt, um Missbrauch zu verhindern. Überall dort, wo Erwachsene mit Kindern zusammenkommen, würden Schutzmechanismen entwickelt. Bei Ausflügen, Übernachtungen oder beim Kommunionsunterricht. Weber: "Vieles haben wir bislang nicht beachtet." Es sei wichtig, alle Mitarbeiter der Pfarreien zu sensibilisieren und eine "Kultur des Miteinanders" zu schaffen. Die Kirche müsse sich wandeln.

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Viele Zuhörerinnen und Zuhörer waren der Einladung der Pfarreiengemeinschaft Dietkirch gefolgt.

Immer wieder ging es an diesem Abend darum, welche Maßnahmen die Kirche ergreift. Gleichzeitig erschütterten die Schilderungen von Missbrauchsopfern. Sie waren als Gruppe gekommen, zu Wort meldeten sich zwei der ehemaligen Heimkinder. Einer von ihnen beklagte, dass er und andere Opfer finanziell nicht ausreichend für ihr Leid entschädigt wurden. "Das ist menschenunwürdig", empörte sich der Mann, der als Kind im Kinderheim Reitenbuch aufwuchs.

Leiterin des Marienheims Baschenegg meldet sich zu Wort

Zwischen 1950 und 2004 hatten dort unter anderem Geistliche und Schwestern des Ordens der Dillinger Franziskanerinnen die Gewalttaten an Buben und Mädchen verübt. Im vergangenen Jahr wurde dazu ein Missbrauchsbericht einer unabhängigen Kommission vorgestellt. Wie berichtet stehen dabei die Heime in Reitenbuch und Baschenegg im Fokus.

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Simone Gebhard, Leiterin des Marienheims Baschenegg, meldete sich bei Veranstaltung zu Wort.

Bei der Veranstaltung in Ustersbach war auch die aktuelle Heimleiterin des Marienheims Baschenegg, Simone Gebhard, vor Ort. Auch sie zeigte sich erschüttert, angesichts der eindringlichen Schilderungen der Opfer. "Das Thema muss uns beschäftigen", sagte Gebhard. Die Zeit von damals ließe sich aber mit der heutigen nicht vergleichen. Gebhard betonte, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer und anderer Einrichtungen geschult sind, um mit dem Thema sensibel umzugehen.

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