Herr Bussmann, die ins Uferlose steigende Bürokratie und die damit verbundene Regelungsdichte stellen doch sicher einen Wachstums-Motor für ein Prüf-Unternehmen wie den TÜV dar. Sind Sie damit eine der wenigen Unternehmer, der Bürokratie gut findet?
Johannes Bussmann: Das Gegenteil ist der Fall.
Das müssen Sie erklären.
Bussmann: Die überbordende Bürokratie in Deutschland und Europa erschwert es Unternehmen zunehmend, neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Und es gibt immer mehr Behörden, die diesen Prozess der Innovation beaufsichtigen und damit zum Teil ausbremsen. Wir brauchen nicht noch mehr Behörden und sollten Bürokratie dort abbauen, wo sie nicht zielführend ist. Allerdings darf der Bürokratieabbau nicht dazu führen, dass wichtige Schutzstandards – für Mensch und Umwelt – untergraben werden. Privatwirtschaftliche und unabhängige Prüfunternehmen wie der TÜV Süd können flexibler als Behörden auf aktuelle Anforderungen reagieren und Firmen bei der Entwicklung und Markteinführung ihrer Produkte viel besser begleiten.
Was muss der Staat also konkret tun?
Bussmann: Der Staat sollte der Industrie und dem Zusammenspiel der einzelnen Markteilnehmer mehr Vertrauen entgegenbringen. Ein Beispiel dafür ist Medizintechnik, wo es darum geht, Menschenleben mit besseren Operationsmethoden zu retten oder die Lebensqualität von Kranken mit besseren Medizinprodukten zu erhöhen. Hier bremst die Bürokratie mitunter lebenswichtige Innovationen aus. Es liegt im Interesse der Industrie, ja es liegt aber vor allem im Interesse der Menschen, dass neue Verfahren und Medizinprodukte sicher und möglichst schnell verfügbar sind. Dabei spielen die Prüf- und Zertifizierungs-Unternehmen eine entscheidende Rolle, die den gesamten Zulassungsprozess von Medizinprodukten begleiten.
Doch es gibt schwarze Schafe, denen man auf die Finger klopfen muss.
Bussmann: Natürlich müssen schwarze Schafe juristisch verfolgt werden. Man darf aber nicht aus einem schwarzen Schaf eine ganze Herde schwarzer Schafe machen. Unternehmen werden Länder wie Deutschland verlassen, wenn ihnen von staatlicher Seite zu viel Misstrauen entgegengebracht wird. Wir müssen die sprichwörtliche hohe Qualität unserer Produkte sicherstellen, ohne die Unternehmen mit unnötiger Bürokratie zu überhäufen. Genau das ist die Aufgabe von unabhängigen Prüfunternehmen wie dem TÜV Süd.
Die neue Bundesregierung muss also massiv Bürokratie abbauen.
Bussmann: Es muss etwas Grundlegendes passieren, um Europa und damit auch den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Deutschland allein kann das Problem nicht lösen. Wir müssen handeln – und zwar sofort, sonst fallen Europa und Deutschland im weltweiten Wettbewerb noch weiter zurück.
Auflagen können jedoch auch segensreich sein. So sind E-Scooter und Pedelecs immer wieder in Unfälle verwickelt. Müssten diese Fahrzeuge nicht wie Autos regelmäßig zum TÜV, um technische Mängel zu entdecken und Unfälle zu verhindern?
Bussmann: Ich glaube nicht, dass wir für alles Gesetze brauchen. Schon heute bringen Menschen Pedelecs zu uns, wenn sie diese gebraucht verkaufen oder kaufen wollen. Solche elektrischen Fahrräder kosten ein paar tausend Euro, da wollen viele mit einem Schaden- oder Wertgutachten auf Nummer sicher gehen, dass die elektrischen Zweiräder in Ordnung und damit ihr Geld wert sind. Ich würde jedenfalls nicht ein paar tausend Euro für ein gebrauchtes Rad ausgeben, das nicht fachmännisch geprüft wurde.
Sie lehnen demnach einen Zwangs-TÜV für Pedelecs ab, oder?
Bussmann: Eine verpflichtende Hauptuntersuchung für Pedelecs halten wir nicht für nötig, letztlich ist das aber eine Entscheidung des Gesetzgebers.

Steigen die Gebühren für die TÜV- und Abgas-Untersuchung weiter an? Autos werden in Deutschland im Schnitt immer älter, was den Testern Mehrarbeit beschert.
Bussmann: Das liegt nicht in unserer Hand. Die Entscheidung über Gebührenerhöhungen fällt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr, wobei die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist. Wir müssen dafür die Kosten für die Aufrechterhaltung unserer Prüfinfrastruktur nachweisen. Nachdem die Gebühren sieben Jahre nicht angetastet wurden, gab es zum 1. Februar 2025 lediglich eine geringe Erhöhung. Das ist sicher fair angesichts einer langen Phase steigender Preise und Löhne.
Findet der TÜV noch ausreichend Fachkräfte?
Bussmann: Noch gelingt uns das. Dabei stellen wir hohe Anforderungen an unsere Mitarbeitenden. Mehr als 60 Prozent unserer Beschäftigten weltweit haben einen Hochschulabschluss, rund 90 Prozent davon in einem technischen Fachgebiet. Wir legen großen Wert darauf, unsere Mitarbeitenden kontinuierlich weiter zu qualifizieren. Für viele Bereiche sind Zusatzausbildungen vorgeschrieben. Auch die Sachverständigen, die viele Autofahrer von ihrem Besuch in unseren Service-Centern kennen, sind in der Regel Ingenieure mit einer Zusatzausbildung. Das gilt genauso für unsere Mitarbeitenden, welche die Fahrerlaubnisprüfungen abnehmen.
Die deutsche Industrie mit all ihren Ingenieuren steckt in der Krise und baut zehntausende Arbeitsplätze ab. Wie sieht die Job-Bilanz des TÜV Süd aus?
Bussmann: Wir sind weltweit in knapp 50 Ländern an über 1000 Standorten tätig, um Produkte, Anlagen und Systeme zu prüfen – von Teddybären, über Textilien, Autos, Zügen oder Achterbahnen bis zu Herzschrittmachern oder Windenergieanlagen. Seit 2010 hat sich die Zahl unser Beschäftigen fast verdoppelt und wir werden weiter wachsen – organisch und durch Übernahmen anderer Unternehmen wie zuletzt in Dänemark, Schweden und den USA.
So waren nach den letzten veröffentlichten Zahlen beinahe 28.000 Frauen und Männer für den TÜV Süd tätig. Wie viele sind es aktuell?
Bussmann: Die Zahl unserer Beschäftigten ist auf knapp 30.000 gestiegen, wobei mehr als 14.000 in Deutschland arbeiten. Wie viele andere Unternehmen stehen auch wir vor der Herausforderung, den demografischen Wandel zu bewältigen und qualifizierten Nachwuchs für die Baby-Boomer-Generation zu finden, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand geht. Zudem müssen wir den Know-how-Transfer hinbekommen. Denn die Baby-Boomer haben in 30 bis 40 Jahren im Beruf eine enorme Erfahrung angehäuft – und auf Erfahrung kommt es in unserem komplexen Prüfgeschäft ganz wesentlich an.
Woran liegt es, dass der TÜV Süd noch ausreichend Hochschul-Absolventen, ob Elektro-Ingenieure, Chemiker oder Mediziner, für sich gewinnen kann?
Bussmann: Dass wir uns bislang noch personell gut verstärken können, liegt sicher auch daran, dass wir ein familienfreundliches Unternehmen sind. Und wir bieten Weiterbildung auf allen Ebenen sowie spezielle Entwicklungsprogramme an. Etwa Hochschul-Absolventen haben bei uns die Möglichkeit, komplette technische Systeme zu verstehen. Sie müssen sich nicht wie häufig in der Industrie auf Teilbereiche beschränken. Was auch spannend ist: Entwicklungsabteilungen von Unternehmen binden unsere Expertinnen und Experten frühzeitig in Innovationen ein. So haben unsere Sachverständigen sich schon mit der Sicherheit von Antriebsbatterien auseinandersetzt, als E-Autos noch ein Nischen-Thema waren.
Zur Person: Johannes Bussmann, 56, hat an der RWTH Aachen ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik als Diplom-Ingenieur abgeschlossen und als Doktor-Ingenieur im Bereich Verbrennungstechnologie promoviert. Seine berufliche Laufbahn startete Johannes Bussmann 1998 als Produktingenieur bei ABB in Mannheim. Ein Jahr später wechselte er zu Lufthansa Technik nach Hamburg als Entwicklungsingenieur. Bussmann übernahm für das Unternehmen verschiedene Management-Positionen in Deutschland und Singapur, ehe er 2012 Mitglied des Vorstands von Lufthansa Technik und 2015 Vorstandsvorsitzender des Unternehmens wurde. Seit Januar 2023 ist der Manager CEO, also Chef der in München sitzenden TÜV SÜD AG. In diesem Jahr wechselt er zurück in die Luftfahrtindustrie und wird Vorstandsvorsitzender des Münchner Triebwerksherstellers MTU Aero Engines.
Sehr fragwürdiger Bericht, das stimmt doch nicht. "Nachdem die Gebühren sieben Jahre nicht angetastet wurden, gab es zum 1. Februar 2025 lediglich eine geringe Erhöhung.." Der 1.2.25 kommt erst noch, wieso "gab" es schon eine Erhöhung. Ich fahre jedes Jahr mit einem PKW zu HU/AU (TÜV Süd). Jedes Jahr wird es min. 10EUR teurer...z.Zt. 150EUR f. HU/AU. Nix 7Jahre nicht erhöht, das ist gelogen. 3-Jahres Intervall würde auch ausreichen, die Hersteller werben schließlich mit Qualität.
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