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Foto: Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele
Foto: Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele

Mika Kares und Ausrine Stundyte als Herzog Blaubart und Judith beim umjubelten Opernauftakt der Salzburger Festspiele.

Premiere in Salzburg
27.07.2022

Die Salzburger Festspiele beginnen in Schwarz

Von Richard Mayr

Dunkler ist kaum vorstellbar: Die Doppelpremiere von Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" und Orffs "De temporum fine comoedia" bei den Salzburger Festspielen berührt existenzielle Urnöte.

Schwarz muss man mögen für diesen Salzburger Premierenabend. Wie zum Kontrast der gleißend hellen Sommertage huldigt der Opernauftakt der Salzburger Festspiele der Dunkelheit. Zwei eher kürzere Werke hat Festspielintendant Markus Hinterhäuser zusammengespannt. Erst Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“, im Anschluss Carl Orffs Spätwerk „De temporum fine comoedia“. Regisseur Romeo Castelucci und Dirigent Teodor Currentzis praktizieren dreidreiviertel Stunden lang eine perfekte Arbeitsteilung: Ersterer zaubert immer neue Spukbilder in der Nacht und überlässt es dem Dirigenten, die Farben musikalisch hinzuzufügen.

So wird auch den Schwarzsehern, die hinter diesen Premierenabend schon vor Monaten ein großes Fragezeichen gesetzt haben, etwas in ihrem Sinn geboten. Denn es hatte ja die Rufe danach gegeben, dass die Festspiele die Zusammenarbeit mit dem griechisch-russischen Stardirigenten Currentzis und vor allem seinem Chor MusicAeterna wegen des Ukraine-Krieges aufkündigen müssten. Ein Benefizkonzert, das Currentzis in Wien mit seinem MusicAeterna-Orchester zugunsten der Ukraine geben wollte, wurde abgesagt, weil die Ukraine kein Geld von dieser Veranstaltung annehmen wollte, vor allem weil sich MusicAeterna von der mit westlichen Sanktionen belegten, kremlnahen russischen VTB-Bank sponsern lässt.

Auf dem Programm der Salzburger Festspiele 2022: "Herzog Blaubarts Burg"

Aber: Festspiel-Intendant Hinterhäuser stand zu Currentzis. Keine Absage also. Und nun kurz vor der Premiere hat Currentzis sogar ein Interview für das Fernsehen gegeben, wo er zuvor Anfragen bislang nicht beantwortet hat. Im österreichischen Servus-TV hat er gesagt, dass Demokratie für ihn viel bedeute. Und weiter: „Nur wenn wir so denken, kommen wir voran und können die Zukunft verbessern. Wenn wir die Ideen des anderen nicht akzeptieren, tappen wir in eine Falle und landen in einem anderen System.“ Also: Keine Absage trotz Schwarzseherei und ein Dirigent, der nur hinter vorgehaltener Hand sagen kann, was er denkt.

Damit Vorhang auf – allerdings bleibt die Bühne dunkel in Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“. Ähnlich wie in der Münchner Staatsopern-Produktion von Katie Mitchell zuletzt bekommt die Salzburger Inszenierung einen eigenen Dreh durch eine Rahmenhandlung. Wo sonst Blaubart in frauenopfernder Weise Judith als dritte Trophäe in seiner menschenverschlingenden Sammlung aufnimmt, deutet Castelucci das radikal um, ohne dem Libretto von Béla Balázs Gewalt anzutun. Ein Baby wimmert zu Beginn, danach schluchzt eine Frau auf. Geburt und Tod, die zuvor stattgefunden haben. Die sieben Türen der dunklen, feuchten Blaubart-Burg, die Judith geöffnet haben möchte, werden zu Symbolen der Zerrissenheit, des Wahns, ja der Psychose, in die Judith immer tiefer versinkt.

Castelucci findet Bilder, die sich nicht nur wegen der in Flammen stehenden Requisiten einbrennen. Das tote Baby wird anfangs gebettet und bedeckt, Blaubart und Judith nehmen Abschied. Später reißt Judith den leblosen Leib wieder an sich, will das Geschehene leugnen. Blaubart versucht, die Liebe von einst in Judith wieder zu entflammen, verführt sie zum Tanz. Aber das fruchtet nur kurz und lässt Judith nach jeder neuen Tür nur umso tiefer fallen.

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Applaus und Jubel für den ersten Teil des Abends bei den Salzburger Festspielen

Mika Kares als Blaubart strahlt mit seinem Bass bis zum Schluss eine Ruhe und auch Kraft aus, dass man an eine Rettung glauben möchte. Aber gegen den Sog, der von Ausrine Stundytes Judith ausgeht, hat er keine Chance. Sie zeigt sich einmal mehr in Salzburg als phänomenale Sängerin und Darstellerin. Gesang, Spiel und Emotion sind bei ihr untrennbar verwoben, machen es unmöglich, das eine vom anderen zu trennen. Sie reißt das Publikum hinab in ihre Schmerzens- und Wahnwelt. Das berührt zutiefst, weil Currentzis mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester in die Partitur wach und feinfühlig eintaucht, er hier das Gesungene unterstreicht und dort einen Kommentar gibt und im Finale gleich doppelt trifft, erst in der kolossalen Steigerung und dann dem kaum hörbaren, hauchzarten Verklingen im tiefen Schwarz. Applaus und Jubel.

Aber wer geglaubt hat, dass es nach der Pause in diesem Stil weitergeht, hat sich getäuscht. Carl Orff hat in seinem Spätwerk „De temporum fine comoedia“ einen gänzlichen anderen Weg eingeschlagen. Von der Komödie im Titel darf man sich auf keinen Fall täuschen lassen, es sei denn, man empfindet Dantes „Göttliche Komödie“ als Schwank. Orff hat sich in diesem Spiel vom Ende der Zeit mit den letzten Dingen auseinandergesetzt: dem großen göttlichen Weltengericht, dem Menschen und seiner Schuld, aber auch der Frage, was mit dem Bösen beim Jüngsten Gericht geschieht. Intellektuell ein Werk für bibelfeste Sinnsucher und philosophiebegeisterte Latein- und Griechischliebhaber. Man sollte beides sein, um gedanklich der apokalyptischen Vision versetzt mit Ideen der Vorsokratiker und des Häretikers Origenes folgen zu können.

Festspiele in Salzburg: Ganz anders wird es bei Carl Orffs "De temporum fine comoedia"

Ganz anders die Musik, die Orff nicht als Idee, sondern als vielköpfiges Überwältigungsspektakel angelegt hat: Das Orchester groß, viel Schlagwerk und damit auch viel Rhythmus. Drei Flügel und Ungewohntes wie Ratschen und Gläser und Glasharfe dienen dazu, diese großen, oft bedrückenden, aber auch entrückenden Klangräume zu schaffen. Wenn spät die Trompeten von der Seite erklingen, meint man buchstäblich himmlische Fanfaren zu hören. Die Vielzahl von Chören, dieses Großaufgebot an Stimmen schafft geisterhaft beschwörende Momente, wenn Phrasen wiederholt werden: Dann wird der Mensch in seiner existenziellen Not sichtbar. Wenn alle zusammen ihr „Weh“ bis an die Schmerzgrenze anschwellen lassen, muss dieser Aufschrei auch außerhalb der Felsenreitschule zu hören gewesen sein.

Mal geht dieser Orffsche Weltuntergang, den Currentzis, das Gustav-Mahler-Jugendorchester, die Sängerinnen und Sänger, der MusicAeterna Chor sowie der Bachchor Salzburg und der Kinderchor der Salzburger Festspiele anstimmen, wie ein Gewittersturm über das Publikum hinweg, dann wieder wird es leise und intim wie in einem hingehauchten Zwiegespräch des Menschen mit dem Göttlichen.

Wieder taucht Castelucci die Handlung in tiefe Nacht, belässt er die schwarzen Bühnenvorhänge als Hintergrund. Es wäre so einfach und naheliegend für den Regisseur gewesen, die Apokalypse mit Bildern der Gegenwart zu unterlegen. Aber jeder im Saal bringt Bilder des Ukraine-Kriegs oder von brennenden Landschaften in Europa mit. Warum anrühren, was längst da ist? Stattdessen nimmt der Regisseur die Herausforderung an, Orff philosophisch und religiös zu folgen.

Jubel und Applaus bei den Salzburger Festspielen

Mit einer Steinigungsszene beginnt der Abend, mit dem Menschen und seiner archaischsten Rechtsform. Später deuten Männer an, einen Baum zu fällen, den sie erst verehrt haben. Das folgende Bild lässt am Baum an eine Kreuzigung denken - der christliche Glaube löst die alten Religionen ab. Wenn zum Strafgericht die Menschen wieder auferstehen aus den Gräbern, wirft das jenseits einer gewissen Zombieästhetik auch die Frage auf, was uns an Individualität bleibt, wenn wir an die Auferstehung glauben. „Meine Haut“ steht umgedreht im Bühnenhintergrund, während vorne alle gleich aussehen. Zu Orffs großer Schluss-Wendung, dass das Böse am Ende geläutert wird, Luzifer wieder zum Lichtträger wird, der gefallene Engel wieder Eingang in die göttliche Ewigkeit findet, knien auch Herzog Blaubart und Judith auf der Bühne. Dort also schimmert Hoffnung für den Menschen auf.

Es folgen noch einmal Jubel und Applaus, nun auch für die Regie und vor allem auch für Teodor Currentzis und sein Orchester. Anders als die kleine Demonstration vor den Festspielen, die zu Beginn „Wölfe im Schafspelz“ bei den Salzburger Festspielen angeprangert hat, steht das Publikum einhellig hinter dem griechisch-russischen Dirigenten.

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