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Foto: Sebastian Gollnow, dpa
Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Viele Kinder sind derzeit krank.

Gesundheitsversorgung
27.11.2022

Kinderärzte in Schwaben stellen vorerst keine Atteste mehr für Schulen aus

Von Markus Bär

Plus Die Kinderarzt-Praxen sind voll. Und das liegt derzeit eher nicht an Corona. Die Ärzte betonen: "Wir haben momentan keine Zeit für letztlich überflüssige bürokratische Bedürfnisse".

Die Lage bei den Kinderärztinnen und Kinderärzten in Schwaben ist ernst. Viele Praxen erleben derzeit einen Ansturm an kranken Kindern, den sie kaum noch bewältigen können. Eltern berichten gegenüber unserer Redaktion, dass ihnen in den Praxen derzeit keine Atteste mehr ausgestellt werden, um damit gegenüber einer Schule die Erkrankung ihrer Kinder nachzuweisen. Mit dem Verweis darauf, dass es in den Praxen für solche Formalien keine Zeit mehr gebe. 

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"Wir stellen massive Nachholeffekte fest, die sich nun im Gefolge der Corona-Schutzmaßnahmen einstellen"

Das bestätigt Dr. Christian Voigt, Obmann der Kinderärzte in Augsburg und Oberschwaben. "Ja, wir sind nicht nur rappelvoll, sondern überrappelvoll." Das sei ganz eindeutig an den Fallzahlen abzulesen. Darum könne man sich jetzt nicht auch noch um das Ausstellen von Attesten kümmern. "Wir haben derzeit 30 Prozent mehr Patienten als vor Corona." Das sei nicht nur ein Phänomen in seiner Praxis, sondern im Prinzip überall zu beobachten. "Wir stellen massive Nachholeffekte fest, die sich nun im Gefolge der Corona-Schutzmaßnahmen einstellen."

Was heißt das? Dadurch, dass die Kinder lange isoliert waren, fand der "natürliche" Austausch an Erregern nicht statt. Jetzt, wo sich die Menschen wieder deutlich vermehrt treffen, kommt es also dazu, dass sich Infekte durch diese Erreger sozusagen geballt einstellen. Was weniger mit Corona selbst zu tun hat. Voigt verweist hier eher etwa auf Grippe, Infektionen mit Streptokokken, Magen-Darm-Erkrankungen und solche mit sogenannten RS-Viren, also dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). 

Kaum mehr ein freies Kinderbett

Es führt laut Robert-Koch-Institut (RKI) insbesondere bei Kleinkindern vermehrt zu Erkrankungen und Krankenhauseinweisungen. Der Kinder-Intensiv- und Notfallmediziner Florian Hoffmann etwa sagt zur Entwicklung bei Kleinkindern: "Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben." In mehreren Bundesländern, darunter eben in Bayern, aber auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gebe es schon jetzt kaum mehr ein freies Kinderbett in Kliniken, so Hoffmann, der auch Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München ist. Er sprach von "Katastrophenzuständen". Familien mit kranken Kindern müssten teils in der Notaufnahme auf einer Pritsche schlafen. Das sei für Deutschland ein Armutszeugnis. Viele betroffene Kinder seien schwer krank und müssten beatmet werden. 

An RSV kann man in jedem Alter erkranken, aber vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Erreger bedeutsam. Es kann sich um eine einfache Atemwegsinfektion handeln, aber auch schwere Verläufe bis hin zum Tod sind möglich. Zu Risikopatienten zählt das RKI zum Beispiel Frühgeborene und Kinder mit Lungen-Vorerkrankungen, aber auch generell Menschen mit Immunschwäche oder unterdrücktem Immunsystem. 

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Gerade vor diesem Hintergrund hat Dr. Christian Voigt keinerlei Verständnis für "letztlich überflüssige bürokratische Bedürfnisse" wie das Ausstellen von Attesten, um sein erkranktes Kind gegenüber einer Schule zu entschuldigen. "Das ging ja bei Corona auch", so Voigt. Das müsse in der jetzigen Situation ebenfalls möglich sein. Er bitte im Namen der Kinderärzte die Schulleitungen darum, auf mögliches Einfordern von Attesten zu verzichten. Und Eltern sollten den Mut haben und einfach sagen: "Mein Kind ist krank. Punkt." Und das der Schule so mitteilen. Des weiteren bittet Voigt darum, dass Eltern derzeit wirklich nur in gut begründeten Fällen eine Kinderarztpraxis aufsuchen - nicht aber etwa bei leichten Erkältungen oder leichtem Fieber. Damit sich die Ärztinnen und Ärzte um die schweren Fälle kümmern können. Etwa Kinder mit akuter Luftnot oder Babys, die nichts mehr trinken. "Die brauchen momentan unsere besondere Aufmerksamkeit", so der Kindermediziner. (mit dpa)

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