Eine Erdbeere ist eine Erdbeere. Klingt logisch, stimmt aber so schon mal nicht. Weil sie zumindest mal botanisch gesehen gar keine Beere ist. Sondern eine Sammelnussfrucht. Und eine Frucht ist die Erdbeere auch nicht, sondern nur eine Scheinfrucht. Die eigentlichen Früchte nämlich sind die kleinen Körnchen an der Erdbeere. Außerdem gehört sie zur Familie der Rosengewächse. Dies nur mal so vorneweg, um zu zeigen: Es ist mit der Erdbeere wie mit so vielem – schaut man sich etwas erst einmal genauer an, wird es komplex. Bei der Erdbeere kommen dann auch noch Aromen dazu .
3,7 Kilogramm, so viel verzehrt der Deutsche durchschnittlich pro Jahr an frischen Erdbeeren. Sieben bis acht 500-Gramm-Schälchen also. Etwa zweieinhalb Blech Erdbeerkuchen lassen sich daraus machen. Es gibt anderes Obst, davon isst der Deutsche mehr. Äpfel, Bananen, Trauben, Pfirsiche. Die Erdbeere kommt erst auf Platz fünf. Aber wenn es darum ginge, welcher Rummel um frisches Obst gemacht wird, dann wäre die Erdbeere gefühlt auf Platz eins – auch weil sie das erste frische Obst in Deutschland ist. Keine andere Beere wird daher mit solchem Bohei begrüßt – „Endlich wieder Erdbeerzeit“ –, an keinem anderen Obst aber wird auch so viel gemäkelt. Es geht der Erdbeere da ein bisschen wie dem Sommer, der schwer an all den Erwartungen trägt: Muss groß sein, perfekt sein, darf nicht schwächeln wie der Herbst – oder die Heidelbeere.
Erdbeerkrise? Die Erdbeere machte unschöne Schlagzeilen
Liebe also. Eisliebe. Tortenliebe. Marmeladenliebe. Joghurtliebe. Erdbeerliebe. Und bevor es jetzt ans Eingemachte geht, kurz bitte zurücklehnen und an eine Erdbeere denken, an den Duft, ihre Konsistenz, an ihren Geschmack. Wie würden Sie den beschreiben? Süß, klar. Bisschen Zitrus. Aber ölig? Alles möglich, dazu später, jetzt erst einmal: Feldstudie! Also raus aufs Feld, grün gestreift, wo zwischen den langen Reihen aus Erdbeerpflanzen ein offenbar gut gelaunter Erdbeerbauer nach dem Rechten sieht. Das mit der Laune muss erwähnt werden, weil in dieser Saison die Erdbeeren unschöne Schlagzeilen machten, sogar von Erdbeerwahnsinn die Rede war und damit nicht die neueste Kuchenkreation mit Brezelboden gemeint war.
Es ging um Preise, darum, dass plötzlich zum Saisonstart zu viele Erdbeeren auf dem Markt waren, die Deutschen also noch einige Schälchen mehr hätten essen müssen, um diese ganze Masse zu vernaschen. Aber die Deutschen haben stattdessen erst mal weniger gegessen, sparten an frischer Süße wie auch am Spargel. In Supermärkten wurden Erdbeeren zur Schnäppchenware. Weshalb einige Erdbeerbauern wie zum Beispiel im Münsterland ihre Felder voller roter Erdbeerfrüchte aus Protest umpflügten, einige auch vor laufenden Kameras. Seht her: Nicht mehr rentabel! Erdbeerwahnsinn also statt Erdbeerfrohsinn? Auf die Felder von Erdbeerbauer Josef Kraus aus Gessertshausen bei Augsburg aber schien die Sonne!
„Wenn ich mir ein Wetter wünschen könnte als Erdbeerbauer, dann so eines“, sagt Kraus. Früh schon Wärme, weiter viel Sonne. So wie es die Erdbeere will. Für die Erdbeere an sich ist dieser Sommer jedenfalls ein ziemlich guter. Und für Kraus, seit vierzig Jahren im Erdbeergeschäft, auch. Die Erdbeere, das nämlich sagt er auch, „ist sehr kompliziert“. Sie mag vieles nicht, knackige Kälte und zu viel Regen natürlich. Sie kann aber auch Sonnenbrand bekommen.
Die Erdbeere – kann man so ja eigentlich auch nicht sagen. Weil es ja nicht die eine Erdbeere gibt, sondern hunderte. Früh blühende, spät blühende, robuste und besonders empfindliche, feste und zartere. Wobei an den bunten Erdbeerhäuschen von Obstbauer Kraus fast niemand nach einer speziellen Sorte fragt. Manchmal nach „Senga Sengana“, „das ist eigentlich der einzige Sortenname, den die Leute noch kennen“, sagt Josef Kraus. „Senga Sengana“ war in den 60ern und 70ern so etwas wie der Müller-Thurgau beim Wein, beliebteste und ertragreiche Massenware. Kraus sagt, heute würde „Senga Sengana“ den meisten nicht mehr schmecken, „ein bisschen zu säuerlich“.
Wenn man als Laie mit Kraus auf dem Feld steht, sieht man grün und rot. Aber nicht gleich die Unterschiede. Kraus aber deutet mit dem Finger aufs Grün, da wächst die „Asia“, und dann aufs Grün dort, da die „Verdi“… Die „Asia“ sagt er, ist ideal für die Selbstpflücker. Ein bisschen unförmig zwar, also nicht die perfekte Herzform, aber „man hat ein schnelles Erfolgserlebnis und sie schmeckt gut“.
Erdbeernamen klingen oft nach Sonne, Liebe oder Musik
Er setzt nie nur auf eine Sorte. Sondern immer mindestens auf zwei, die gleichzeitig blühen. Weil, um nur mal ein Beispiel zu nennen, die „Rumba“ es nicht mag, wenn es zu warm ist. Dann wird die Beere schnell dunkel. Die „Verdi“ dagegen ist ziemlich hitzeunempfindlich ist. Erdbeernamen, irgendwie auch süß. Es schwingt darin oft etwas Sonne, Liebe oder Musik mit. „Sonsation“ etwa, gibt es bei Kraus auch.
Indem die Obstbauern die früh blühenden Sorten noch etwas verfrühen, durch Tunnelanbau oder Vlies, und die spät blühenden noch etwas verspäten, indem sie die winterliche Kälte im Boden durch Stroh speichern und so die Blüte hinauszögern, hat sich die Erdbeersaison in Deutschland mittlerweile ausgedehnt. Auf etwa 90 Tage. Im Mai geht es los, im August zu Ende. Man könnte sagen, die ganze Saison ist durchkomponiert, hier die Ouvertüre mit „Clery“, Zwischenspiel „Faith“, Finale dann mit „Malwina“. Erdbeer-Symphonien.
Der Hunger auf Erdbeeren ist auch nach Saisonende nicht gestillt
Aber der Hunger, er ist dann noch nicht gestillt. Und weil irgendwo auf der Welt immer Erdbeeren wachsen, wird weiter gekauft. Erdbeeren aus Spanien, Ägypten, Marokko oder Israel zum Beispiel. 129.595 Tonnen Erdbeeren wurden laut Statista im vergangenen Jahr nach Deutschland importiert. Was aber sind das für Erdbeeren? Solche zum Beispiel auch, von denen Kraus sagt: „Würde man blind hineinbeißen, wüsste man gar nicht, was man da isst.“ Erdbeeren, die nach nichts schmecken, schon gar nicht nach Sommer. Und bevor es hier jetzt gleich ums sogenannte Erdbeerdilemma geht, eine kleine Geschichte, die von einem französischen Spion handelt: Amédée-François Frézier.
Der Mann war auch Mathematiker, Ingenieur, Offizier, Botaniker, aber Spion klingt natürlich spannender. An der Küste von Chile sollte er im Auftrag von Louis XIV. die Befestigungsanlagen der Spanier auskundschaften. Was er auch entdeckte und bei seiner Rückkehr 1714 im Gepäck hatte: Erdbeerpflanzen, die viel größere Früchte trugen als die in Europa bekannten. Im königlichen Garten gedieh die Chile-Erdbeere (Fragaria chiloensis) nicht sonderlich – sie brauchte noch die richtige Partnerin, die amerikanische Scharlachbeere (Fragaria virginiana). Aus deren Kreuzung entstand dann Mitte des 18. Jahrhunderts die Fragaria × ananassa, Urmutter fast aller modernen Gartenerdbeeren. Ananassa, weil sie ein bisschen aussah wie eine Ananas, auch ein bisschen danach duftete und schmeckte.
Etwa 1000 Erdbeersorten sind aus einer Kreuzung entstanden
Etwa 1000 Erdbeersorten sind daraus mittlerweile geboren worden, etliche auch wieder verschwunden, jedes Jahr aber kommen neue hinzu. Der Mensch experimentiert einfach immer weiter an der Erdbeere herum. Aber all die unterschiedlichen Erwartungen, die Züchter, Bauern, Händler und Konsumenten an sie stellen, kann die Erdbeere bislang einfach nicht erfüllen. Mal sieht sie super aus, glänzt verlockend rot, aber dann: eine wässrige Enttäuschung im Mund. Mal ist es anders herum. Das Erdbeer-Dilemma, das Obstbauer Kraus kurz so umreißt: „Entweder züchtet man auf Geschmack oder auf Haltbarkeit. Die gute Erdbeere ist von der Konsistenz weicher, schmeckt besser, aber den Transport übersteht sie nicht.“ Die aus der Ferne anreisende Konkurrenz zur frischen Erdbeere vom Feld zählt daher zu den Long-shelf-life-Sorten, gezüchtet eben auf Ertrag und festes Fruchtfleisch, um lange frisch zu bleiben. Der Geschmack aber ist auf der Strecke geblieben.
Und damit zu „Mieze Schindler“. Fast schon hundert Jahre alt, gezüchtet von Otto Schindler, damals Direktor der Höheren Staatslehranstalt für Gartenbau in Dresden-Pillnitz. Er selbst war von seiner Erdbeere offenbar so begeistert, dass er ihr den Kosenamen seiner Frau gab, Mieze. Wenn die „Senga Sengana“ der Müller-Thurgau unter den Erdbeeren ist, dann ist die „Mieze Schindler“ der Riesling. Wahnsinnige Fruchtaromen, süßer noch als die Walderdbeere, irre sensibel. Man nennt sie auch die „Praline unter den Erdbeeren“. Langt man die Beere ein bisschen zu fest an, schon hat sie Druckstellen, wird matschig. Im Garten kein Problem, aber für Erdbeerbauern natürlich schon. Josef Kraus sagt, ein Kollege habe sie einmal für das Sternerestaurant „Tantris“ in München angebaut. Auch schon eine Zeit lang her.
Das Geheimnis der "Mieze Schindler", die Praline unter den Erdbeeren
Was aber macht die „Mieze Schindler“ so besonders? Anruf in Dresden bei Pflanzenzüchter Klaus Olbricht von der Firma Hansabred, der sich zusammen mit Chemiker Detlef Ulrich über Jahre dem Studium der Mieze widmete und der Frage: Wie kann man den Geschmack der Mieze in eine moderne haltbare Erdbeere bringen?
Die Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis der Mieze: Es liegt am Methylanthranilat. Ein Stoff, der eigentlich der Abschreckung dient. Vögel ekeln sich davor, Menschen hingegen empfinden ihn als blumig-fruchtiges Waldbeeren-Aroma. Die „Mieze Schindler“ hat reichlich von dieser Schlüsselsubstanz, in der modernen Hochleistungssorte „Elsanta“ dagegen ist es nicht nachweisbar.
Mehr Methylanthranilat also, muss doch einfach machbar sein. Aber wer mit Olbricht spricht, merkt schnell, gar nichts ist einfach mit der Erdbeere. Olbricht nennt sie übrigens die bedeutendste Beerenobst-Art der Welt. Schon allein von der Quantität, den Umsätzen. Man denke bitte nur mal daran, worin überall verarbeitetes Erdbeerpüree steckt. Eiscreme, Joghurt … Zwischenfrage: Aber, ähem, ist denn in Erdbeerjoghurt auch immer Erdbeere drin? Spaßeshalber habe mal jemand die Mengen an Erdbeerjoghurt weltweit zusammengerechnet, und dann die Erdbeermengen dagegengerechnet, erzählt Olbricht: „Das passt dann nicht.“ Manche Fruchtstückchen sind eben doch entfärbte Litschis und dazu gibt es dann einen Schuss Erdbeeraroma. Aber natürlich ist es so: Richtiges Erdbeeraroma, das kann eigentlich nur die Erdbeere.
Das Erdbeeraroma ist im Vergleich zu anderen Obstsorten nämlich eines der komplexesten überhaupt. Für das Aroma der Himbeere zum Beispiel reicht eigentlich schon mal ein Stoff, ein spezielles Keton, und schon weiß der Mensch: Hui, Himbeere! Bei der Ananas ist es ähnlich. Aber die Erdbeere! Da kommt es nicht auf den Einzelstoff an, sagt Olbricht, sondern da ist das Muster entscheidend! Über 900 chemische Substanzen in der Erdbeere sind im Lauf der letzten 80 Jahre nachgewiesen worden, „das ist gigantisch“. Wobei die meisten Stoffe der Mensch gar nicht wahrnehmen kann, nur etwa 50 davon wie eben das fruchtige Methylanthranilat oder eine andere Schlüsselsubstanz, das karamellartige Furaneol. Ohne das würde die Erdbeere ein bisschen wie eine Kartoffel schmecken.
Eine Erdbeere kann auch nach Erdöl schmecken
Eine Erdbeerprobe unter Experten ähnelt daher ein wenig einer Weinprobe: Der eine entdeckt Papaya, der andere Johannisbeeraroma oder vielleicht sogar Gras- und Käsegeschmack. Olbricht hatte auch schon mal Erdölaroma auf der Zunge. Mit den Aromasubstanzen aber ist es so: Sie sind anfällig, reagieren auf Temperatur, schnell kommt das Muster durcheinander. Am stabilsten ist das Aroma in den Erdbeeren daher dann, wenn wenig drin ist. Stabilität aber ist wichtig für Handelsware. Immer noch besser, die Erdbeere schmeckt nach wenig als nach Buttersäure. Das nächste Erdbeerdilemma. Wie gesagt, komplex das Ganze. Und dann wäre ja auch noch die Sache mit dem Mundgefühl: Auf einer Erdbeere will man nicht wie auf einer Karotte herumkauen, sagt Olbricht, sondern sie mit der Zunge zerdrücken können. Sie muss also den richtigen Schmelz haben, wie der Züchter es nennt.
Falls Sie Erdbeeren zur Hand haben, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, mal eine zu naschen, nachzuschmecken – etwas Süße tanken. Um sich die zweite Frage beantworten zu lassen: Wie bekommt man das Aroma in die moderne Hochleistungsbeere – und den Schmelz?
Olbricht, der in Dresden übrigens die europaweitgrößte Erdbeer-Wildarten-Sammlung pflegt, hat in den vergangenen 20 Jahren zigtausende Sämlinge gezogen – und wurde immer wieder überrascht. Weil Kreuzungen so etwas wie eine Genlotterie sind. Sich das Ergebnis nicht einfach berechnen lässt. Vor ein paar Jahren hat die Firma Hansabred aber nun zum Beispiel Sortenschutz für die „Renaissance“ beantragt: Eine Hochleistungssorte, die ein Kilo pro Pflanze bringen kann, aber mit nicht zu festem Fruchtfleisch, gut für Selbstpflücker, Direktvermarkter. Und die Aromaindustrie. Die „Renaissance“ ist nämlich kein Abbild der „Mieze Schindler“. Sie hat sogar das Dreifache an Aromastoffen. Die perfekte Erdbeere also?
Nein. Sagt so auch Züchter Olbricht. Die perfekte Erdbeere nämlich könne es gar nicht geben. Schon alleine deswegen, weil es um Geschmack geht. Nicht jeder mag das Gleiche. Selbst die „Mieze Schindler“ ist manchen zu dunkel, fast zu intensiv. Und dann gibt es noch unterschiedliche Böden, unterschiedliches Klima, neue Krankheiten und unterschiedliche Erwartungen. Einer Erdbeere, die im Rheinland gut gedeiht, muss es in Bayern nicht gefallen. Auch da ist es ein wenig wie beim Wein. Die Gefriertrocknungsindustrie wiederum braucht eine andere Erdbeere als der Direktvermarkter oder der Marmeladenhersteller. Die perfekte Beere sieht also für jeden anders aus.
Und damit zurück aufs Feld zu Josef Kraus, der, wenn das Handy klingelt, kurz darauf schaut und dann entscheidet: Kann warten, schnell rangehen. Es klingelt sehr oft. Das kennt er aus der Erdbeersaison, mal gibt es eine Frage aus einem der Verkaufshäuschen – bei Kraus sehen sie aus wie eine Erdbeere, die in einem Körbchen steckt. Mal ist es ein Mitarbeiter vom Feld, mal ein Kollege. Zuletzt aber auch immer wieder Journalisten und Journalistinnen, die wissen wollen: Was ist denn da gerade los mit der Erdbeere? Aber bei ihm ist eigentlich gar nichts los, also nichts, das ihn besonders beunruhigen müsste. An den Ständen kamen gelegentlich besorgte Kundinnen und Kunden, um noch schnell zu kaufen, „bevor die Erdbeeren untergemulcht werden“. Nur wird bei Kraus gar keine Erdbeere vernichtet. Warum auch.
Um Energie zu sparen, wurde in Gewächshäusern später gepflanzt
Die Saison sei zwar schlecht angelaufen, wegen der vielen Erdbeeren aus anderen Ländern. Auch das tatsächlich eine Folge des Krieges in der Ukraine. Um Heizkosten zu sparen, wurden in den Gewächshäusern in Belgien und den Niederlanden die Erdbeeren später gepflanzt. Hinzu kam: Die spanischen waren in diesem Jahr etwas verzögert dran. Zu viele Erdbeeren also. „Aber der Markt hat sich wieder gedreht“, sagt Obstbauer Kraus: „Erdbeeren sind gesucht.“ 8,50 Euro kostet bei ihm das Kilo am Stand.
Erdbeerkrise? Erdbeerwahnsinn? Auch der Erdbeermarkt ist komplex. Die Sorgen des einen Erdbeerbauern müssen nicht die Sorgen aller sein. Sagt so ähnlich auch Simon Schumacher vom Verband Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer. Der Markt nämlich ist geteilt: Da sind zum einen die Direktvermarkter wie Josef Kraus, deren Kundinnen und Kunden sich an den Ständen versorgen oder gar gleich selber pflücken, hohe Qualität möchten und dafür auch zahlen. Und dann die Erdbeerbauern, die vor allem für Supermärkte produzieren. Wo auch die viel billiger produzierte Ware aus dem Ausland liegt. Und nicht nur die frische. „Gerade ist Erdbeer-Haupternte in Deutschland –und Edeka fährt Angebotsaktionen für tief gefrorene Erdbeeren aus Spanien und Marokko “, twitterte der Verband vor einigen Tagen „verärgert“.
Erdbeerliebe - aber in Deutschland schrumpft die Anbaufläche
Der Handel habe den Erdbeerbauern zum Teil den Stecker gezogen, sagt Schumacher. Sie hätten keine Chance gehabt, ihre Ware zu platzieren. Stattdessen wurden die zurückhaltenden Kundinnen und Kunden mit billigerer Importware versorgt. „Fühlt sich nicht gut an“, sagt Schumacher. Für Erdbeerbauern, die rein vom Handel abhängig sind, rechne sich der Anbau immer weniger – auch wegen gestiegener Mindestlöhne. In Marokko dagegen wird für ein Euro die Stunde gepflückt, in Spanien für sechs. So erklärt sich auch ein Phänomen, das gar nicht so recht zur großen Erdbeerliebe der Deutschen passen mag: Die Anbaufläche in Deutschland schrumpft und auch die Erntemengen: 168.791 Tonnen Erdbeeren wurden 2014 produziert, im vergangenen Jahr 130.630.
Es ist mit der Erdbeere ja auch so: Sie ist köstlich, auch was die Assoziationen betrifft, man denkt an Kindertage, an Sommer, an Kuchen und Schlagsahne. Aber lebensnotwendig ist die Erdbeere natürlich nicht. Sagt so Simon Schumacher, sagt so ähnlich Josef Kraus. Aber wenn alle so viel essen würden wie er, bräuchte er die zehnfache Fläche. Züchter Klaus Olbricht gibt seinen Verbrauch während der Saison ähnlich hoch an: drei bis vier Kilo am Tag. „Danach tritt der Entzugseffekt ein.“ Zum Glück, sagt er, ist bei ihm gerade noch ein bisschen was auf dem Feld.
Apropos Erdbeerwahnsinn. Franz Zech dichtete einst frei nach François Villon: „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, ich schrie mir schon die Lungen wund …“ Der stets nah am Wahnsinn stehende Klaus Kinski sprach es genial ein. Der schön wortverdrehende Musiker Willi Astor machte daraus im Song den Satz: „Ich bin so wild nach einem Erdbeerhund.“ Häufig gestellte Frage im Netz übrigens: Dürfen Hunde Erdbeeren fressen? Tierärzte plädieren dafür: ein gesunder Snack, wenig Kalorien.
Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm schwärmt mit Fakten
Und weil man nun beim Thema Gesundheit und Ernährung ist, noch ein Anruf im Breisgau: bei Dagmar von Cramm, Ernährungsexpertin und Foodjournalistin mit eigenem Youtube-Kanal. Frau von Cramm, die im Übrigen die Sorte „Lambada“ besonders liebt, schwärmt mit Fakten. „Das Tollste an Erdbeeren ist, dass sie uns mit zwei Dingen versorgen, die manchmal im Körper zu knapp sind.“ Folsäure, wichtig für die Zellerneuerung, und Vitamin C, mehr als in Zitronen. Aber damit nicht genug: Die Erdbeere steckt auch voller Kalium, Magnesium und Kalzium, Ballaststoffe sind auch drin.
In der Universität Rostock hat man im vergangenen Jahr in einem Experiment untersucht, was die Erdbeere alles mit dem Körper macht. Nur Gutes – natürlich darf man sie dann nicht unter einem Berg Sahne begraben. Die 172 Probanden aber aßen die Erdbeeren zehn Wochen lang selbstverständlich pur, ein Pfund pro Werktag. Was die Forscher feststellten: Die Studienteilnehmer waren am Ende fitter, die Blutdruck- und Cholesterinwerte besser, die Entzündungsmarker reduziert. Ein Wahnsinn also, essen und gesünder werden.
Pancakes, Pinsa, Salat - die Erdbeere passt zu fast allem
Letzte Frage nun an Frau von Cramm: Die Erdbeere – was lässt sich damit alles anstellen? Sie selbst isst die Erdbeere am liebsten pur, auch gerne mit ein bisschen Süße, Honig zum Beispiel: „Dann entwickelt sich das Aroma besser.“ Aber sie probiert natürlich auch aus: Erdbeerpancakes, einen kaltgerührten Aufstrich mit Chiasamen, Honig und Apfelringen. Pinsa, eine Art Pizza aus Sauerteig, hat sie schon mit Spargel, Rucola und Erdbeeren belegt. Salat geht natürlich auch. Die Erdbeere vertrage sich gut mit pikanten Speisen, sagt von Cramm, weil sie nämlich im Gegensatz zur Heidelbeere auch etwas säuerlich ist. Als wichtigste Erdbeerregel gibt sie noch mit: Immer schön kühlen, erst kurz vor dem Verzehr waschen und die Kelchblätter abzupfen. Eine „Mieze Schindler“ wäre sonst eh schon lang Matsch.
Weil in Texten über Erdbeeren dieses Zitat eigentlich nicht fehlen darf, wird es an dieser Stelle nun noch als Dessert nachgereicht. Verfasst von Izaak Walton, der vor 400 Jahren ein Standardwerk übers Angeln verfasste, über die Erdbeere aber den schönen Satz schrieb: „Zweifellos hätte Gott eine bessere Beere erschaffen können, aber ebenso zweifellos hat er es nicht getan.“ Seitdem versucht es der Mensch. Züchtet, baut an, handelt, lässt sie reisen. Isst die Erdbeere am liebsten einfach so.