08.04.2009

Wo Opfer und Täter gemeinsam begraben sind

Von Elke Kiefer

Landsberg Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Landsberg liegen in 320 Gräbern Opfer und Täter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gemeinsam begraben. Seit Jahrzehnten sorgt die Frage, wie man mit den Gräbern umgehen soll, für öffentliche Konflikte. So ist dieser nach der einstigen Pfarrei benannte Spöttinger Friedhof seit 2003 vom Freistaat Bayern entwidmet. Für kontroverse Diskussionen sorgte damals vor allem die Entfernung der Namen auf den Grabkreuzen. Sogar über eine Einebnung der Gräber wurde seinerzeit nachgedacht.

Wer sich mit der Geschichte dieses Ortes noch näher beschäftigen möchte, kann ganz aktuell zu einem Buch von Thomas Raithel greifen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München legt, gestützt auf neu ausgewertete Quellen amerikanischer und deutscher Archive, die Geschichte des Gefängnisses und des Friedhofes im Zeitraum von 1944 bis 1958 dar.

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Im Abschnitt A des Buches schildert Raithel die historischen Kontexte des "War Criminal Prison Landsberg". Neben Dimensionen und Kategorien von NS-Verbrechen wird auch auf das Thema "Justizverbrechen und nationalsozialistisches Gefängniswesen" eingegangen. Da auch schwerkriminelle Displaced Persons von der US-Militärjustiz in Landsberg hingerichtet wurden, findet auch die Ahndung von NS- und Kriegsverbrechen, unter anderem in "Dachauer Prozesse", Erwähnung.

Die Strafanstalt Landsberg während der Jahre 1944 bis 1958 ist das Thema des Abschnittes B. Einem Überblick über das Gefängnis in der NS-Zeit folgt ein Kapitel über das US-amerikanische "War Criminal Prison No. 1". Landsberg erhielt den Zusatz "No. 1", da angesichts der zunächst erwarteten hohen Belegungszahlen die Haftanstalt Rebdorf bei Eichstätt kurzzeitig als "War Criminal Prison No. 2" geplant war. Die Größe der Landsberger Haftanstalt genügte jedoch den Erfordernissen. Im Januar 1948 war die Anstalt mit 926 Häftlingen belegt, im Mai 1949 waren es 755 Personen. Die Zahl sank danach kontinuierlich.

Im Abschnitt C geht es um den Spöttinger Friedhof. Nach einem kurzen Überblick über das Spektrum der Beigesetzten stellt Raithel ausgewählte Fälle vor. Die unmenschlichen Bedingungen des nationalsozialistischen Strafvollzugs zeigt das Beispiel des Häftlings Jaroslav Pouzar. Der Direktor des Zentralkinderheimes in Prag wurde wegen "einmaliger Weitergabe eines deutsch-feindlichen Zeitungsartikels" im Jahre 1942 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Pouzar kam zunächst in das Zuchthaus Kaisheim, war körperlich sehr schwach und wurde dennoch zu diversen Arbeiten eingesetzt. Vor den herannahenden US-Truppen wurde Jaroslav Pouzar von Kaisheim in das Strafgefängnis Landsberg verlegt, wo er am 23. April 1945, im Alter von 56 Jahren an "offener Lungentuberkulose" verstarb. Damit war er einer von 195 Gefangenen, die von April 1944 bis Juni 1945 im Gefängnis Landsberg an Misshandlungen, Krankheiten und Entkräftung starben.

Auch der gefangene kroatische Priester Ivan Marohnic schildert die grauenhaften Zustände im Landsberger NS-Gefängnis. "Ich war zusammen mit Franz Vidas in einer Zelle. Vidas war durch Hunger und Arbeit schon sehr erschöpft. Er hatte Fieber und Durchfall und bekam keine Medikamente. Das Wachpersonal erlaubte nicht, ihn ins Krankenhaus zu überweisen." Franz Vidas starb am 10. Februar 1945.

Marohnic weiter: "Die schwerste Strafe war Einzelhaft in einer feuchten Zelle, ohne Bett, ohne irgendwelche Möglichkeit sich zuzudecken, nur mit einem Brett als Schlafstelle. Der Gefangene bekam 150 Gramm Brot und einen halben Liter Wasser täglich. Die Tortur dauerte 14 Tage. Viele starben schon nach wenigen Tagen. Wenige überlebten dieses Martyrium und als sie rauskamen, sahen sie wie lebendige Leichen, wie Skelette aus. Die Überlebenden wurden sofort ins Krankenhaus gebracht und bekamen dort jede Menge zum Essen. Der Tod war ziemlich schnell eingetreten."

Neben Opfern des NS-Strafgefängnisses sind auf dem Spöttinger Friedhof aber auch Hingerichtete des US-amerikanischen War Criminal Prison No. 1 bestattet. Zur Gruppe der Hingerichteten aus NS- und Kriegsverbrecherprozessen gehört Oswald Pohl, Leiter des SS Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, als ein exponierter Verantwortlicher für die nationalsozialistischen Massenmorde. Pohl sah sich im Nürnberger Nachfolgeprozess vor einem US-Militärgericht in der Rolle des unschuldigen Befehlsempfängers und mobilisierte wie kaum ein anderer Landsberg-Häftling die Öffentlichkeit, um die Aufhebung seines Todesurteils zu erreichen. Doch der US-amerikanische Hochkommissar John J. McCloy bestätigte im Januar 1951 definitiv das Todesurteil, mit den Worten: "Einen Menschenschinder seines Ausmaßes hat es wahrscheinlich nie vorher in der Geschichte gegeben." Am 7. Juni 1951 gehörte Oswald Pohl zu den letzten sieben Hingerichteten im War Criminal Prison Landsberg.

In einem ausführlichen Anhang findet man unter anderem Verzeichnisse hingerichteter Personen und heute noch vorhandener Gräber nebst einem Friedhofsplan.

Die Arbeit fundiert auf einer Auswertung einschlägiger Quellen unter anderem des Archivs der JVA Landsberg, des Stadtarchivs Landsberg, des Archivs des Institutes für Zeitgeschichte, des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, des Staatsarchivs München, des Bundesarchivs und der National Archives in College Park/Maryland (USA). In den NARA befinden sich unter anderem die Gefangenenakten aus dem WCP Landsberg. Thomas Raithel hat mit diesem Werk die wissenschaftliche Grundlage für eine Gestaltung des Spöttinger Friedhofs als Erinnerungsort geschaffen.

Thomas Raithel "Die Strafanstalt Landsberg am Lech und der Spöttinger Friedhof", Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009, 197 Seiten, ISBN 978-3-486-

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