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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

Das Haus von Gisela Aeckerlein im Münchner Glockenbachviertel ist seit über 100 Jahren in Familienbesitz. Doch ob die Rentnerin ihren Nachfahren das Gebäude hinterlassen kann, ist ungewiss.

Wohnen der Zukunft
15.02.2022

Soziale Vermieterin in München: Der Fluch des Erbes

Von Marco Keitel

Gisela Aeckerlein könnte ihr Haus in München für fünf Millionen Euro verkaufen. Doch sie vermietet die Wohnungen lieber günstig und sozial verträglich. Dem droht ein Ende.

Das Glockenbachviertel im Zentrum Münchens ist über die Stadtgrenzen hinaus bayernweit bekannt. Beliebt ist es wegen des Isarufers und zahlreicher Ausgehmöglichkeiten. Doch die Beliebtheit hat ihren Preis: Für einen Quadratmeter Wohnfläche zahlen hier viele Menschen mehr als 20 Euro Miete. Anders ist es im Haus von Gisela Aeckerlein, nur fünfzig Meter von der Isar entfernt. Das Mauerwerk im Erdgeschoss ist olivgrün gestrichen, ein Schaufenster gibt den Blick in einen Bilderrahmenladen frei. Ein Geschäft, das wirkt wie aus einer vergangenen Zeit – genauso, wie die günstige Miete für die vier Wohnungen in den Stockwerken darüber. Gisela Aeckerlein verlangt neun Euro pro Quadratmeter – nicht einmal die Hälfte dessen, was üblicherweise in der Nachbarschaft gezahlt wird.

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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

Im Haus mit der olivgrünen Fassade im Erdgeschoss ist die Miete günstiger als in den meisten Gebäuden des Münchner Viertels. Die hohe Erbschaftssteuer wirft die Frage auf, wie lange das so bleiben kann.

Die 83-Jährige lebt selbst in dem Haus. Ein weitläufiges Treppenhaus mit hölzernen Stufen führt hinauf in ihre Wohnung. Sie empfängt an diesem Februarvormittag in ihrem Wohnzimmer und wirkt ruhig und gefasst. Und das obwohl ihr Engagement, um das sie sich ihr ganzes Leben lang bemüht hat, zu scheitern droht. Wohnen ist für die Seniorin ein Grundrecht, deshalb hat sie die Miete immer niedrig gehalten. "Das ist meine Überzeugung", sagt sie. "Damit man überhaupt zu sich selbst finden kann, braucht man einen Ort, wo man für sich ist."

Soziale Miete in München: Das Problem ist die Erbschaftssteuer

Das Problem ist: Aeckerlein würde das Haus, das seit 101 Jahren in Familienbesitz ist, nach ihrem Tod gerne ihren Nachkommen hinterlassen. Doch wenn das geschieht, müsste ihre Tochter, die die Wohnungen weiterhin günstig vermieten will, eine Erbschaftssteuer in Höhe von 800.000 Euro bezahlen. Der Grund für die hohe Summe ist der Bodenwert im Viertel, der herangezogen wird, um den Wert einer Immobilie zu ermitteln. Doch der Betrag ist für Aeckerleins Nachfahren unbezahlbar.

Im Glockenbachviertel schießen die Preise von Verkauf zu Verkauf nach oben. Das belegen Anzeigen für Wohnungen, die die Rentnerin ausgedruckt und in einer dicken Mappe vor sich auf dem Tisch liegen hat. "Ich habe stundenlang im Internet geforscht", sagt sie. Den Wert ihres Hauses schätzen Experten mittlerweile auf fast fünf Millionen Euro, 2006 war es noch eine Million. Für die Rentnerin kein Grund zur Freude, denn sie weiß um die verheerenden Folgen, wenn das Haus an ihre Erben übergeht. Als sie darüber spricht, verliert sie für einen Moment ihre Ruhe und ruft: "Die Investoren überbieten sich. Das macht ein Vererben hier unmöglich." Denn es besteht die Gefahr, dass auch Aeckerleins Haus irgendwann in die Hände dieser, wie sie sagt, "Hyänen" fällt, die das Maximum an Miete herausholen.

Was wird aus den Mietern? "Die würden rausgeekelt"

Die Tochter der Rentnerin kann sich die Erbschaftssteuer mit ihrem Gehalt als Marktleiterin einer Drogeriekette nicht leisten. Aeckerlein musste etwas unternehmen: "Ich hatte ursprünglich in meinem Testament stehen: Das Haus bitte nicht verkaufen." Die Passage habe sie gestrichen, weil die Hürden der Erbschaftssteuer bei einem sozialen Mietniveau unüberwindbar seien. Doch was würde es für die Mieterinnen und Mieter bedeuten, wenn das Haus nach Aeckerleins Tod verkauft werden müsste? "Die würden genauso rausgeekelt, wie überall hier in der Umgebung", sagt die Seniorin.

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Diese Befürchtung bestätigt Rechtsanwalt Rudolf Stürzer, der sich schon seit Jahren mit ähnlichen Fällen beschäftigt. Er ist Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins München. "In der Regel kauft das kein Privater, sondern ein Investor", sagt Stürzer, "der lässt dann sofort prüfen, wie er die Miete erhöhen kann und schaut, dass er die billigen Mietverhältnisse loswird."

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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

Gisela Aeckerlein auf der Treppe ihres Hauses im Münchner Glockenbachviertel.

Das Szenario, das er beschreibt, beunruhigt Sabine Ertle, eine Mieterin Aeckerleins. "Das macht uns schon etwas nachdenklich, vielleicht auch ängstlich", sagt sie mit ernstem Blick. "Wenn das dann doch so ein Investor schnappt, dann sind wir raus." Die 59-Jährige lebt seit 23 Jahren gerne in ihrer Wohnung und erinnert sich noch an eine Zeit, als das Glockenbachviertel ein Arbeiterviertel war. Die Angestellte bei der Stadt geht davon aus, dass sie sich mit ihrer Rente keine Wohnung in München und vielleicht nicht einmal mehr im Umland leisten können wird.

Erbschaftssteuer als Mietpreis-Treiber: Das Problem ist nicht neu

Ein Problem, das in der Politik bekannt ist. Auch dem bayerischen Finanzminister Albert Füracker (CSU). "Die Erbschaftsteuer darf nicht ein treibender Faktor dabei sein, dass Wohnimmobilien nicht von einer Generation in die nächste übertragen werden können", sagt er gegenüber unserer Redaktion. Sein Vorschlag wäre, dass die Länder über die Höhe der Erbschaftssteuer entscheiden und nicht der Bund. Dafür werde er sich auch weiter vehement einsetzen, so der Minister.

Aeckerlein hat eigene Ideen, wie Vermietern und Vermieterinnen wie ihr geholfen werden könnte. Seien zwei Faktoren erfüllt, sollte die Erbimmobilie steuerfrei bleiben: "Auf zehn Jahre kein Verkauf – Mietsteigerungen nur um die Inflationsrate." Die Idee findet auch Anwalt Rudolf Stürzer gut. Alternativ schlägt er vor, die Erbschaftssteuer einer Immobilie nicht mehr nach dem Wert auf dem Papier, sondern nach dem Ertrag, den sie bringt, zu berechnen. "Dann ist der soziale Vermieter geschützt."

In Augsburg ist die Miete wesentlich günstiger als in München, steigt aber

Wie hoch die Preisspirale die Mieten in München mittlerweile getrieben hat, zeigt ein Vergleich mit Augsburg. Dort kosten Mietwohnungen im Schnitt knapp neun Euro pro Quadratmeter, also die Miete, mit der Gisela Aeckerleins Wohnungen in München am unteren Rand des Preisspektrums sind. Doch auch in Schwaben beklagen sich die Menschen über eine 20-prozentige Steigerung in den vergangenen vier Jahren. Im Münchner Glockenbachviertel zahlt man mancherorts fast das Dreifache.

Mal abgesehen von der Sorge um ihre Mieterinnen und Mieter kommt ein Verkauf für Gisela Aeckerlein auch aus emotionalen und familiären Gründen nicht in Frage. 1921 kaufte ihr Großvater das Haus, der Vater zog dann vor dem Krieg mit der Familie in den Osten, wo er Arbeit hatte. Ihre Jugend verbrachte Aeckerlein in der DDR. Nach einer Studienreise nach Westberlin sei sie stundenlang von der Stasi verhört worden. "Eine Schreibtischlampe war auf mich gerichtet, hat geblendet bis zum Gehtnichtmehr." Später floh die damals 18-Jährige alleine in den Westen – und zog zurück in das Haus ihres Großvaters. Ihr Haupteinkommen hat die ehemalige Lehrerin später nie aus den Mieteinnahmen bezogen. "Ich wohne in dem Haus – aber ich lebe nicht davon." Sie betont: "Hier wohnten mein Vater und mein Großvater. Da hängen Bindungen dran."

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