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Ein undatiertes Polizeifoto zeigt Ursula Herrmann, die 1981 ermordet wurde.

Augsburg
17.02.2017

Fall wird neu aufgerollt: Wer entführte Ursula Herrmann?

Von Holger Sabinsky-Wolf

Der Tod von Ursula Herrmann beschäftigt die Justiz seit 35 Jahren. 2010 wird ein Täter verurteilt - der streitet alles ab. Jetzt prüft ein Zivilgericht Beweise - Ausgang offen.

Es war am 15. September 1981, der erste Schultag nach den großen Ferien. Die zehn Jahre alte Ursula ging nun aufs Gymnasium. Am späten Nachmittag besuchte sie die Turnstunde und aß dann bei ihrer Tante in Schondorf zu Abend. Als es zu dämmern begann, gegen 19.15 Uhr, machte sich das aufgeweckte Mädchen mit seinem roten Fahrrad auf den Heimweg. Durch das Waldgebiet „Weingarten“ sind es nur zwei Kilometer bis zum Elternhaus. Doch Ursula kam nie dort an.

Erst 28 Jahre später gab es eine Verurteilung

Entführer lauerten dem Mädchen auf. Sie rissen es vom Rad, betäubten es wahrscheinlich mit Lachgas und brachten es zu einer Lichtung im dichten Fichtenwald. Dort steckten sie Ursula in eine eigens dafür gebaute Gefängniskiste mit den Maßen 136 mal 60 mal 72 Zentimeter und vergruben die Kiste im Boden. In dem Verlies waren Kekse, Schokolade, Mineralwasser und Apfelschorle, zwei Wolldecken, ein Toiletteneimer, ein Jogginganzug, Größe 176. Ein Transistorradio und eine Glühbirne waren an eine Autobatterie angeschlossen. Die Entführer hatten auch Lesestoff in die Kiste gepackt: Comic-Hefte wie „Clever & Smart“ und Groschenromane wie „Am Marterpfahl der Irokesen“. Die Ausstattung lässt vermuten, dass die Entführer Ursulas Tod nicht wollten. Doch das Mädchen erstickte.

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In dieser Kiste wurde 1981 die Leiche der entführten Ursula Herrmann in einem Waldstück bei Schondorf (Kreis Landsberg) gefunden. Das Mädchen war erstickt.

Es war eines dieser Verbrechen, das den Menschen nicht aus dem Kopf geht. Erst gut 28 Jahre später wurde ein Täter verurteilt. Das Augsburger Schwurgericht brummte dem bärtigen Hünen Werner Mazurek nach einem aufwendigen Indizienprozess eine lebenslange Haftstrafe wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge auf. Mazurek bestritt die Tat. Doch das Urteil wurde rechtskräftig.

Inzwischen sind mehr als 35 Jahre seit der Entführung vergangen, und seit Donnerstagmittag ist klar, dass sich das Augsburger Landgericht ein zweites Mal mit dem Fall Ursula Herrmann beschäftigen wird. Die 10. Zivilkammer teilte mit, dass sie im Schmerzensgeld-Verfahren von Ursulas Bruder Michael voll in die Beweisaufnahme einsteigen wird.

Herrmanns Bruder klagt gegen den Verurteilten

Michael Herrmann hat Werner Mazurek, 65, auf Schmerzensgeld verklagt, weil ihn das Strafverfahren um den Tod seiner Schwester krank gemacht habe. Die Klage hat aber eigentlich einen anderen Hintergrund: Michael Herrmann, 52, ist nicht überzeugt davon, dass der Richtige im Gefängnis sitzt. Er will eine neue Beweisaufnahme zu der Entführung seiner Schwester. Daher wählte er den Umweg über das Zivilverfahren. Mit Erfolg.

Das Gericht hat nun verfügt, dass zwei Kripobeamten aus der ersten Sonderkommission in dem Fall als Zeugen aussagen müssen. Es geht um die umstrittene Aussage eines inzwischen verstorbenen Alkoholikers. Er hatte in einer Vernehmung bei der Polizei gestanden, dass er im Auftrag Mazureks ein großes Loch in dem Waldstück am Ammersee gegraben habe. Später widerrief er das Geständnis. Die Aussage ist aber eine der beiden tragenden Säulen des Schwurgerichts-Urteils.

Die zweite Säule des Urteils war ein Grundig-Tonbandgerät, das bei Mazurek gefunden worden war. Dem Gutachten einer Expertin des Landeskriminalamts (LKA) zufolge waren mit diesem Gerät die Erpresser-Anrufe an Ursulas Eltern aufgenommen worden. Das Gutachten wird ebenfalls Gegenstand des neuen Prozesses. Am 22. Juni 2017 soll das Verfahren fortgesetzt werden.

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Der Mordfall Ursula Herrmann
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Das Schicksal von Ursula Herrmann erschütterte damals Deutschland.

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Die damals Zehnjährige wurde 1981 Opfer eines grausamen Verbrechens.

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Das Mädchen wurde entführt, als es mit diesem Fahrrad auf dem Weg von einer Freundin nach Hause war.

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In diese Holzkiste sperrte der Entführer die Kleine.

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Sie erstickte qualvoll, weil das Belüftungssystem, das der Täter eingebaut hatte, nicht funktionierte. Zwei Millionen Mark wollte der Entführer erpressen...

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...und zwar mit solchen Briefen. Das Bild zeigt eines der drei Erpresserschreiben, die nach der Entführung aufgetaucht sind.

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So sehen Kiste und Belüftungssystem in einem Nachbau der Polizei aus.

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Über 25 Jahre ermittelte die Polizei in dem Fall, konnte aber niemanden in U-Haft nehmen. Der Durchbruch gelang erst im Mai 2008 mit der Festnahme eines dringend Tatverdächtigen.

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Auf einer Pressekonferenz erläuterten Polizei und Staatsanwaltschaft, wie es zu dem Fahndungserfolg kam.

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Dieses Tonband spielte eine entscheidende Rolle: Das Gerät wurde bei dem Beschuldigten gefunden. Die Polizei geht davon aus, dass der Erpresser dieses bei Drohanrufen bei Ursulas Familie benutzt hat.

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Werner Mazurek (links) wurde im März 2010 für "erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge" zu lebenslanger Haft verurteilt.

Foto: Ulrich Wagner

2015 fordert Ursulas Bruder Michael Herrmann vor Gericht 20.000 Euro Schmerzensgeld von Mazurek.

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Dabei ist Michael Herrmann von der alleinigen Schuld des Angeklagt selbst nicht überzeugt. Er erhofft sich vielmehr eine detaillierte Aufarbeitung des Falls.

Beide Parteien sehen Wiederaufnahme des Falls als Chance

Das Kuriose an dem Prozess: Sowohl der Anwalt von Michael Herrmann, Joachim Feller, als auch die Anwälte des verurteilten Entführers, Walter Rubach und Katharina von Ciriacy-Wantrup, sind mit dem Beschluss des Gerichts hochzufrieden. Denn beide Seiten wollten diese Beweisaufnahme unbedingt. Michael Herrmann, weil er Gewissheit darüber haben will, ob Werner Mazurek tatsächlich für den Tod seiner Schwester verantwortlich ist. Und Mazurek, weil er eine neue Chance sieht, zu beweisen, dass er unschuldig ist. Er hat stets bestritten, der Täter zu sein. Anwalt Rubach sagt daher auch bereits eine intensive Auseinandersetzung voraus: „Jetzt geht’s ans Eingemachte.“

Rubach sieht das Zivilverfahren als „Geschenk des Himmels“. Er hatte Mazurek im Strafverfahren verteidigt und sieht nun die Chance gekommen, „ein wackeliges Urteil nach einem Indizienprozess“ zu überprüfen. Dazu hat er einen Lügendetektortest in Auftrag gegeben, der Mazurek bescheinige, dass er die Wahrheit sage. Zudem hat Rubach ein aussagepsychologisches Gutachten über das Geständnis des Alkoholikers anfertigen lassen.

Und sollte das Zivilgericht am Ende zu der Entscheidung kommen, dass das Strafurteil fehlerhaft ist, plant Rubach bereits heute einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens.

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