Jesiden-Prozess: Landgericht verurteilt Vater und Bruder zu Haftstrafen
Im Berufungsverfahren um einen angedrohten Ehrenmord an einer Jesidin ist in Augsburg jetzt das Urteil gefällt worden. Der Prozess bot Einblick in eine Parallelwelt.
Die beiden Angeklagten, 45 und 24 Jahre alt, nehmen das Urteil gegen sich regungslos zur Kenntnis. Überraschend ist nicht mehr, was hier im Landgericht Augsburg passiert, sie konnten sich auf den Moment vorbereiten. Beide Männer, Jesiden mit irakischen Wurzeln, haben ein 16-jähriges Mädchen brutal schikaniert, geschlagen, erniedrigt. Das Opfer ist die Tochter des 45-Jährigen und Schwester des 24-Jährigen; aus Sicht der angeklagten Männer bestand das Vergehen des Mädchens wohl vor allem in einem Wunsch: darin, ein eigenständiges Leben führen zu wollen. Die 2. Strafkammer unter Vorsitz der Richterin Claudia Kögel verurteilt den 45-Jährigen zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und seinen Sohn zu einer Haftstrafe von drei Jahren.
Die Richterin sprach in der Begründung von einem "System der Angst", das der Patriarch der Familie erschaffen habe; das Opfer habe ein Martyrium erlitten. Das Urteil kam deshalb nicht mehr überraschend, weil es zuletzt am Landgericht ein Verständigungsgespräch zwischen Gericht, Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertreterin gegeben hatte. Alle Prozessbeteiligten einigten sich auf einen Deal; dem Opfer, das sich in einem Zeugenschutzprogramm befindet, blieb dadurch eine Aussage erspart - anders als beim erstinstanzlichen Prozess am Amtsgericht. Das Gericht stellte nach den Gesprächen dem Vater eine Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten bis drei Jahre und sechs Monaten in Aussicht, dem Bruder des Opfers eine Gefängnisstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und fünf Monaten. Juristisch ging es unter anderem um gefährliche Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung.
Jesidin in Augsburg mit Tod bedroht: Familie sah die Ehre beschmutzt
Wie berichtet, war die junge Frau von ihrer Familie im Mai 2022 drangsaliert, geschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Der banale Grund: Eltern und Geschwister konnten nicht akzeptieren, dass das Mädchen einen Türken und Muslim zum Freund hatte, einen damaligen Mitschüler. Die Familie, die aus dem Irak nach Deutschland geflohen war, sah die Ehre durch die Beziehung beschmutzt. Im Mai 2022 holte der Vater das Mädchen von der Schule ab und forderte sie auf, von einer Lechbrücke zu springen. Den türkischen Freund der Tochter sollen Vater und Sohn mit dem Tod bedroht haben, schließlich diskutierte die Familie, wie die 16-Jährige umgebracht werden könnte. Den Ermittlungen zufolge musste die 16-Jährige unter Druck ihres Vaters und Bruders ihren eigenen Abschiedsbrief schreiben. Nachdem das Mädchen mit ausgerissenen Haaren und Würgemalen in der Schule erschienen war, kontaktierte der Rektor die Polizei und das Jugendamt. Die Behörde nahm die 16-Jährige aus der Familie; bis heute lebt sie an einem geheimen Ort.
Es war eine Verhandlung, die bundesweit Beachtung fand, auch weil sie Einblicke in die Parallelgesellschaft dieser Familie bot: Sie gehört dem Jesidentum an, einer Religion, die von Kurden praktiziert wird, die vor allem aus dem Irak, der Türkei und Syrien stammen. Ein Beitritt zu der Religionsgemeinschaft ist nicht möglich, geheiratet wird bis heute nur innerhalb der Gemeinschaft. Jesiden wurden vielfach verfolgt und ermordet. In Augsburg sollen rund 2000 Jesiden leben, vergleichbare Fälle wie jenen um das 16-jährige Mädchen gab es in Augsburg in den vergangenen Jahren nicht.
Jesiden-Prozess in Augsburg: Angeklagt sitzen in U-Haft
Sowohl der 45 Jahre alte Vater als auch der mitangeklagte 24-jährige Sohn sitzen inzwischen seit über 19 Monaten in Untersuchungshaft. Im ersten Prozess am Amtsgericht im Frühjahr waren beide Angeklagten zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Die beiden Angeklagten hatten danach über ihre Anwälte Berufung eingelegt, die Staatsanwaltschaft ebenso, daher kam es nun zum Berufungsprozess. Am letzten Prozesstag plädierte Staatsanwältin Regine Pätzel auf eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und drei Monaten für den 24-Jährigen und eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für dessen Vater. Die beiden hätten dem Opfer eine erneute Aussage erspart, sagte die Anklägerin. Zu berücksichtigen sei aber "die enorme Auswirkung auf das Leben" der 16-Jährigen, die an einem geheimen Ort untergebracht sei, ohne Kontakt zu Freunden oder Familie.
Auch Nebenklagevertreterin Isabel Kratzer-Ceylan betonte die gravierenden Folgen für ihre Mandantin: Die Jugendliche habe keine Familie mehr und könne auch mit niemandem über die traumatischen Erlebnisse sprechen, weil sonst Gefahr bestehe, dass sie von Angehörigen entdeckt werde. Kratzer-Ceylan sagte indes, man müsse beim 24-jährigen Angeklagten honorieren, dass er echte Reue gezeigt und sich auch verpflichtet habe, Schmerzensgeld an seine Schwester zu zahlen. Die Anwälte der Angeklagten, darunter die Augsburger Verteidiger Werner Ruisinger und Hannes Maletzke, forderten für ihre Mandanten Haftstrafe am unteren Ende des vereinbarten Strafrahmens.
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Die geringe Strafe ist eine Verhöhnung des Opfers das lebenslang mit dem Trauma Probleme haben wird.
Für den besonders bockbeinigen und beratungsresistenten wäre eine noch längere Haftstrafe wünschenswert gewesen;(edit/mod/NUB 7.2)
Der Racheengel hat mal wieder gesprochen (kann man nicht sagen).