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Foto: Marius Becker, dpa / Christoph Schmidt, dpa (Symbolbild)
Foto: Marius Becker, dpa / Christoph Schmidt, dpa (Symbolbild)

In sozialen Netzwerken kursieren Aufrufe, nach denen Eltern Blutspenden von Ungeimpften suchen. Netzwerke von Impfgegnern im Raum Augsburg verbreiten sich.

Augsburg
25.05.2023

Eltern suchen Ungeimpften-Blut für krankes Kind: Mediziner sind "alarmiert"

Von Max Kramer

Plus Ein krankes Kind braucht eine Bluttransfusion. Die Eltern sind Corona-Impfgegner – und bemühen einschlägige Netzwerke im Raum Augsburg. Experten äußern Sorgen.

Es scheint ernst zu sein. Die paar Zeilen sind mit vielen Ausrufezeichen und Großbuchstaben garniert, man sei "echt sehr verzweifelt", heißt es, die Rede ist von „großer Sorge“. Schließlich geht es um ein krankes Kleinkind. Name, Alter und Blutgruppe werden da genannt, ausführlich auch die Krankengeschichte inklusive einer anstehenden Operation. Und dann das, worum es den beiden Eltern geht: Man habe nun das Problem, dass das Kind "wahrscheinlich Fremdblut braucht und wir keinesfalls Geimpftenblut wollen!" In dem Aufruf, der derzeit in sozialen Netzwerken wie Telegram kursiert, wird klar: Die Eltern suchen erstens gezielt Blutspender ohne Corona-Impfung – und zweitens einen Weg, Gesetze zu umgehen.

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Die Eltern des Kleinkinds leben nach Informationen unserer Redaktion im Allgäu, in Umlauf brachte den Aufruf allerdings das Bürgerforum Schwaben. Der Verein mit Sitz in Königsbrunn steht hinter Demos im Raum Augsburg, die sich einst insbesondere gegen Corona-Maßnahmen richteten. Schnell kursierte die Nachricht auch im Netzwerk regionaler Corona-Impfgegner, etwa in der Telegram-Gruppe "Augsburg und Umland – Ungeimpfte helfen". Der erste Aufruf erreichte mehrere Tausend Personen, einen Tag danach meldete sich das Bürgerforum Schwaben erneut – mit einer "Aktualisierung": "Geeignete Spender wären gefunden", heißt es dort. Allerdings sei es laut Gesetz nicht möglich, "einfach" Blut für das Kind abzugeben. "Wer uns nun juristisch helfen kann, wie man diese Gesetze umgehen kann" und wie man dem Kind helfen könne, "problemlos von geeigneten Spendern das Blut zu erhalten", möge schreiben. Man habe zudem bereits "Safeblood" kontaktiert.

Impfgegner suchen in sozialen Netzwerken nach Ungeimpften-Blut

"Safeblood" ist eine Plattform im deutschsprachigen Raum, die nach eigenen Angaben Blutkonserven von Personen vermittelt, die nicht mit mRNA-Impfstoffen geimpft wurden. Sie ist damit Teil eines Impfgegner-Netzwerks, das im Raum Augsburg bis zur Partnervermittlung reicht. Ob und in welchem Ausmaß "Safeblood" tatsächlich Konserven vermittelt, lässt sich kaum überprüfen. Das Konzept dahinter, nach dem es gerade mit Blick auf die mRNA-Impfung "sauberes" und "unsauberes" Blut gebe, wird aber in sozialen Netzwerken gezielt gestreut - und kam auch in medizinischen Einrichtungen in Augsburg schon zur Sprache.

Aufrufe wie der zum kranken Kleinkind sind beim Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Augsburg bekannt. Zwar habe man selbst noch keine entsprechenden Anfragen zu Ungeimpften-Blut erhalten, sagt Pressesprecher Patric Nohe. "Indirekt werden wir aber immer wieder damit konfrontiert", sagt er. In sozialen Medien kämen in diesem Zusammenhang etwa Fragen auf, ob man beim Blutspendedienst zwischen geimpftem und ungeimpftem Blut unterscheide. "Das ist nicht der Fall", betont Nohe. Der Impfstatus werde nicht abgefragt. Auf Basis des aktuellen Wissensstands sei es nach einer Corona-Impfung mit den zugelassenen Präparaten nicht erforderlich, entsprechende Spenden zurückzustellen.

Telegram-Aufruf zu Blutspende: Augsburgs Kinderklinik-Direktor "alarmiert"

Viele wichtige medizinische Eingriffe sind nur wegen moderner Transfusionsmedizin möglich. Das Prozedere von der Spende bis zum Verabreichen ist gesetzlich geregelt, streng überwacht - und grundsätzlich sicher, betont Michael Frühwald, Direktor der Kinderklinik am Uniklinikum Augsburg (UKA). Die Therapie mit Blutkomponenten sei "oftmals eine lebensrettende Maßnahme", gleichzeitig gebe es viel zu wenige Spender für die entsprechenden Präparate. Er sei deshalb "alarmiert", wenn er Aufrufe wie den zum kranken Kleinkind sehe. 

Nach Einschätzung des Mediziners geschieht bei der Impfung immunologisch nichts wesentlich anderes als bei einer Infektion. "Eine vorausgegangene Impfung - sei es mit einem RNA- oder anderen Impfstoffen - macht eine Blutkomponententherapie, insbesondere eine Transfusion von roten Blutkörperchen, auf keinen Fall gefährlicher." Sich Spenden von einer bestimmten Person zuweisen zu lassen, wie im Aufruf zum Kleinkind erbeten, ist demnach meist nicht plausibel. Medizinisch sei in der Regel wesentlich sinnvoller, "das ideal passende Produkt" aus dem vorhandenen Pool aller Spender zuzuweisen.

Impfstatus ist Krankenhäusern nicht bekannt

Manche Krankenhäuser wie die KJF Klinik Josefinum oder das Diako hatten nach eigener Auskunft bislang noch nicht mit expliziten Fragen nach Ungeimpften-Blut zu tun. Doch es gibt diese Fälle, wenn auch nicht im großen Stil. "Die Betroffenen wollen ausdrücklich Blut von nicht geimpften Spendern bekommen", sagt der Mitarbeiter einer großen medizinischen Einrichtung in Augsburg. Vielleicht fünfmal sei dies bislang passiert. "Die Antwort ist dann klar und schlicht: Der Impfstatus des Spenders ist uns nicht bekannt." Eine Person, die beruflich ebenfalls bereits mit dem Wunsch nach Ungeimpften-Blut zu tun hatte, spricht von "sehr tief sitzenden Überzeugungen" bei den Betroffenen. Diesen wissenschaftlich zu begegnen, sei "extrem schwer". Wenn man aber klarmacht: ,Hey, es kann hier um Leben oder Tod gehen' - dann springen sie meistens doch über ihren Schatten."

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