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Foto: Maurizio Gambarini
Foto: Maurizio Gambarini

Aktuell sind viele Menschen krank – und die Augsburger Hausarztpraxen entsprechend ausgelastet.

Augsburg
27.11.2022

Aufnahmestopps in Praxen: Hat Augsburg ein Hausärzte-Problem?

Von Andrea Wenzel

Plus Die Erkältungswelle macht viele Arztpraxen in Augsburg gerade "rammelvoll". Einige nehmen keine neuen Patienten auf. Dazu stehen immer mehr Ärzte kurz vor der Rente.

"Tut, tut, tut" schallt es in kurzer Abfolge aus dem Telefonhörer. Besetzt. Auch der Anruf bei einer weiteren Augsburger Hausarztpraxis läuft ins Leere: "Derzeit sind alle Abfrageplätze belegt." Viele Patientinnen und Patienten brauchen gerade Geduld, wenn sie ihre Hausarztpraxis erreichen wollen. Wer neu aufgenommen werden will, hat es mitunter schwer. Vielfach herrscht ein Aufnahmestopp. Eine Erkältungswelle trifft auf Corona und kranke Patienten auf teils überfüllte Praxen. Dabei ist Augsburg laut Statistik mit Hausärzten sogar überversorgt – und die Zahl der Erkältungspatienten laut Experten der Jahreszeit entsprechend normal. Theorie und Praxis scheinen nicht immer im Einklang zu sein.

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In einer Arztpraxis in Lechhausen ist derzeit "Land unter". Sowohl viele Patientinnen und Patienten der Gemeinschaftspraxis liegen mit Erkältungen und der echten Grippe flach als auch die Ärztinnen und Ärzte selbst, erzählt eine Sprechstundenhilfe. Teils hätten die Erkrankten starke Symptome, schildert sie. Vor allem jüngere Menschen zwischen 20 und Mitte 40 treffe es diesmal härter. Weil in den vergangenen zwei Jahren viel Maske getragen und auf Abstand gegangen wurde, seien Patientinnen und Patienten jetzt wohl anfälliger, das habe Folgen.

Beobachtungen, die auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Augsburger Hausarztpraxen unserer Redaktion schildern. Eine überproportionale oder gar besorgniserregende Erkältungs- oder Grippewelle sehen die meisten dennoch nicht. Vielmehr seien Patientinnen und Patienten nach Corona eine richtige Erkältung nicht mehr gewohnt, die Zahl der Erkrankten daher vielleicht aus subjektivem Empfinden heraus besonders hoch. 

Statistisch gesehen herrscht in Augsburg kein Mangel an Hausärzten

Auch Dr. Jakob Berger, Vorsitzender des Schwäbischen Hausärzteverbands, will keine Panik machen. "Das, was wir derzeit sehen, ist die normale Herbstwelle, wie wir sie aus Vor-Corona-Zeiten kennen", so Berger. In der Regel handle es sich auch um Erkältungen und nicht die echte Grippe. Diese erreiche meist erst im Januar oder Februar ihren Höhepunkt. 

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Foto: Wolfgang Widemann
Foto: Wolfgang Widemann

Dr. Jakob Berger ist Bezirksvorstand Schwaben des Bayerischen Hausärzteverbands und praktiziert in Wemding.

Obwohl Ärzte die Lage als weitestgehend normal einstufen, sind viele Praxen derzeit "rammelvoll" und Ärztinnen und Ärzte laut ihren Sprechstundenhilfen damit beschäftigt, ihre Patientinnen und Patienten wenigstens annähernd innerhalb der Sprechzeiten zu versorgen. Wer einen Termin braucht, bekommt auch einen. Wer allerdings nach einem neuen Hausarzt sucht, stößt vielfach auf Ablehnung. "Ich habe manchmal Patienten in der Leitung, die mir sagen, wir seien der fünfte oder sechste Hausarzt, den sie anfragen", erzählt die Sprechstundenhilfe einer Praxis in der Innenstadt. Dabei ist Augsburg laut Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) mit einem Versorgungsgrad von 109 Prozent sogar überversorgt. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?

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Augsburgs Hausärzte werden immer älter

Der KVB zählt auch Stadtbergen, Diedorf, Gersthofen und Königsbrunn zu Augsburg. Für diese Region gelten die 109 Prozent. Von den 268 praktizierenden Hausärzten sind 199 in Augsburg niedergelassen. Einen richtigen Mangel erkennt Dr. Jakob Berger anhand der Zahlen nicht. Noch könne auch jeder frei werdende Arztsitz nachbesetzt werden. Er räumt aber ein, dass das subjektive Empfinden der Patientinnen und Patienten von der Aussage der Statistik abweichen kann – beispielsweise, weil ausgerechnet am eigenen Wohnort die Praxen voll sind und niemanden mehr aufnehmen. 

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

Die Nase läuft, der Hals kratzt, der Schädel dröhnt: Durch Deutschland rollt eine Erkältungs- und Grippewelle. Doch was unterscheidet eine Erkältung von einer richtigen Influenza? Und wie können sich Menschen schützen? Fragen und Antworten:

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN EINER ERKÄLTUNG UND EINER GRIPPE? Ein grippaler Infekt, wie eine Erkältung auch genannt wird, hat mit der echten Grippe nichts zu tun. Beide werden durch verschiedene Erreger verursacht. Eine Grippe wird durch Influenzaviren ausgelöst, Erkältungen werden von mehr als 30 verschiedenen Erregern hervorgerufen wie zum Beispiel Rhino- und Coronaviren. Zu den Erkältungssymptomen zählen Halsschmerzen, Schnupfen und Husten, seltener auch erhöhte Temperatur oder Fieber. In Einzelfällen, etwa bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem, kann jedoch auch eine Erkältung zu schweren Komplikationen führen.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

WIE ÄUSSERT SICH EINE VIRUSGRIPPE? Im Gegensatz zu einer normalen Atemwegserkrankung, die meist nach wenigen Tagen überstanden ist, schlägt die Virusgrippe schnell und heftig zu. Symptome sind in der Regel plötzlich auftretendes hohes Fieber über 39 Grad Celsius, Schüttelfrost, Muskelschmerzen, Schweißausbrüche, allgemeine Schwäche, Kopf- und Halsschmerzen, Schnupfen und trockener Reizhusten. Nicht jeder Infizierte erkrankt allerdings auch. Zudem sind eine echte Grippe und eine Erkältung nicht immer anhand der Symptome zu unterscheiden. In Zweifelsfällen lässt sich eine Grippe durch einen Rachen- und Nasenabstrich im Labor nachweisen.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

WIE KANN ICH MICH SCHÜTZEN? Vor allem Ältere und chronisch Kranke sollten sich gegen Influenza impfen lassen. Ein einfacher und effektiver Schutz gegen Infektionen ist aber auch das Händewaschen. Mehrmals am Tag sollten die Hände für 20 bis 30 Sekunden mit Wasser und Seife gewaschen werden. In einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2016 gab allerdings nur knapp jeder Zweite an, sich in der kalten Jahreszeit beim Nachhausekommen regelmäßig die Hände zu waschen.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

Es ist in jedem Fall ratsam, die Hände vom Gesicht fernzuhalten und aufs Händeschütteln zu verzichten, um die Ansteckungsgefahr zu mindern. Wenn viele Menschen zusammenkommen wie zum Beispiel im Karneval, ist das Übertragungsrisiko besonders hoch. Wechselduschen und Saunagänge härten den Körper ab und machen ihn weniger anfällig für Infekte. Zudem befeuchten nasse Tücher auf der Heizung und regelmäßiges Lüften die Raumluft, denn Heizungsluft trocknet die Schleimhäute aus und macht sie anfälliger für Viren.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

WELCHE ERKÄLTUNGS- UND GRIPPEMITTEL HELFEN? Gegen Grippeviren gibt es Medikamente, die allenfalls die Dauer der Erkrankung leicht verkürzen können. Sie können aber zu Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen führen. In der Regel hilft es nur, auszuruhen und abzuwarten. Es gibt freilich eine Reihe von Mitteln, die Beschwerden lindern, darunter Schmerzmittel wie Ibuprofen und Paracetamol sowie abschwellende Nasensprays.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

Antibiotika helfen nicht gegen Erkältungensviren, sondern sind höchstens sinnvoll, wenn eine bakterielle Infektion der Atemwege hinzukommt und mögliche Komplikationen drohen. Auch Präparate mit Zink, Vitamin C oder Echinaceaextrakten werden oft bei Erkältungen empfohlen, zuverlässige Nachweise über die Wirksamkeit gibt es aber nicht. Wer sich rezeptfreie Medikamente aus der Apotheke holt, der sollte besser jedes Symptom einzeln bekämpfen, rät die Stiftung Warentest. Die viel beworbenen Kombipräparate, die gleich mehrere Wirkstoffe enthalten, sind nach Ansicht der Verbraucherexperten gegen Erkältung wenig geeignet.

Grippe oder Erkältung: Wie kann man sich schützen?

WARUM IST BEI SCHNUPFENSPRAYS VORSICHT ANGEBRACHT? Werden bestimmte abschwellende Nasentropfen oder -sprays länger als fünf bis sieben Tage nacheinander angewendet, kommt es zu einem dauerhaft starken Anschwellen der Nasenschleimhaut. Es entsteht ein sogenannter medikamentenbedingter Schnupfen, der dann eine oft monate- oder jahrelange Verwendung der Mittel nach sich zieht. Patienten werden regelrecht süchtig. Auf Dauer wird die Funktion der Nasenschleimhaut dadurch zerstört. (AFP)

Dazu käme, dass derzeit die Erkältungswelle besonders viele Erkrankte gleichzeitig in die Praxen spült. Dazu würden Patientinnen und Patienten immer älter. Sie kämen damit auch außerhalb der Erkältungs- und Grippesaison häufiger und bräuchten mehr Behandlungszeit. Auch das spreche der reinen Statistik der KVB entgegen. Perspektivisch gesehen könnte sich die Versorgung mit Hausärzten in Augsburg bald deutlich verschlechtern. Denn auch die praktizierenden Mediziner werden älter. 99 der 268 Ärztinnen und Ärzte in den Hausarztpraxen sind laut KVB 60 Jahre und älter. Das Durchschnittsalter liegt bei 55,7 Jahren. "Wir müssen also zusehen, dass wir weiter Nachwuchs generieren", so Berger. 

Mittel- bis langfristig setzt er auf Effekte der Uniklinik. Dort ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner lassen sich eventuell in Augsburg und der Region nieder. Die schwarz-grüne Koalition im Augsburger Rathaus will auch prüfen lassen, ob die Stadt eigene medizinische Versorgungszentren einrichten sollte. Für den Moment rät Berger den Menschen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Das sei auch jetzt noch möglich. Vor allem Patienten mit Vorerkrankungen könnten sich so vor schweren Verläufen schützen.

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