Die Sicherheit von Jüdinnen und Juden darf nicht zur Diskussion stehen

25.05.2021

Debatten um Antisemitismus sind Ablenkungsmanöver, um einer Einsicht auszuweichen – wir Deutsche müssen ihn bekämpfen, ganz gleich wo und von wem.

Es ist nicht einfach nur „schön“ oder „erfreulich“, dass Menschen jüdischen Glaubens wieder auf deutschem Boden leben, nur wenige Jahrzehnte nach dem unfassbaren Menschheitsverbrechen, das zum Ziel hatte, genau dieses jüdische Leben in Deutschland für immer auszurotten. Es ist: einfach unfassbar schön. Dass so viele Jüdinnen und Juden uns Deutschen nach diesem Verbrechen eine zweite Chance gegeben haben, Deutschland als ihre Heimat zu begreifen, ist der vielleicht größte Vertrauensvorschuss der Weltgeschichte.

Daraus ergibt sich eine ungeheure Verantwortung – wer „Nie wieder!“ sagt, muss daraus den Auftrag ableiten, dass diese Menschen in Deutschland stets sicher sind. Wir kommen diesem Auftrag aber nicht nach, wir werden ihm – und ihnen – nicht gerecht.

Die Demonstrationen der vergangenen Tage zeigen: Wir werden unserem Anspruch nicht gerecht

Die Demonstrationen der vergangenen Tage und Wochen haben dies gezeigt, auf denen sich hinter angeblicher (und in Punkten ja durchaus berechtigter) Israelkritik auch die Fratze des Antisemitismus zeigte. Rechte Gewalt – wir erinnern uns bitte daran, dass nur eine Synagogen-Tür in Halle 2019 die Auslöschung jüdischen Lebens durch einen deutschen Rechtsextremisten verhinderte – zeigte dies ebenso.

Und es zeigte so manche Demonstration der jüngeren Zeit, in der wirre Teilnehmer die Corona-Politik mit dem Nazistaat verglichen – und das Klischee vom reichen Juden bedienten, der ja von einer globalen Krise profitiere, sie vielleicht gar angezettelt habe.

Das ist alles schlimm genug. Schlimmer wird es noch, wenn Leute nun ganz klare Meinungen parat haben, wie das alles einzuordnen sei. Für die einen liegt es am „importierten Antisemitismus“, der auf die Masseneinwanderung von Muslimen zurückgehe, die nun einmal von blindem Hass auf Juden getrieben seien. Für die anderen können diese gar keinen solchen Hass kennen, denn sie seien ja selber traumatisiert, Opfer halt – und außerdem: Was stelle Israel denn alles an? Und dann sind noch jene, die lauthals beschwichtigen, man dürfe doch wohl als Deutscher nach so vielen Jahren wieder thematisieren, wenn „die Juden“ als globale Strippenzieher agierten …

Sollten ausgerechnet wir Deutsche wirklich einen Begriff wie „importierten Antisemitismus“ benutzen?

Jeder Debattenbeitrag ist in seiner eigenen Form absurd. Sollten ausgerechnet wir Deutsche wirklich einen Begriff wie „importierten Antisemitismus“ benutzen? Als sei der vorher in Deutschland nie ein Thema gewesen und als hätten wir Deutsche uns mit dem Holocaust nicht als Weltmeister im Antisemitismus erwiesen? Genauso schüttelt es einen, wenn muslimischer Judenhass zum Tabu-Thema erklärt wird. Ja, oft sind diese Menschen Opfer Mächtiger, die sie indoktrinieren und aus eigener Berechnung Judenhass schüren. Dennoch hat auch jeder seinen eigenen Kopf – und Hass muss man bekämpfen, egal in welchem Kopf. Dass in Köpfen, die eine jüdische Weltverschwörung hinter dem Coronavirus wittern, ganz vieles furchtbar durcheinander ist, ist ohnehin klar.

Vor allem aber sind all diese vermeintlichen Erklärungsversuche Ablenkungsmanöver – von der Einsicht, dass wir uns Antisemitismus in jeder Form entgegenstemmen müssen. Ja, wir müssen diesen unter Muslimen bekämpfen, notfalls bis hin zur Ausweisung – aber auch mit Aufklärung, die wir anscheinend nicht hinbekommen. Wir müssen aber zugleich ganz wach auf Deutsche schauen, die offenbar glauben, wieder Judenhass schüren zu können. Und all denen, die glauben, sie könnten mit antisemitischen Klischees spielen, weil sie ja unter Corona leiden, müssen wir zeigen, wie unverschämt sie sind.

Es ist unsere Verantwortung als Deutsche, dass Jüdinnen und Juden sich unter Deutschen sicher fühlen. Man kann immer viel diskutieren. Das aber nicht.

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