
So will Bayern die Einstellung von Extremisten bei der Polizei verhindern


Nach rechtsextremistischen Vorfällen bei der Polizei will Bayern alle Bewerber auf ihre Verfassungstreue prüfen. Das Vorgehen der Staatsregierung ist umstritten.
Rechtsextreme Chatgruppen, das Munitionslager eines SEK-Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern oder die Verbindung zu Drohschreiben unter dem Titel „NSU 2.0“: Die Liste von Fällen, in denen Polizisten den Boden der Verfassung verlassen haben oder dieser Verdacht besteht, ist lang. Grund genug für mehrere Bundesländer, die Gesinnung ihrer Polizisten wieder stärker zu überprüfen. Auch in Bayern soll das geschehen.
Nach Rechtsextremismus: Regelanfrage wieder Standard bei der Polizei
Im Interview mit unserer Redaktion kündigte Innenminister Joachim Herrmann vergangene Woche an, dass er die Regelanfrage beim Verfassungsschutz wieder einführen werde – „nicht für den Öffentlichen Dienst insgesamt, wie es früher mal war, aber für Polizeivollzugsbeamte auf jeden Fall“. Konkret heißt das: „Wir werden bei jedem Bewerber grundsätzlich und ohne konkreten Anlass beim Verfassungsschutz nachfragen, ob irgendwelche Erkenntnisse vorliegen.“ Das soll schon für den kommenden Einstellungsjahrgang im Frühjahr 2021 gelten. Was steckt hinter dieser Regelanfrage und wieso sorgt sie seit Jahrzehnten für Ärger?

Am 28. Januar 1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im Öffentlichen Dienst“, von Kritikern häufig als „Radikalenerlass“ bezeichnet. Ziel war damals, Personen aus dem Öffentlichen Dienst fernzuhalten, deren Verfassungstreue nicht als sicher galt – ausgelöst unter anderem durch die Ankündigung des linken Aktivisten Rudi Dutschke, einen „langen Marsch durch die Institutionen“ anzustreben. Die Sorge ging um, dass Anhänger der 68er-Bewegung vermehrt in den Staatsdienst gelangen könnten.
Regelanfrage bei der Polizei: Führt die Maßnahme zu Diskriminierung?
Es fand fortan eine umfassende Überprüfung bei Beamten und Bewerbern um eine Beamtenposition statt. Die Behörden stellten eine Regelanfrage, woraufhin die Verfassungsschutzämter entsprechende Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Aktivitäten zusammenstellten. Auch ohne speziellen Anlass übermittelten die Ämter ihre Erkenntnisse über betreffende Personen, wenn es Anlass zu Zweifeln an der Verfassungstreue gab. Per Regelanfrage wurden laut Verfassungsschutz im Zeitraum von 1972 bis 1991 rund 3,5 Millionen Personen einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. In 11.000 Fällen kam es zu Verfahren, 1250 Bewerber erhielten keine Anstellung. Zahlreiche Lehrer und Hochschullehrer wurden entlassen.
Widerstand regte sich, weil diese Praxis einem Berufsverbot gleichkam – Lehrer, Postler oder Eisenbahner konnten ihren Dienst fast nur im Staatsdienst ausüben. Ein weiterer Kritikpunkt bezog sich darauf, dass hauptsächlich Sympathisanten der linksextremistischen DKP, vereinzelt auch Angehörige der SPD, aufgrund „verfassungsfeindlicher Aktivitäten“ aus dem Öffentlichen Dienst verschwanden. Dabei war der „Radikalenerlass“ ausdrücklich auch gegen Rechtsextremisten gerichtet. Der Vorwurf der Diskriminierung wegen politischer Anschauungen stand immer wieder im Zentrum der Debatten. Juristisch hatte die Regelanfrage allerdings Bestand, entschied das Bundesverfassungsgericht 1975.
Bis 1991: Bayern stellte die Regelanfrage bei Beamten am längsten
1976 stimmte die Bundesregierung dennoch neuen Grundsätzen für die Prüfung der Verfassungstreue zu. Kanzler Helmut Schmidt sagte damals: „Wir werden alles tun, um die Entstehung eines allgemeinen Misstrauens zu verhindern, welches die persönliche Ausübung von Grundrechten mit Gefahren für die persönliche berufliche Zukunft belasten könnte.“ 1979 folgten endgültig neue Richtlinien. Künftig sollte in der Frage der Zulassung zum Öffentlichen Dienst prinzipiell von der Verfassungstreue des Bewerbers ausgegangen und auf Regelanfragen verzichtet werden. Die CDU-regierten Länder und Bayern hielten trotzdem vorerst an der routinemäßigen Überprüfung fest. Nach und nach verabschiedeten sich die Länder dann doch von der Praxis. Bayern stellte die Regelanfrage am längsten – bis 1991.

Immer wieder gab es auf Bundesebene Anfragen und Anträge zum „Radikalenerlass“. Die Grünen forderten 1986 die Rehabilitation der von den Maßnahmen betroffenen Menschen. Der Antrag wurde abgelehnt. Im Januar 2002 beantragte die Fraktion der PDS, alle vom „Radikalenerlass“ Betroffenen angemessen zu entschädigen, die zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und die angelegten Dossiers zum Nachteil der Betroffenen in Verfassungsschutz- und Personalakten zu entfernen – ebenfalls erfolglos. Ein ähnliches Ansinnen der Linken im Jahr 2012 scheiterte.
Regelanfrage bei der Polizei in Bayern: Grüne ringen um Position
Bayern ist nach den extremistischen Verdachtsfällen der vergangenen Jahre nicht das einzige Bundesland, das nun die Regelanfrage zumindest bei der Polizei wieder anlasslos stellen will. Im Sommer kündigte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius an, ein Gesetz vorzubereiten. Mecklenburg-Vorpommern hat ein ähnliches Vorgehen angekündigt. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz finden Regelanfragen bereits seit 2018 wieder statt, in Hamburg seit April. Bayerns Innenminister Herrmann hatte dagegen noch vor Monaten keinen Regelungsbedarf gesehen.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Horst Arnold, begrüßt den Schritt, sagt aber: „Das bezieht sich nur auf die Dienstanfänger und entbehrt deswegen nicht einer strukturellen Untersuchung radikaler Tendenzen.“ Er wolle Polizisten nicht unter Generalverdacht stellen. „Vielmehr ist der Innenminister auch ein Gefahrenabwehrminister. Und nun muss er die Gefahr abwenden, dass das Verhältnis der Bevölkerung zur Polizei kippt.“ Die Grünen diskutieren nach Angaben ihrer Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze noch intensiv über ihre Position zur Wiedereinführung der Regelanfrage. In der Vergangenheit hatte die Partei sie stets kritisch gesehen.
Ganz neu ist die Rückkehr Bayerns zur Regelanfrage nicht. Bereits 2016 beschloss die Staatsregierung, sie für die Einstellung in den richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Dienst wiedereinzuführen. Wer sich weigert, wird nicht eingestellt. Das Justizministerium teilt auf Anfrage mit, dass kein einziger Verdachtsfall bei einer Regelanfrage aufgedeckt worden sei. Widerstände von Bewerbern sind laut Justizministerium ebenfalls nicht bekannt.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Sicherlich ist eine Treue zur Verfassung und den Gesetzen geboten. Dennoch geht ja die Verfassung sehr weit in der Meinungsfreiheit. Wenn jetzt AFD und Linke Wähler ausgeschlossen werden sollen, erinnert es doch mehr an eine politische Strafaktion als an einen echten Gesinnungstest. Der Grat ist sehr dünn, wenn sich die Regierenden nicht selbst als verfassungsfeindlich outen wollen.
https://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/afd-funktionaere-im-oeffentlichen-dienst-100.html
Erstens Wählerinnen nicht ausgeschlossen werden. Weil was jemand wählt geheim ist.
Zweitens ist ein Beamter durchaus nicht tragbar, wenn er einem Verein, Gruppierung oder Partei Mitglied ist, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Schließlich wird man vom Verfassungsschutz auch nicht grundlos überwacht. Hier gibt es ebenfalls Hürden. Zudem kann man das auch gerichtlich überprüfen lassen.
Ein Beamter repräsentiert seinen Dienstherrn auch privat. Er hat schließlich auch einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt.
"Zweitens ist ein Beamter durchaus nicht tragbar, wenn er einem Verein, Gruppierung oder Partei Mitglied ist, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird."
Das ist falsch. Eine Beobachtung vom Verfassungsschutz ist keine Verbot einer Partei und schon gar kein Grund jemanden individuell mit Berufsverbot zu belegen. Die Treue zum Dienstherrn endet bei der politischen Meinung, solange sie auf dem Boden des GG stattfindet. Sonst müssten Sie bei jedem Regierungswechsel alle Beamten austauschen. Es gibt keine Verpflichtung, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Regierung zu identifizieren. Auch Beamte dürfen Politik kritisieren.
Ein Beamter hat zweifelsfrei sich auf dem Grundgesetz zu bewegen. Wenn er Mitglied einerVereinigung oder Partei ist, an deren Verfassungstreue starke Zweifel bestehen - erst dann kommt die Überwachung durch den VS- dann ist seine Verfassungstreue ebenfalls sehr fraglich. Wer sich Wölfen anschließt ist kein Schaf.
"Wer sich Wölfen anschließt ist kein Schaf."
Wer Wolf und wer Schaf ist bestimmt nicht der Verfassungsschutz sondern Gerichte, auch wenn Sie sich das mit Ihrem kruden Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit anders sehen.