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Adidas, Nike und Co. sind die beliebtesten Marken in Deutschland - auch auf dem Schulhof des Paul-Klee-Gymnasiums in Gersthofen.

Foto: Hochschule Augsburg

„Marken hängen mit Identität zusammen“, sagt Professor Manfred Uhl, Vizepräsident der Hochschule Augsburg und Marken-Experte.

Macht der Marken
17.12.2017

Warum wir Marken reizvoll finden - und immer mehr wollen

Von Orla Finegan, Sandra Liermann

Kaum zu glauben, wie Adidas, Apple und Co. den Alltag bestimmen. Das verwundert nicht, sagen Experten, sondern liege an einem zutiefst menschlichen Bedürfnis.

10.15 Uhr, große Pause am Paul-Klee-Gymnasium in Gersthofen. Zwei Sportbeutel mit Adidas-Logo nähern sich von der Turnhalle her. Ein grauer Pullover von Jack and Jones stürmt in die große Pausenhalle, dann ein roter von Nike, ein dunkelblauer von Hollister. Und dann kommen sie aus allen Richtungen: Poloshirts von Ralph Lauren, Schuhe von Timberland, Converse und Vans. Warum sind Marken hier so allgegenwärtig? Oberstufenschüler Fabian, 17, mutmaßt: „Gerade Jüngere wollen etwas darstellen. Sie wollen dazugehören, beispielsweise durch Schuhe von Adidas oder Nike“, sagt er. Auch seine Füße stecken in einem Paar Nike-Sneaker, die Macht der Marken hat auch ihn im Griff. Er aber redet über die Jüngeren: „Die wollen zeigen: Ich kann mir mehr leisten als die Victory-Schuhe von Deichmann.“

Es ist nun mal so: Menschen lassen sich beim Einkaufen gerne von Marken leiten. Das fängt bei einem Joghurt im Supermarkt an und hört bei der Wahl des Autos auf. Bewusste Marken-Entscheidungen treffen die Deutschen aber vor allem bei Sport- und Bekleidungsartikel, zeigt eine repräsentative Forsa-Studie aus dem Jahr 2016. Von den 15 Lieblingsmarken der Befragten kommen sechs aus der Mode- und Sportwelt. Dass Adidas und Nike auf dem Gersthofer Schulhof so beliebt sind, überrascht nicht – die beiden Unternehmen stehen an der Spitze der Beliebtheitsskala.´

Wie bekommen Konzerne Menschen dazu, ihre Produkte zu kaufen?

Zur selben Zeit hält Professor Manfred Uhl ein Seminar für Marketing-Studenten an der Hochschule Augsburg. Durch die Fensterfront fällt trübes Winterlicht in den Raum, elf Studenten sitzen an den Tischen und tippen auf ihren Laptops mit, was Uhl erzählt. Der Professor ist Experte für Marken, er weiß, wie die Konzerne Menschen dazu bekommen, ihre Produkte zu kaufen. Ein Schlüsselsatz lautet: „Marken hängen mit Identität zusammen.“ Mit der Identität des Käufers, aber auch mit der des Unternehmens oder der Organisation. „Auch Greenpeace hat eine Marke“, sagt Uhl. Für Marketing-Studenten ist das eine der ersten Lektionen. Denn über diese Identität können Firmen ihre Beliebtheit steuern.

Greenpeace steht dabei ganz klar für Umweltschutz, andere Marken definieren sich über technische Innovation oder einen besonders hohen Qualitätsanspruch. Schafft es eine Marke, genauso von den Kunden wahrgenommen zu werden, wie sie sich selbst sieht, hat sie eine hohe Glaubwürdigkeit. Nike und Adidas haben das geschafft, sie stehen für sportlichen Lifestyle. Volkswagen dagegen, sagt Uhl, sei wegen des Abgas-Skandals gerade dabei, sich die Glaubwürdigkeit zu verspielen. In der Beliebtheits-Studie von 2016 rangiert VW als Marke noch auf Platz sechs, hinter BMW und Mercedes. Doch auf lange Sicht befürchtet der Professor, dass der Konzern sein gutes Image verlieren wird, wenn er nicht endlich für den Betrug am Kunden geradesteht.

Denn Betrug kommt in der Welt der Marken grundsätzlich nicht gut an. Das wissen schon Schüler. Julia, 17, Pulli mit Hard-Rock-Café-Logo und Converse-Schuhen, sagt: „Viele Mädchen hier laufen mit einer Michael-Kors-Tasche herum.“ Und schiebt hinterher: „Damit wollen sie vielleicht auch ihre Freundinnen neidisch machen.“ Denn der Neupreis der Ledertaschen mit dem markentypischen kreisrunden MK-Anhänger liegt bei rund 300 Euro. Doch Julia weiß: „Die meisten Taschen sind gefaked, die kaufen die im Urlaub in der Türkei.“

Noch schlimmer, als keine Markentasche zu besitzen, ist es aber, „wenn es auffällt, dass es nicht das Original ist“, sagt Leon, 18, von Kopf bis Fuß in die Skatermarke Supreme gehüllt. „Dann werden die natürlich verarscht.“ Ebenso bei Kanye West Yeezys. Der Preis für diese Schuhe liegt je nach Modell bei bis zu 420 Euro. Doch nicht nur gefälschte Produkte sorgen für Spott. Der 18-jährige Justin, Manchester-United-Kappe auf dem Kopf, zieht sein iPhone aus der Hosentasche. „Früher hatte ich ein Sony-Smartphone. Da hieß es dann: ,Kauf dir mal ein richtiges Handy.‘“

Machen uns Markenprodukte wirklich glücklich?

Warum kaufen wir überhaupt Marken? Machen sie wirklich glücklich? Zeitweise, erklärt der Münchner Diplompsychologe, Konsum- und Marketingforscher Hans-Georg Häusel. „Produkte befriedigen die emotionalen Bedürfnisse, die tief in unserem Gehirn verankert sind. Wenn wir ein Produkt kaufen, empfinden wir ein belohnendes Gefühl.“ Und weil wir nie genug bekommen können von diesem Belohnungsgefühl, kaufen wir immer weiter, immer mehr. Denn die Marken erzeugen bestimmte emotionale Vorstellungsbilder ins uns. „Nur Emotionen geben Dingen einen Wert. Mit je mehr Emotionen Sie etwas aufladen, desto mehr Wert hat es“, sagt Häusel.

Produkte kaufen wir nicht nur für uns, sondern auch für unseren Nachbarn. „Wir wollen mit Markenprodukten zeigen, wer wir sind“, sagt Häusel. „Dadurch werden die Produkte sehr wertvoll für uns und wir geben viel Geld dafür aus.“ Obwohl es das gleiche Produkt mit derselben Funktion vielleicht viel günstiger von einem No-Name-Hersteller gäbe.

Was genau gekauft wird, entscheiden vor allem im Leben junger Leute: die Stars. „Die Fußballschuhe, die die Profis tragen und auf Instagram posten, die werden die ja aus einem Grund tragen“, sagt Justin. „Die haben dann auch eine gute Qualität.“ Werbetreibende dürften jubilieren. Vor allem das soziale Netzwerk Instagram wird stark für Werbung genutzt. Stars, aber auch weniger bekannte Menschen preisen dort Produkte an und werden dafür bezahlt – Marken und Medien sind damit eng verknüpft.

Manfred Uhl sitzt vor den Studenten auf einer Tischkante, im Raum herrscht eine konzentrierte Atmosphäre. In der Branche, erklärt er, gebe es eine Entwicklung dahin, dass die Marken selbst zu Medien werden. Im Fachjargon heißt das „Owned Media“. „Sehen Sie sich Red Bull an, das ist selbst ein Medienunternehmen geworden. Mit Energiedrinks hat es nicht mehr so viel zu tun“ sagt Uhl und erntet eifriges Tippen auf den Laptop-Tastaturen. Marken, sagt der Professor, investieren immer mehr in eigene Informations- und Unterhaltungsangebote. Neben ihm stapeln sich Unternehmensbroschüren und Magazine; später werden die Studenten sie analysieren und feststellen, dass die Magazine von Drogerieketten sich kaum von typischen Frauenzeitschriften unterscheiden. Und das Heft für die BMW-Mini-Kunden informiert auf hochwertigem Papier über spannende City-Trips. Die Logik dahinter ist leicht zu durchschauen: Die Werbung für eine Marke ist effektiver, wenn sie nicht mit dem Holzhammer auf den Kunden trifft.

In dem Moment, als der erste Töpfer in der Antike einen Stempel auf seine Tongefäße gedrückt hatte, um sich von den anderen Töpfern abzugrenzen, sei die Marke entstanden, sagt Uhl. In ihrem Ursprung ist eine Marke nichts weiter als ein Kennzeichensystem. „Marken helfen einem Konsumenten, das Leben einfacher zu gestalten – der Einkauf wird leichter. Wenn ich bestimmte Marken habe, sei es Technologie oder Bekleidung, erspart mir das Zeit beim Aussuchen“, sagt Uhl. Ein Leben ohne Marken – aus Sicht des Experten ist das nicht möglich. „Selbst wenn ich ein No-Name-Produkt kaufe, steht ja dahinter ein Unternehmen mit einem Image. Eben mit dem Image, dass es kostengünstige Produkte anbietet und ihm Werbung nicht so wichtig ist.“ Jede Kaufentscheidung ist also ein Griff zu einer Marke.

Kann man Trends und Konsum aus dem Weg gehen?

Einer, der Trends und Konsum so gut es geht aus dem Weg geht, ist der Augsburger Frank Glaisner. Das schwarze Brillengestell mit den rundlichen Gläsern, das er auf der Nase trägt, könnte aus der aktuellen Armani-Kollektion stammen. Chanel, Hugo Boss und RayBan bieten ähnliche Modelle an. Von wegen: „Die Brille ist aus recycleten Joghurtbechern“, sagt der 54-Jährige. „Die habe ich mir vor Jahren gekauft.“ Stolz präsentiert er die geflickten Bügel: „Abgebrochen. Hab ich mit Leukoplast geklebt. Und dann schwarz angemalt.“ Wer es nicht weiß, dem fällt es nicht auf.

Marken sind dem gebürtigen Weißenhorner (Kreis Neu-Ulm) nicht wichtig. Im Gegenteil. „Bei Klamotten sage ich: Hauptsache, sie sind bequem.“ Statt in den großen Ladenketten in der Augsburger Innenstadt sucht Glaisner lieber im Sozialkaufhaus nach Schnäppchen. Sein letzter Kauf waren mehrere Westen, 1,50 Euro das Stück. Welche Marke auf dem Etikett steht? Tut nichts zur Sache. „Warum das Dreifache zahlen, nur weil ein Markenname draufsteht?“ Der gelernte Krankenpfleger kauft viele Bioprodukte, vieles unverpackt, er versucht Plastik zu vermeiden. Die Zuckerwürfel bewahrt er in einer leicht zerdellten Blechdose auf, die er seit 30 Jahren besitzt.

Doch nicht nur bei Kleidung und Lebensmittel sind ihm egal, „ob das gerade markenmäßig das Nonplusultra ist“ oder nicht. Ähnlich sieht es bei technischen Geräten aus. Flachbildschirm? Braucht er nicht. Stattdessen steht im Wohnzimmer ein kleiner Röhrenfernseher. Auch auf einen Computer verzichtet Glaisner. Eines der wenigen Markenprodukte, das er besitzt, ist sein neues Handy. Ein Huawei-Smartphone, das ihm als Arbeitsgerät dient. Knapp 250 Euro hat er gezahlt. Darauf beantwortet er E-Mails und organisiert seine Auftritte als Filmkomparse, seine Tätigkeit als Assistent an Filmsets, als Parkplatzeinweiser, bei einem Fanclub des FC Augsburg und die Bibelstunde.

Wenn man so will, ist der Mann ohne Marken selbst eine. Sein Image ist bewusster Konsum und Verzicht auf Überflüssiges. Wer ihn erlebt, nimmt ihn auch so wahr. Seine Glaubwürdigkeit ist also hoch. Das, worum gerade Politiker sich so sehr bemühen – aus der eigenen Person eine Marke zu schaffen – gelingt Glaisner nebenbei. So benötigt er auch nicht ständig eine neue Dosis Dopamin, das bei den meisten durch einen Kauf ausgeschüttet wird.

Auf dem Schulhof in Gersthofen ist es wohl eine Mischung aus Gruppenzwang und eben diesem Dopamin, dass die meisten Jugendlichen dazu treibt, viel Geld für teure Marken auszugeben. Das Problem ist nur: Das Glücksgefühl hält nicht lange an. „Auf Dauer sind wir nie zufrieden“, sagt Psychologe Häusel. Aber der Mensch ist so gemacht, dass er die Freude wieder und wieder spüren will – und daher kauft er immer weiter.

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