Aufnahmestopps in Praxen: Hat Augsburg ein Hausärzte-Problem?
Plus Die Erkältungswelle macht viele Arztpraxen in Augsburg gerade "rammelvoll". Einige nehmen keine neuen Patienten auf. Dazu stehen immer mehr Ärzte kurz vor der Rente.
"Tut, tut, tut" schallt es in kurzer Abfolge aus dem Telefonhörer. Besetzt. Auch der Anruf bei einer weiteren Augsburger Hausarztpraxis läuft ins Leere: "Derzeit sind alle Abfrageplätze belegt." Viele Patientinnen und Patienten brauchen gerade Geduld, wenn sie ihre Hausarztpraxis erreichen wollen. Wer neu aufgenommen werden will, hat es mitunter schwer. Vielfach herrscht ein Aufnahmestopp. Eine Erkältungswelle trifft auf Corona und kranke Patienten auf teils überfüllte Praxen. Dabei ist Augsburg laut Statistik mit Hausärzten sogar überversorgt – und die Zahl der Erkältungspatienten laut Experten der Jahreszeit entsprechend normal. Theorie und Praxis scheinen nicht immer im Einklang zu sein.
In einer Arztpraxis in Lechhausen ist derzeit "Land unter". Sowohl viele Patientinnen und Patienten der Gemeinschaftspraxis liegen mit Erkältungen und der echten Grippe flach als auch die Ärztinnen und Ärzte selbst, erzählt eine Sprechstundenhilfe. Teils hätten die Erkrankten starke Symptome, schildert sie. Vor allem jüngere Menschen zwischen 20 und Mitte 40 treffe es diesmal härter. Weil in den vergangenen zwei Jahren viel Maske getragen und auf Abstand gegangen wurde, seien Patientinnen und Patienten jetzt wohl anfälliger, das habe Folgen.
Beobachtungen, die auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Augsburger Hausarztpraxen unserer Redaktion schildern. Eine überproportionale oder gar besorgniserregende Erkältungs- oder Grippewelle sehen die meisten dennoch nicht. Vielmehr seien Patientinnen und Patienten nach Corona eine richtige Erkältung nicht mehr gewohnt, die Zahl der Erkrankten daher vielleicht aus subjektivem Empfinden heraus besonders hoch.
Statistisch gesehen herrscht in Augsburg kein Mangel an Hausärzten
Auch Dr. Jakob Berger, Vorsitzender des Schwäbischen Hausärzteverbands, will keine Panik machen. "Das, was wir derzeit sehen, ist die normale Herbstwelle, wie wir sie aus Vor-Corona-Zeiten kennen", so Berger. In der Regel handle es sich auch um Erkältungen und nicht die echte Grippe. Diese erreiche meist erst im Januar oder Februar ihren Höhepunkt.
Obwohl Ärzte die Lage als weitestgehend normal einstufen, sind viele Praxen derzeit "rammelvoll" und Ärztinnen und Ärzte laut ihren Sprechstundenhilfen damit beschäftigt, ihre Patientinnen und Patienten wenigstens annähernd innerhalb der Sprechzeiten zu versorgen. Wer einen Termin braucht, bekommt auch einen. Wer allerdings nach einem neuen Hausarzt sucht, stößt vielfach auf Ablehnung. "Ich habe manchmal Patienten in der Leitung, die mir sagen, wir seien der fünfte oder sechste Hausarzt, den sie anfragen", erzählt die Sprechstundenhilfe einer Praxis in der Innenstadt. Dabei ist Augsburg laut Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) mit einem Versorgungsgrad von 109 Prozent sogar überversorgt. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?
Augsburgs Hausärzte werden immer älter
Der KVB zählt auch Stadtbergen, Diedorf, Gersthofen und Königsbrunn zu Augsburg. Für diese Region gelten die 109 Prozent. Von den 268 praktizierenden Hausärzten sind 199 in Augsburg niedergelassen. Einen richtigen Mangel erkennt Dr. Jakob Berger anhand der Zahlen nicht. Noch könne auch jeder frei werdende Arztsitz nachbesetzt werden. Er räumt aber ein, dass das subjektive Empfinden der Patientinnen und Patienten von der Aussage der Statistik abweichen kann – beispielsweise, weil ausgerechnet am eigenen Wohnort die Praxen voll sind und niemanden mehr aufnehmen.
Dazu käme, dass derzeit die Erkältungswelle besonders viele Erkrankte gleichzeitig in die Praxen spült. Dazu würden Patientinnen und Patienten immer älter. Sie kämen damit auch außerhalb der Erkältungs- und Grippesaison häufiger und bräuchten mehr Behandlungszeit. Auch das spreche der reinen Statistik der KVB entgegen. Perspektivisch gesehen könnte sich die Versorgung mit Hausärzten in Augsburg bald deutlich verschlechtern. Denn auch die praktizierenden Mediziner werden älter. 99 der 268 Ärztinnen und Ärzte in den Hausarztpraxen sind laut KVB 60 Jahre und älter. Das Durchschnittsalter liegt bei 55,7 Jahren. "Wir müssen also zusehen, dass wir weiter Nachwuchs generieren", so Berger.
Mittel- bis langfristig setzt er auf Effekte der Uniklinik. Dort ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner lassen sich eventuell in Augsburg und der Region nieder. Die schwarz-grüne Koalition im Augsburger Rathaus will auch prüfen lassen, ob die Stadt eigene medizinische Versorgungszentren einrichten sollte. Für den Moment rät Berger den Menschen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Das sei auch jetzt noch möglich. Vor allem Patienten mit Vorerkrankungen könnten sich so vor schweren Verläufen schützen.