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Foto: Alexander Kaya (Archivbild)
Foto: Alexander Kaya (Archivbild)

Im November 2022 blockierten Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation die Theaterkreuzung, es war die erste solche Aktion in Ulm.

Ulm
24.06.2023

Vier Menschen verraten, warum sie die "Letzte Generation" unterstützen

Von Sebastian Mayr

Plus Die Protestaktionen der Letzten Generation sind umstritten. Was bewegt Unterstützerinnen und Unterstützer? Zwei Frauen und zwei Männer zwischen 18 und 55 sprechen darüber.

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Foto: Letzte Generation
Foto: Letzte Generation

Sophia Zach, 20, studiert Physik in Ulm und engagiert sich bei der Letzten Generation. Das Bild zeigt sie (links) bei einer Blockade.

Sophia Zach, 20, Physikstudentin: Wir sind so nah an den Kipppunkten, ab denen sich die Entwicklung selbst verstärkt und die Klimakrise nicht mehr kontrollierbar ist. Ich kann die Politik des fossilen "Weiter so" nicht verstehen, all das ist doch seit 50 Jahren bekannt. Ich sehe keine andere mögliche Form des Protests als die fortgeführte Unterbrechung des Alltags, vor allem durch Straßenblockaden. Ein Blick in die Geschichte des zivilen Ungehorsams zeigt, dass wir einen solchen Weg für unseren gewaltlosen Protest wählen müssen.

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Keine Zeit fürs Physikstudium wegen Engagement für Letzte Generation

Mein Physikstudium in Ulm pausiere ich momentan, mein Engagement für die Letze Generation lässt keine Zeit dafür. Denn wenn ich studiere, dann mit vollem Ehrgeiz. Ich will es später auf jeden Fall abschließen. Jetzt konzentriere ich mich auf Proteste in der Region, in Bayern und im Herbst wieder in Berlin. Außerdem koordiniere ich die Ulmer Gruppe und setze mich dafür ein, dass sie wächst.

Im Oktober 2022 war ich zum ersten Mal bei einem Vortrag der Letzten Generation in Ulm. Schon kurz danach war ich bei der Blockade der Theaterkreuzung dabei. Bei der Polizei wurde ich danach zum ersten Mal erkennungsdienstlich behandelt, es war wie im Film. In Hamburg saß ich sieben Tage lang in Präventivhaft, das macht etwas mit einem. Aber wenn man sich bewusst macht, warum man im Gefängnis ist, macht es einen stärker und entschlossener. In dieser Zeit habe ich viel Post bekommen, manches kam per Nachsendung.

Dass Menschen unseren Protest ablehnen, kann ich verstehen. Aber in vielen Gesprächen bekommen wir dann doch Verständnis. Und wenn wir da stören, wo die Ursachen liegen, bekommt es die Öffentlichkeit nicht mit. Ich habe die Hoffnung, dass wir es mit unserem Protest schaffen können, die nötige Veränderung im Umgang mit der Klimakatastrophe zu erzielen.

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Foto: Letzte Generation
Foto: Letzte Generation

Christian Kuhn, 18, ist Mathematikstudent. Er hat an Protestaktionen in mehreren Orten teilgenommen und spürt juristische Konsequenzen.


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Christian Kuhn, 18, Mathematikstudent: Bis zu einem Vortrag der Letzten Generation im Herbst 2022 in Ulm war mir nicht klar, wie sehr die Zeit drängt.

Wir haben nur noch wenige Jahre, um das Überschreiten klimatischer Kipppunkte, den sogenannten "point of no return", und damit ein sich exponentiell erhitzendes Klima, zu verhindern. Ein Kipppunkt ist der Permafrost in Sibirien. Wenn dieser noch weiter auftaut, werden unglaublich große Mengen von Treibhausgasen freigesetzt, was das Weltklima weiter enorm aufhitzt und von uns Menschen kaum mehr kontrolliert werden kann.

Ulmer will Dringlichkeit der Klimakrise vermitteln

Nach dem Vortrag habe ich mich entschlossen, für Proteste nach Berlin zu fahren. Dort war ich vor Gericht. Außerdem ist bald ein Prozess in Kempten, nach und nach spüre ich die Folgen der Aktionen. Die persönlichen Konsequenzen meines Protests sind nicht einfach, aber das Thema muss unbedingt in die Mitte der gesellschaftlichen Debatte getragen werden. Das ist mir wichtiger als meine Angst, vor Gericht zu stehen.

Wir nutzen den zivilen Ungehorsam, mit dem schon oft wichtige Menschenrechte erkämpft wurden. Mit unserem Protest unterbrechen wir den Alltag, was für alle Beteiligten nicht angenehm ist. Wir erachten dies aber als nötig, um die Dringlichkeit der Klimakrise zu vermitteln. Schon heute haben wir mit Wasserknappheit, Dürre und Hitze zu kämpfen. Die Autofahrenden sind die Leidtragenden, obwohl sie nicht primär verantwortlich sind. Wir sehen die Verantwortung bei der Politik.

Ich kann nicht verstehen, warum die Politik nichts unternimmt. Warum sie so ein großes Interesse am "Weiter so" hat. Sie versagt darin, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen.

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Foto: Sebastian Mayr
Foto: Sebastian Mayr

Margarete Lobenhofer, 55, ist Seelsorgerin bei der katholischen Kirche. Sie möchte erreichen, dass sich kirchliche Kreise für die Letzte Generation öffnen.

Margarete Lobenhofer, 55, Seelsorgerin in der katholischen Kirche: Als die Letzte Generation am 14. Februar die Neue Straße blockiert hat, habe ich zugesehen. Als sich die jungen Menschen hingesetzt haben, kam jemand und hat einen von ihnen hinterrücks mit Wasser überschüttet. Dieser Umgang und wie Politik und Medien die Gruppe kriminalisieren, macht mich wütend. Die gewaltbereite Stimmung in der Bevölkerung bereitet mir grundsätzlich Sorgen.

Die Ziele sind wichtig und die Haltung der jungen Menschen kann ich verstehen. Wir Älteren hatten 50 gute Jahre. Aber was ist die Perspektive? Flut, Dürren? Ich sympathisiere mit der Letzten Generation, auch wenn ich manche Protestformen ablehne. Wenn etwas zerstört wird, ist das falsch. Die Sitzblockaden dagegen sind aus meiner Sicht akzeptabel, sie sind wie ein Hilfeschrei. Dass ein Fokus auf der Klimakrise liegt, ist der Verdienst der Letzten Generation. Aber es ist schade, dass fast nur über negative Ereignisse berichtet wird. Dass die Letzte Generation zu vielen Bürgermeistern fährt und viele, oft gute und erfolgreiche Gespräche führt, fällt kaum auf.

Mein Glaube macht mich zu einem Menschen, der positiv denkt. Ich bin zuversichtlich und denke, dass wir etwas verändern können. Der Name Letzte Generation geht auf ein Zitat von Präsident Obama zurück. Mir gefällt er, weil er die Dringlichkeit des Handelns aufzeigt. Das beginnt mit dem eigenen Verhalten. Als katholische Seelsorgerin bedauere ich, dass sich die Kirchen bislang kaum einbringen. Das möchte ich ändern. An Blockaden nehme ich nicht teil.

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Foto: Thomas Vogel
Foto: Thomas Vogel

Christian Zach, 55, arbeitet als Softwareentwickler. Er organisiert für die Letzte Generation Vorträge und Diskussionsrunden.

Christian Zach, 55, Softwareentwickler: Die Umwelt ist mir wichtig. Meine Frau und ich essen kaum Fleisch, in unserem Garten lassen wir der Natur freien Raum. Meine Kinder haben sich bei Fridays for Future engagiert. Doch mit der Zeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass die angemeldeten Demonstrationen an Orte geschoben werden, wo sie ignoriert werden können.

Meine Tochter Sophia wurde nach einer Blockade in Hamburg in Gewahrsam genommen. Trotz Beteuerung, sofort abzureisen, wurde sie zu neun Tagen Präventivhaft verurteilt. Hier wurde, wie auch zuvor in Bayern, das Polizeiaufgabengesetz missbraucht, um unliebsamen Protest zu unterbinden. Ein weiterer Grund, mich mehr zu engagieren! 

Seit 50 Jahren ist bekannt, was CO2 mit dem Klima macht. Doch es geschieht viel zu wenig. Deutschland hat eine historische Schuld, weil hier durch die frühe Industrialisierung schon sehr lange sehr viel CO2 ausgestoßen wird. Außerdem sollten wir bei Technologien Vorreiter sein.

Die Letzte Generation ist für alle offen. Unser Einsatz ist gewaltfrei, auch verbal. Bei der Letzten Generation wird niemand zu etwas gezwungen. An Blockaden nehme ich nicht teil, weil ich hohe Geldstrafen fürchte. Aber ich habe beispielsweise Vorträge organisiert.

Dass sich Menschen über Blockaden ärgern, kann ich verstehen. Aber wir müssen darauf aufmerksam machen, dass die Zeit drängt. Die Wahrscheinlichkeit für Unglücke wie im Ahrtal ist deutlich gestiegen. Meine Familie und enge Freunde heißen meinen Einsatz gut, bei manchen Kollegen bin ich mir nicht sicher.

Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit dem Aktivisten Ingo Blechschmidt über die Klimakrise und die "Letzten Generation" an:

Augsburg-Podcast

Wie weit darf Klimaprotest gehen, Ingo Blechschmidt?

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