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Bergsteigen: Das ist doch die Höhe: In Livigno dreht sich alles um die Berge

Bergsteigen

Das ist doch die Höhe: In Livigno dreht sich alles um die Berge

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    Ganz oben der Blick auf den Gipfel des Monte Vago (2904 m), darunter der Blick auf den Cotschen (3104 m) und im untersten Foto der Blick auf  Livigno, ganz weit unten im Tal, umgeben von zehn 3000 Meter hohen Bergen.
    Ganz oben der Blick auf den Gipfel des Monte Vago (2904 m), darunter der Blick auf den Cotschen (3104 m) und im untersten Foto der Blick auf Livigno, ganz weit unten im Tal, umgeben von zehn 3000 Meter hohen Bergen. Foto: Cordula Homann

    Mittendrin zwischen riesigen Bergen tief unten im Tal liegt Livigno. Im Sommer beschaulich, im Winter ein Wahnsinn: Zwei lange Straßen führen durch das Tal, 33 Lifte und 150 Kilometer Piste zweigen davon ab. Kaum liegt Schnee, füllt sich der Ort: 1,8 Millionen Wintertouristen pro Saison reisten vor der Corona-Pandemie an. Wer Anfang Mai etwa aus dem sonnigen Südtirol ankommt, landet in einer völlig anderen Welt. Denn dann liegt in Livigno teils immer noch Schnee. Die Straßen und Pisten sind voller Menschen, ihre Stiefel knacken auf der Straße. Die Jüngsten werden mit Mini-Liften und -Wettbewerben auf die Bretter gelockt.

    Im Spätsommer ist es 20 bis 25 Grad warm und mit bis zu 600.000 Sommertouristen wenig los. Rund 700 Livigner arbeiten dann in der Schweiz. Drei Gondeln und ein Sessellift sind noch im Einsatz. Und rundherum zehn 3000 Meter hohe Gipfel. Matt und blank leuchten sie in der Sonne. Man möchte direkt los, rauf zum Gipfelkreuz. Nur ist das gar nicht so einfach, wie sich noch herausstellen wird. Diese Erfahrung machte der Zoll schon früher; die Kontrollen rund um Livigno waren zu beschwerlich. Und im Winter kam früher sowieso nichts und niemand raus. Bis in die 1960er Jahre wurde geschmuggelt. Dann wurde im Winter die Straße nach Bormio freigeräumt und der Skizirkus begann. Nun soll auch der Sommer boomen.

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    Foto: Cordula Homann

    Wenn man durch den Ort mit den reizenden Steinhäusern bummelt, vor deren Fenstern gewaltige Arrangements mit Petunien und Geranien, vorbei an den vermeintlich günstigen Luxusgütern und den vielen Restaurants, kommt man schnell in Urlaubslaune. An jeder Ecke werden E-Bikes, Wanderschuhe oder andere Sportartikel angeboten, steuerfrei. Wen wundert’s, wenn die Schweizer da gerne zum Einkaufen rüberkommen, angeblich auch gerne per Helikopter. Immerhin: Eine Ferienwohnung kaufen können sie nicht. Die Häuser werden nur an Einheimische verkauft, erzählt Letizia Ortalli. Sie kam der Liebe wegen vor vier Jahren von Bormio her und arbeitet für das Tourismusbüro. Stolz zeigt sie ein Video vom Langlauf im August. Da wurde der Rest-Schnee, der sich unter einer Plane gehalten hatte, auf eine Straße gekippt über die unter lautem Gejohle Langläufer jagten. „Wenn es ein Ziel gibt, dann packen hier alle mit an. Das sind sie, die Menschen in Livigno. Pragmatisch und fleißig.“

    Jedes Wochenende in den großen Ferien sei ein Fest. Heute haben sich alle historische Kostüme angezogen und zeigen altes Handwerk, verkaufen selbst gemachte Marmelade, stellen historische Bilder ihrer Häuser oder ihrer Ahnen auf die Straße, spielen Musik und ratschen. Es sieht gemütlich aus – aber wo will man auch hin? Der nächste Flughafen in Mailand oder Zürich ist vier Stunden Fahrt entfernt.

    Extremsportler kommen nach Livingo zum Höhentraining

    Besonders Extremsportler zieht es ins Tal. Sei es zum Wandern, zum Höhentraining, für Mountainbike-Touren oder zum Downhillbiken. Sie reisen für Kurztrips mit dem eigenen Campingwagen an. Auch die Hotels haben sich darauf eingestellt, mit großen Ski-/Fahrradkellern und Vergünstigungen: Familienhotels bieten zum Beispiel die freie Teilnahme an Familienwanderungen mit Bergführern an, Aktivhotels kostenlose Kayak-Touren oder Touren zum Klettergarten Avventurando im Val delle Mine an. Rabatte zu geführten Bike-Touren/-Shuttles oder zum Bike-Skill-Center gibt’s in den Bike-Hotels. So flexibel sind auch die Berge: Wo Mario sonst mit Skitourengehern Wege ins Tal sucht, jagen im Sommer in enge Rüstungen geschnürte Biker hinab. Aus Ski- werden Radeltore, blaue, schwarze und rote Pisten haben die gleiche Bedeutung. Für Laien sieht das gefährlich aus – und das ist es auch.

    Wie schön ist doch da zur Einstimmung eine E-Bike-Tour. Doch auf den malerischen Start auf einem Feldweg, vorbei an pfeifenden Murmeltieren, folgt eine Achterbahnfahrt durch einen schmalen, von Wurzeln, Steinen, Löchern und Hügeln gesäumter Pfad durch den Wald. Wer den Tipp beherzigt, und das Rad laufen lässt, wird gnadenlos durchgerüttelt. Professionell im Sattel stehen, können nur die Profis – die davonjagen, als würde das Abendessen warten. Wer stattdessen per Knopfdruck den Sattel bis auf Kniehöhe herablässt, und sich zusammenduckt, spürt jeden einzelnen Stein. Erst als die Reifen Asphalt berühren, löst sich die Anspannung.

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    Foto: Cordula Homann

    Und ist am nächsten Morgen wieder voll da. Mario Mottini, 62 Jahre alt, führt durch den Klettergarten Avventurando. Wer überhaupt nicht schwindelfrei ist, noch nie einen Klettergurt trug und freiwillig niemals in 45 Metern Höhe an einem Drahtseil über eine Schlucht gleiten würde – ist Marios ganzes Glück. Da kann der Italiener motivieren, fordern, loben – und mit dem wettergegerbten Gesicht strahlen, wenn der Anfänger nicht nur alle Prüfungen besteht, sondern vom Adrenalin gepuscht selbst anfangen muss zu grinsen. Und dazu der Stolz, es geschafft zu haben. Die Gruppe wird mit jeder Herausforderung etwas entspannter. Irgendwann werden an der Seilrutsche die ersten Faxen aufgeführt. Und Mario freut sich riesig.

    Zum Abendessen werden Wild oder klassische Bergmannskost mit Nudeln, Käse und Gemüse oder Getreide aufgetischt, kaum Pizza und Pasta. Zur Vorspeise gehören Bündnerfleisch und Käse, zum Nachtisch Schnaps; Taneda oder Braulio. Speisekarten gibt es in vielen Sprachen, gesprochen wird, anders als im benachbarten Südtirol, mit Gästen gerne englisch. Das liegt an dem internationalen Publikum. Früher, vor Corona, kamen die Touristen laut Letizia vor allem aus Polen oder Tschechien, aus Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Die Lockdowns trafen Livigno brutal. Umso mehr wird nun darauf gehofft, dass im Dunst der Olympischen Winterspiele 2026 der Ort bekannter wird. In Livigno werden die Freestyle- und Snowboard-Wettbewerbe stattfinden.

    Blickfang ist der Gipfel des 3130 Meter hohen Cotchen

    Am nächsten Tag geht es mit der Gondel nach oben. Dort fällt zuerst ein großer Spielplatz auf, daneben die Ski- und Bike-Tore. Bergführer Mario greift in den Kies vor sich, der in vielen Farben leuchtet: Kalk, Vulkangestein und Gips, erklärt der Italiener. Blickfang hier oben ist der 3130 Meter hohe Gipfel des Cotchen, drüben, hinter dem Val Federia. Schwarz, rosa, weiß und grau leuchtet er in der Sonne. Mario erzählt, dass Bekannte, die Ziegen halten, unglaubliche Kräfte in den Händen haben. „Wer hier den Tieren hinterklettern und sie dann noch melken muss, der wird stark“, sagt er und lacht.

    Die Wanderung ist fast eben. Teils wird der Pfad allerdings sehr schmal und Mountainbiker wollen auch vorbei. Das Ziel ist einer Schutzhütte, ein Baitel am Gipfel des Monte delle Rezze. Darin ist alles, was man für eine fröhliche Übernachtung brauchen kann: Bänke, die sich in breite Holzbetten verwandeln lassen, eine vollausgestattete Küche, Lebensmittel und Alkohol. Der Blick der Toilette (ohne Tür) geht gen Monte Vago. Der angepeilte 3000er, also eigentlich „nur“ 2904er. Ziel des nächsten Tages.

    Nicht jeder schafft es so einfach bis zum Gipfel

    Zwei Probleme zeigen sich unterwegs. Erstens: Schilder oder Markierungen gibt es nicht. Entweder man sieht den Pfad und kann sich am Gipfel orientieren oder nicht. Das sei gewollt, sagt Letizia. Für Anfänger oder Familien gäbe es eigene Touren, die Unterstützung der Hotels samt Vermittlung von Guides. Zweitens: Oberhalb der Baumgrenze ist Schatten rar, gerastet wird auf einem flachen Stein sitzend. Dann gilt es: Drei Wanderinnen, keine war je so weit oben, alle sind zwischen 45 und 50 alt, blicken auf die letzten Meter bis zum Gipfel.

    Die Jüngste fängt bei 2800 Höhenmetern zu maulen an, weil es auf den Grat geht, keine Seile zur Verfügung stehen und sie erkennt: Hinweg und Rückweg sind gleich. Die Motivation sinkt auf null. Außerdem schmilzt die Schokolade im Rucksack und die Aussicht auf Piz Bernina und Co ist auch so schon atemberaubend. Die zweite stapft mutig los, kehrt aber wenige Meter später kreidebleich um, denn links und rechts geht’s steil bergab.Die Älteste kommt zwar oben an. Auf die Frage, wie’s war, antwortet sie kopfschüttelnd: „Vogelwild.“ Schon fühlen sich anderen zwei besser. So einfach, wie es klingt, ist es eben nicht.

    Gut zu wissen

    • Anfahrt Livigno ist entweder über die Schweiz erreichbar. Das letzte Stück führt durch den nur einspurig befahrbaren Ofenpass, ein besonderes Abenteuer. Oder man kommt über Südtirol nach Livigno.
    • Wohnen Es gibt unzählige Unterkünfte in Livigno. Ein Aktivhotel ist etwa die Montivas Lodge, ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet ab 72 Euro.
    • Tourismus Von Dezember bis Mai dauert die Wintersaison. Vom Skikurs über Skitourengehen bis zur Schussfahrt ist alles möglich. Mitte Juni startet dann die Sommersaison und die präparierten Skipisten werden zu so genannten Flowtrails für Mountainbiker.
    • Olympia Vom 6. bis 22. Februar 2026 werden die Olympischen Spiele in Italien stattfinden. Die Freestyle- und Snowboard-Wettbewerbe werden in Livigno ausgetragen.

    Die Recherche wurde unterstützt von Livigno Tourismus.

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