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Umwelt: Kranker deutscher Wald: In Tharandt soll er geheilt werden

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Kranker deutscher Wald: In Tharandt soll er geheilt werden

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    Außen: Der Tharandter Forst nach dem Borkenkäferschlag. Innen: Die Aufforstung beginnt mir Farnen und Brombeeren.
    Außen: Der Tharandter Forst nach dem Borkenkäferschlag. Innen: Die Aufforstung beginnt mir Farnen und Brombeeren. Foto: Christan Grimm

    Wo der Borkenkäfer fraß, kriecht eine Brombeere voran. Dazwischen steht ein Tannensprössling. Der Wicht ragt gerade 15 Zentimeter aus dem feuchten Boden und verkörpert dennoch die Hoffnung. Die Hoffnung, dass der kranke deutsche Wald nicht stirbt.

    Wenige Meter davon entfernt haben sich hinter rostbraunen Stümpfen zwei kleine Eichen schon einen Meter nach oben gekämpft. Eine Buche schafft es auf zweieinhalb Meter. Auf der Fläche eines halben Fußballfeldes stehen sie verloren herum. Waldarbeiter mussten die hohen Kiefern schlagen, weil Borkenkäfer in den Stämmen eifrig ihre Gänge bohrten. „Da hinten“, ruft Michael Müller im Nieselregen stehend, „ist eine Edelkastanie.“ Müller erkennt Bäume im Schlaf. Von Berufs wegen ist er Beschützer des Waldes. „Professor für Waldschutz“, steht an seiner Bürotür. Der Förster arbeitet an dem Ort, wo seit 200 Jahren so intensiv wie nirgends sonst in Deutschland über den Wald nachgedacht wird. Das Städtchen Tharandt liegt in einem grünen Tal am Saum des Erzgebirges. Von Dresden trennen es 15 Kilometer. Bekannt ist Tharandt für seine Forstakademie. „Tal der Waldretter“ nennen sie es im Fernsehen.

    In Tharandt wurde auch die Idee der Nachhaltigkeit geboren

    Die Wälder können ihre Retter gut gebrauchen. Vier von fünf Bäumen sind krank. Sie leiden unter Trockenheit und Hitze. Ihre Kronen werden kahl, sie werfen schon im Sommer ihre Blätter ab. So steht es im Wald-Bericht der Bundesregierung. Die fünf Bäumchen mitten im Forst südwestlich von Elbflorenz könnten die Zukunft sein, wenn Rehe nicht ihre jungen Triebe wegfressen, die Dürre sie nicht austrocknet oder sie tödliche Tierchen durchfräßen. Hoffnung. Retter. Zukunft. Der Professor hört die großen Begrifflichkeiten nicht gern. Er hat in den 80er Jahren selbst an der Akademie studiert.

    Zu DDR-Zeiten zählten die Förster zu den Ingenieuren. „Es geht um Risikostreuung“, antwortet Michael Müller auf die Frage, wie der Wald geheilt werden kann. Heilen, wieder so ein menschelnder Begriff. Sein Rezept lautet: Eine Mischung aus heimischen Laub- und Nadelbäumen, ergänzt durch passende Sorten aus anderen Erdteilen, könnte den Wald klimawandelfest machen. Welche Mischung an welchen Orten am besten passt, kann die Forstwissenschaft herausfinden. „Es ist wie beim Aktienkauf. Eine Mischung verschiedener Aktien reduziert das Risiko.“

    Es sind Sätze wie dieser, die nicht oft fallen, wenn es um den geschwächten Wald geht. In der deutschen Vorstellung hat er eine Seele, ist er ein Wesen, das Harmonie bedarf und unsere Hilfe braucht. Die Bäume reden miteinander wie im Märchen. Der Wald rettet uns von dem rasenden Leben in den großen Städten. „Da draußen, stets betrogen, saust die geschäft’ge Welt, schlag noch einmal die Bogen um mich, du grünes Zelt.“ So dichtete Eichendorff vor 200 Jahren. Die Romantiker setzen bis heute den Ton, wenn es um den Wald geht.

    Er will nicht Retter oder Heiler genannt werden, aber arbeitet doch daran: Forstprofessor Michael Müller.
    Er will nicht Retter oder Heiler genannt werden, aber arbeitet doch daran: Forstprofessor Michael Müller. Foto: Christian Grimm

    In Tharandt beginnt zur gleichen Zeit die Arbeit an einem Gegenprogramm. Es geht um die kluge Nutzung des Waldes als Rohstofflieferant. In Sachsen wird das erste Mal der Gedanke der Nachhaltigkeit formuliert. Dem Wald nur so viel Holz zu entnehmen wie nachwächst. Das geschieht nicht in dem Tal bei Dresden, sondern schon 100 Jahre zuvor in der Silberstadt Freiberg. Dort wachte der sächsische Edle Hans Carl von Carlowitz als Berghauptmann über eines der wichtigsten Reviere Europas. Silber, Zinn und Blei schlugen die Hauer aus den Felsen des Erzgebirges. Das funkelnde Gestein macht Sachsen reich, finanziert die Prunksucht des Dresdner Hofes. Die Gruben und Erzschmelzen brauchen Unmengen an Holz, zur Stützung der Stollen und für das Feuer in den Öfen. Carlowitz ist für die Versorgung verantwortlich. Die Hügel des Erzgebirges sind aber weitgehend leer geschlagen. Carlowitz fordert deshalb in seinem Hauptwerk von 1713, dass „eine Gleichheit zwischen An- und Zuwachs und dem Abtrieb des Holtzes erfolget“.

    Mit Baumflüsterer Peter Wohlleben verbindet die Waldforscher hier nicht viel

    Nachhaltigen Erfolg hatte der Begründer der Nachhaltigkeit allerdings nichts. Der Bergbau verschlang weiter ganze Wälder. Der sächsische König holte deshalb Anfang des 19. Jahrhunderts den Thüringer Forstmann Heinrich Cotta in sein Reich. Bring mir meine Wälder in Ordnung, lautete der Auftrag des Königs. Cotta willigte ein, stellte zwei Bedingungen. Er wollte seine private Forstschule von Thüringen nach Sachsen verpflanzen und sich den Ort dafür selbst aussuchen. Dem bürgerlichen Cotta waren das Gepränge und der Trubel am Hofe zuwider und er entschied sich für das Städtchen Tharandt. Einige Jahre später wurde sie dann zur Königlich-Sächsischen Forstakademie umgewandelt.

    Cotta legte die Grundlagen für den geregelten, nachhaltigen „Waldbau“, wie er es nannte, und löste die bis dato vertretene Lehre von der „Holzzucht“ ab. Er erstellte Ertragstafeln für die Förster und es gelang ihm damit, seinen Ansatz direkt in die Praxis zu übersetzen. In seiner Lehre beschrieb Cotta schon damals die Bedeutung des gemischten Waldes. Zwei Jahrzehnte brauchte er, um den Zustand der ausgedünnten Wälder des Königs zu verbessern. An die Akademie kamen Studenten aus der ganzen Welt, die das Wissen mit nach Hause nahmen und dort Institute nach dem sächsischen Vorbilde gründeten. Während die Waidmänner dem Wald durch naturwissenschaftliche Methoden das Magische nehmen wollten, suchten die Romantiker nur wenige hundert Schritte davon entfernt die Verzauberung. Berühmte Maler wie Caspar David Friedrich und Ludwig Richter zeichneten die alte Tharandter Burgruine, die sich auf einem Felssporn über dem Tal erhebt. Tharandt steht für beide Weltbilder, die sich über den Wald gelegt haben und bis heute miteinander streiten.

    Die Nachfolger der beiden großen „C“ der Forstwirtschaft – Carlowitz und Cotta – sehen sich streng in deren Tradition und können mit ihrem Kollegen und Romantiker Peter Wohlleben wenig anfangen. Der frühere Förster und heutige Schriftsteller hat Millionen Leser. Er hat die Seele zurück in den Wald gebracht. Für Michael Müller wirkt dort aber keine mystische Kraft, die alles zusammenhält. Die Natur hat keinen Sinn außer das Überleben. „Störche schubsen überzählige Jungen aus dem Nest, wenn die Nahrung nicht für alle reicht, damit es eines schafft.“ Der Wald soll weiter Rohstofflieferant bleiben und nicht wie im Nationalpark sich selbst überlassen werden.

    Sie haben weniger Zeit also früher für die Rettung des Waldes - der Klimawandel schlägt durch

    Deutschland ist zu einem Drittel mit Wald bedeckt, die Hälfte gehört privaten Grundbesitzern, die damit Geld verdienen wollen. Die andere Hälfte gehört dem Staat, der damit fast immer auch Geld verdienen will. Der Ansatz der Forstakademie, die seit 1929 zur Technischen Uni Dresden gehört, ist seit ihrer Gründung der gleiche geblieben. Wie kann der Wald weiter Holz liefern? Müller und seine Kollegen werden dafür bezahlt, Antworten zu geben. Sie haben weniger Zeit als früher, weil der Klimawandel durchschlägt und den Bäumen schwer zusetzt. Eine Mischung aus Nadel- und Laubhölzern ist die grobe Richtung, aber es gibt kein Patentrezept, weil sich Böden und Klima von Ort zu Ort unterscheiden. „Es ist nicht so einfach, wie manche es meinen“, sagt Müller auf der Lichtung im Tann. Sein grüner Jägerhut hält den Regen ab, der über der welligen Landschaft niedergeht. Es riecht erdig und nach faulendem Holz. Auch im östlichen Erzgebirge waren die letzten Sommer zu trocken. Der Gebirgsfluss Weißeritz hat sich in seinem Bett zu einem schmalen Bächlein verengt.

    Der Professor räumt bei der Tour durch das kleine Abc des Waldumbaus mit einigen Erzählungen auf, die sich breitgemacht haben. Die Rotbuche ist zwar für viele Regionen Deutschlands der konkurrenzstärkste Baum, aber auch eine Gefahr für Spaziergänger und Wanderer. Ohne Vorzeichen brechen bei Dürre schwere Äste ab. Der Import von Gehölzen aus trockenen Gefilden ist auch nicht der Königsweg, „weil die müssen ja durch die Temperaturextreme.“ Müller meint damit, dass das Klima zwar milder wird, aber es dennoch nach wie vor Wochen mit strengem Frost gibt, die eingeführte Arten nicht überstehen. Aus seiner Sicht ist es auch Unsinn, die Monokulturen von Fichten- und Kiefern schlechtzureden. „Der Umbau gelingt in bestehenden Wäldern viel besser, als auf einem Acker neuen Wald anzupflanzen.“ Denn das grüne Zelt, von dem Eichendorff schwärmte, mag in den Monokulturen öde sein, aber es schützt die jungen Bäume doch besser vor Hitze, Dürre oder stehender Nässe.

    Ein halbes Jahrhundert dauert es, bis ein Waldstück seinen Charakter ändert, von der Dominanz einer Art zur Durchmischung. Die Aufheizung der Erde erfordert sie, könnte sie aber gleichzeitig massiv behindern, weil im Sommer der Regen ausbleibt. Genauso groß ist die Gefahr, die von Rehen, Kaninchen und Mäusen ausgeht. Sie fressen junge Triebe und Samen. Weil immer mehr Wild durch die Wälder streift, wird der Verbiss zum drängenden Problem. „Wir müssen durch Bejagung das Wild im Griff behalten. Das ist der wichtigste Schlüssel“, sagt Müller. Es ist wieder so ein Satz, mit dem man sich nicht nur Freunde macht. Er geht seit 40 Jahren auf die Jagd. Sein Vater war Förster und nahm ihn mit. Es scheint eine Tradition zu sein bei den Waldgelehrten in Sachsen. Auch die Väter von Carlowitz und Cotta waren Forstmänner.

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