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Foto: Patrick Pleul, dpa
Foto: Patrick Pleul, dpa

Der Wegfall der Corona-Maßnahmen könnte sich laut Experten auf die saisonalen Erreger auswirken - unter anderem auf die Grippeviren vom Typ Influenza-A (IAV).

Corona-Maßnahmen
05.05.2021

Diese Krankheiten werden durch Corona-Maßnahmen selten

Von Sören Becker

Plus Durch die Corona-Maßnahmen werden auch Grippe und andere ansteckende Krankheiten selten. Wie stark der Effekt ist und woran das liegt.

Bernhard Baur ist kurz vor dem Ruhestand, doch vorher hat er noch einmal viel zu tun. Der Diedorfer Allgemeinmediziner hat mit Corona-Tests und Impfberatungen kaum eine freie Minute. "Wir arbeiten hier alle auf Anschlag", sagt er. Doch viele Krankheiten, die er sonst behandelt, sind deutlich seltener geworden.

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"Wir haben sehr viel weniger Infekte", erzählt Baur. Das bedeutet: Patienten mit Grippe, Schnupfen, Durchfall und anderen ansteckenden Krankheiten kommen deutlich seltener in seine Praxis. Baur schätzt den Rückgang auf etwa 90 Prozent. Er schreibt das hauptsächlich den Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu. Viele ansteckende Krankheiten werden durch das Einatmen von Tröpfchen übertragen. Zudem bedeuten weniger Kontakte weniger Ansteckungsmöglichkeiten - für das Coronavirus genauso wie für alle anderen Keime. Auch offizielle Statistiken belegen die Beobachtungen von Baur.

RKI: "Grippe-Aktivität auf einem außergewöhnlich niedrigen Niveau"

Das Robert-Koch-Institut (RKI) überwacht nicht nur die Infektionszahlen des Coronavirus, sondern unter anderem auch die der zahlreichen Influenzaviren. Diese verursachen einen Großteil der Erkrankungen, die im Volksmund als Grippe bezeichnet werden. "In der Grippesaison 2020/2021 blieb die Influenza-Aktivität auf einem außergewöhnlich niedrigen Niveau", heißt es im neuesten Bericht der "Arbeitsgruppe Influenza" des RKI. Die Zahl der bundesweit im Labor nachgewiesenen Fälle sei um über 99 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der analysierten Proben nur um 20 Prozent gesunken sei.

In absoluten Zahlen bedeutet das 533 Grippefälle, die vom Beginn der Grippesaison Anfang Oktober 2020 bis zum Ende des Berichtszeitraums am 25. April 2021 gemeldet wurden. Im Vorjahreszeitraum, der größtenteils frei von Corona-Maßnahmen war, waren es fast 186.000 Fälle. Verstärkt wurde der Effekt wohl durch die deutlich höhere Zahl an Grippeimpfungen. So haben sich laut dem Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung zeitweise doppelt so viele Menschen wie üblich diese Impfung abgeholt. "Man hat auch bei uns in der Praxis gemerkt, dass viel mehr Menschen sich gegen Grippe impfen lassen wollten", erzählt Baur.

Diese Krankheiten wurden durch die Corona-Maßnahmen seltener

Das RKI hat auch weitere Infektionskrankheiten untersucht: In einer Untersuchung der Behörde aus dem Februar kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass Infektionskrankheiten - ausgenommen Covid-19 - um 35 Prozent seltener geworden sind. Beobachtet wurden die Fallzahlen zwischen März und August 2020, die mit dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 verglichen wurde. "Es kann davon ausgegangen werden, dass die im Rahmen der Covid-19-Pandemie getroffenen Public-Health-Maßnahmen Einfluss auf das Auftreten von Infektionskrankheiten genommen haben", lautet der Schluss der Wissenschaftler. Allerdings sei auch zu beobachten, dass manche Menschen in der Corona-Pandemie seltener zum Arzt gehen und daher nie in der Statistik auftauchen. Das kann auch Baur bestätigen: "Viele Leute gehen nicht zum Arzt und verschleppen ihre Krankheiten", sagt er. Das könne die Behandlung unter Umständen erschweren.

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Besonders stark schlägt sich das bei Krankheiten nieder, die wie das Coronavirus per Tröpfcheninfektion übertragen werden. Bei Masern beträgt der Rückgang beispielsweise rund 86 Prozent, bei Keuchhusten 63 Prozent. Auch Darminfekte sind deutlich zurückgegangen. Schwere Durchfallerkrankungen wie Magen-Darm-Entzündungen, Shigellose und Infektionen mit dem Rotavirus sind um 83 Prozent seltener gemeldet worden.

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Auch die Reisebeschränkungen schlagen sich in der Volksgesundheit nieder. Tropenkrankheiten wie Dengue-Fieber und Malaria sind beide in Deutschland um etwa 75 Prozent seltener geworden. Nur eine Krankheit wurde laut Statistik deutlich häufiger diagnostiziert: Die Frühsommer-Meningoenzephalitis, besser bekannt als FSME, wurde 57 Prozent häufiger verzeichnet. FSME wird durch Zeckenbisse übertragen, daher könnte der Anstieg durch mehr Zeit in der Natur zu erklären sein.

Corona-Maßnahmen wirkten sich auch auf Krankschreibungen aus

Den Rückgang vieler Infektionskrankheiten belegt auch eine Analyse von Krankschreibungen durch die Techniker Krankenkasse. Die Krankschreibungen wegen Grippe und grippalen Infekten sind zwischen 2019 und 2020 um etwa zehn Prozent zurückgegangen. Bei Magen- und Darmerkrankungen liegt der Rückgang bei etwa acht Prozent. Bei Atemwegserkrankungen ist sogar ein Rückgang von 22 Prozent zu verzeichnen. "Die Daten lassen darauf schließen, dass die Abstands- und Hygieneregeln auch dafür sorgen, dass sich andere Infektionserreger nicht so schnell verbreiten wie vor der Pandemie", wird der Vorstandsvorsitzende Jens Baas in einer Pressemitteilung zitiert.

Doch die geringere Infektionswahrscheinlichkeit hat auch Nachteile. Wenn die Pandemie vorbei ist, rechnet Baur mit einem Anstieg von Infektionskrankheiten: "Unser Immunsystem verlernt, sich zu verteidigen, wenn es keinen Kontakt mit Erregern hat", erklärt er. Das könnte dazu führen, dass sich mit dem Wegfall der Maßnahmen deutlich mehr Menschen anstecken als in einem normalen Jahr. "Aber das sollte man nicht so negativ sehen. Gegen diese Infektionen bilden die Leute dann auch wieder Antikörper."

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