
In der Woche des Weltwirtschaftsforums geht es in Davos um die ganz großen Fragen. Mal wieder. Die elitäre Runde steht für ein System, das nicht mehr funktioniert.
Wenn es so ist, wie es in seinen Statuten geschrieben steht, dass also das Weltwirtschaftsforum „den Zustand der Welt“ verbessern möchte, dann ist in den Graubündener Bergen spektakulär viel zu erledigen. Man könnte auch sagen, dass es in den vergangenen Jahren eher nicht gelungen ist, das selbstgesetzte Ziel auch nur annähernd umzusetzen. Oder, dass die Welt im Begriff zu sein scheint, spektakulär an sich selbst zu scheitern.
Spitzenpolitikerinnen und Unternehmer, Tycoone und Ökonominnen wollen die „Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt“ diskutieren. Zersplittert trifft es ziemlich gut. Und zwar in einem Maße, dass sich zwingend die Frage stellt, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem global in der Lage ist, zumindest manche dieser Splitter wieder zu etwas Stabilerem zusammenzusetzen.
Oxfam: Die Reichen werden immer reicher
Mal ein paar Fakten, die ganz gut zeigen, was im Argen liegt: Wie immer vor Davos hat die Entwicklungsorganisation Oxfam den Bericht zur sozialen Ungleichheit veröffentlicht. Unter dem provokanten wie treffenden Titel „survival of the richest“ ist die wesentliche Erkenntnis: Die Reichen werden immer reicher. Seit Beginn der Corona-Pandemie, so Oxfam, habe das reichste Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses kassiert. Gleichzeitig leben 1,7 Milliarden Beschäftigte in Ländern, in denen Lebenshaltungskosten schneller steigen als Löhne. Erstmals seit 25 Jahren, betont Oxfam, haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen. Weiter schreiben die Kapitalismuskritiker, dass 95 Lebensmittel- und Energiekonzerne weltweit ihre Gewinne im Jahr 2022 mehr als verdoppelt haben. Sie erzielten demnach 306 Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen und schütteten 257 Milliarden US-Dollar (84 Prozent) davon an Aktionärinnen und Aktionäre aus. Umgekehrt leiden rund 828 Millionen Menschen – also etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde – an Hunger. Fast 60 Prozent davon: Frauen und Mädchen.
Damit ist nur eine der Unwuchten beschrieben, die das Weltwirtschaftssystem offensichtlich hervorgebracht hat. Und das, nachdem in den vergangenen Jahren – vor der Pandemie und bevor Russland die Ukraine überfiel – der globale Wohlstand durchaus gewachsen war. Damit hier kein Missverständnis entsteht: Die Marktwirtschaft, und vor allem die soziale Marktwirtschaft, viele mutige Unternehmerinnen und Unternehmer, haben gerade Deutschland reich gemacht und Generationen ein Leben in wachsendem Wohlstand ermöglicht. Das System hat sehr gut funktioniert. Zu gut.
Die Einführung der Übergewinnsteuer kann nur der Anfang der Umverteilung sein
Dass unser vergleichsweise sehr üppiges Leben aber auf Kosten anderer geführt wurde und wird, beklagen längst nicht nur die üblichen Verdächtigen. Um nur einen besonders bekannten herauszugreifen: Ray Dalio, Gründer des weltweit größten Hedgefonds Brigewater Associates, sagte zuletzt dem Spiegel über den Kapitalismus: „Werden gute Dinge übertrieben, drohen sie sich selbst zu zerstören. Sie müssen sich weiterentwickeln oder sterben.“ Seine Plädoyer: Wenn Wohlstand und Reichtum nur noch einseitig verteilt würden, wenn Arme keine Chance mehr hätten, dann gehöre der Kapitalismus grundlegend reformiert. Der Mann ist kein verträumter Utopist, sondern ein nüchtern kalkulierender Zahlenmensch. Nachzulesen ist das in seinem jüngsten Buch „Weltordnung im Wandel – Vom Aufstieg und Fall von Nationen“. Zugleich kommt es immer wieder vor, dass Millionäre dazu aufrufen, sie mögen höher besteuert werden. Zuletzt zum Beispiel Marlene Engelhorn, Enkelin des BASF-Gründers Friedrich Engelhorn.
Es fehlt nicht an Einsichten. Es fehlt aber an Umsetzung. Die Einführung einer Übergewinnsteuer ist sicher ein guter wie schwierig zu gestaltender Ansatz. Sie kann aber auch nur der Anfang einer Umverteilung sein.
Ökonomin Mariana Mazzucato: "Es braucht den Neuentwurf des gesamten Potenzials"
Wohin ökonomische Perspektivlosigkeit der Massen führt, daran kann man sich 100 Jahre nach 1923 durchaus erinnern. Krieg herrscht schon wieder in Europa und er fördert nicht, dass sich die Weltgemeinschaft der gemeinsamen Aufgaben besinnt: Zur Polykrise gehören ja nicht nur die wachsende Ungleichheit, die sozialer und politischer Sprengstoff ist, die Kriege (Ukraine) und drohenden Konflikte (Taiwan), dazu gehört vor allem der drohende Klimakollaps – mit ausgelöst von einem Jahrzehnte gültigen Wachstumsimperativ.
Zentral, meint etwa die Innovationsökonomin Mariana Mazzucato, ist – dass sich die Staaten quasi wieder selbst ermächtigen. Sie schreibt in „Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft“: „Um den Kapitalismus anders anzugehen, braucht es einen Neuentwurf des gesamten Potenzials". Der Markt alleine, werde es eben nicht richten. Es brauche den Staat, der sehr klar sage, wo es lang geht. „Es braucht“, schreibt die Frau, die auch die Bundesregierung und Wirtschaftsminister Habeck inspiriert, „eine fundamental neue Beziehung zwischen allen Wirtschaftsakteuren...“ Beisammen wären sie alle, in Davos.
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Die Bundeszentrale für politische Bildung hat da eine prima Zusammenfassung gemacht:
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/private-haushalte-einkommen-und-konsum/329977/vermoegen-im-europaeischen-vergleich/
>> In Ländern mit einem hohen Anteil an Haushalten mit selbst genutzten Immobilien ist die Vermögensungleichheit dagegen eher gering. <<
Ein wesentlicher Baustein linkssozialistischer Armuts- und Kontrollpolitik ist die Verhinderung von privatem Immobilieneigentum!
Man kann sich über solche AZ Artikel nur noch wundern; es ist im Grunde geradezu töricht dafür auch noch Geld zu bezahlen, wenn echte Premium Informationen (noch) gratis im Netz stehen.
Ein wesentlicher Baustein des westlichen Wohlstandes ist und bleibt Bevölkerungskontrolle!
Afrika 1950 - 240 Mio Einwohner - die könnten heute ein prächtiges Leben führen!
Interessant, wie auch hier einige der betroffenen Reichen keine Kritik an ihrem großen Reichtum zulassen. Trotzdem heute ein er-
folgreicher Tag für Lindner und die FDP. Muss nur noch der Soli für die Superreichen vom Verfassungsgericht gekippt werden, dann
ist die 5-6 %-Partei FDP der große Sieger. Dies hat die FDP für ihre Klientel eingeklagt. Der frühere Finanzminister Dr.Theo Waigel
( CSU ) hat unlängst bei Lanz angemahnt, dass jetzt in der Zeit der hohen Preise und Mieten den Ärmsten geholfen werden müsse, den Kleinverdienern, den Kleinrentnern und den vielen alleinerziehenden Frauen. Wie lange darf Lindner diese Gerechtigkeitslücke
noch ignorieren ?
Solange die Reichen immer reicher werden, ist auch der Kapitalismus nicht am Ende ;-)
Aber viele Menschen werden nicht mehr vom Kapitalismus profitieren wie bisher :-(
Letztendlich profitieren alle vom Kapitalismus, die einen mehr die anderen weniger. Wer finanziert denn den deutschen Staat? Diejenigen mit einem Bruttoeinkommen von 1500€?
"Wer finanziert denn den deutschen Staat? Diejenigen mit einem Bruttoeinkommen von 1500€?"
Nach halten die mit den 1500€ dieses perverse Schweinesystem am Laufen und profitieren am allerwenigsten . . .
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/steuertricks-grosser-konzerne-kapitalismus-pervers-a-1261496.html
Das Land am Laufen? Ein paar Ackerwege könnte man pro Jahr anlegern.
@ WOLFGANG B.
Hörte das Heer der deutschen Hunger- und Niedriglöhner plötzlich auf zu arbeiten, würden Sie sehr schnell dieses Land nicht mehr wiedererkennen.
"Wer finanziert denn den deutschen Staat? Diejenigen mit einem Bruttoeinkommen von 1500€?"
Die mit den besten Steuerberatern und -tricksern ganz sicher nicht. Es soll multinationale Konzerne geben, bei denen die Putzfrauen mehr Steuern zahlen als der ganze Konzern . . .
"Triicksen" im Rahmen der Gesetze ist in Ordnung. Liegt doch nicht an denen die sich auskennen. Und wenn jemand seine Steuerlast von 100.000€ auf 70.000€ oder weniger verringert - er zahlt immer noch ein Vielfaches gegenüber dem 1500€ Beschäftigten. So ist es halt.
Warum ist es nur für Konzerne nicht aber für Arbeitnehmer möglich, mittels einer Briefkastenadresse seine Steuern in einem Land zu entrichten, das auf GewInne niedrige, bzw. auf Einkommen gar keine Abgaben erhebt, z. B. Katar?
...und in derselben Zeitung wird immer wieder in Kommentaren der Klimaaktivismus diffamiert und Klimaaktivist*innen als eine Gruppe mit "Eigeninteressen" gelabelt. Gleichzeitig werden in solchen Kommentaren Werbeblöcke für den Klimazerstörer Nr.1 in Europa, RWE geschaltet. Zynismus aus: Danke für diesen Lichtblick im dunklen Grundrauschen Ihrer Zeitung. Ihr Kommentar kann nur bestätigt werden. Mariana Mazzucato ist im Wirtschaftsteil der AZ (glaube ich) noch nie aufgetaucht. Weiter so. Wir haben genug Lobeshymnen und Lobbyisten-Interviews gelesen.
Aus einem Oxfam-Bericht ein Schlagzeile wie „Warum der Kapitalismus seine Grenzen überschritten hat“ abzuleiten, ist schon verwegen.
Da Oxfam ja die Vermögensverhältnisse misst, kommt dann z.B. raus, dass wir Deutschen im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt liegen und damit in Europa wohl eher Richtung Armut tendieren.
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/private-haushalte-einkommen-und-konsum/329977/vermoegen-im-europaeischen-vergleich/
Und wenn dann die Wirtschaft in einem Land wie Venezuela, in dem mit Sicherheit nicht kapitalistische Wirtschaftsmethoden gelebt werden, zusammen bricht, misst Oxfam einen massiven Vermögensverlust.
Den misst Oxfam auch, wenn in einem Land wie Libyen die Bevölkerungszahl explodiert. Was hat das mit Kapitalismus zu tun?
Und wenn unter den reichsten 100 Personen der Welt
https://whoswho.de/sonderseite/die-100-reichsten-menschen.html#
11 Russen und 5 Chinesen sind, so ist deren Reichtum nun ganz sicher nicht auf „Kapitalismus“ zurück zu führen.
Auch kommt man, dieser Liste der Reichsten folgend, auf ein Vermögen von etwa 2 Billonen Dollar. Zum Vergleich - nur in Deutschland werden pro Jahr ca. 1 Billionen Euro in Umverteilungstöpfe genannt Sozialausgaben gespeist. (PRO Jahr!!)
Und völlig absurd wird es, aus dem von Oxfam erstellten Zahlengebirge eine „Übergewinnsteuer“ zur Weltenrettung abzuleiten. Diese Maßnahmen würde die Verhältnisse in der Liste der „100 Reichsten der Welt“ nur weiter Richtung China oder Russland verschieben. Es würden die gestärkt, die am wenigsten für Menschlichkeit eintreten und am wenigsten kapitalistisch produzieren. Und da eine Übergewinnsteuer nun wirklich gar nix an den Vermögensverhältnissen ändert, würde Oxfam diese Maßnahme noch nicht mal messen können.