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Foto: Julian Leitenstorfer (Archiv)
Foto: Julian Leitenstorfer (Archiv)

Jahrelang drehte sich das Leben von Sven Curmann hauptsächlich um Eishockey. Vor gut einem Jahr erkrankte er nach seinem Abschied als Spieler an Depressionen.

Landsberg
23.12.2021

Landsbergs Kultspieler Sven Curmann: Nach Corona kam die Depression

Von Margit Messelhäuser

Plus Der ehemalige Eishockeyspieler und aktuelle Co-Trainer Sven Curmann hat in Landsberg Kultstatus. Als er wegen Corona in Quarantäne muss, erkrankt er an Depressionen.

Mitten in der Wüste Eishockey spielen. Ein unglaubliches Erlebnis, das auch der Landsberger Sven Curmann vor wenigen Tagen machte. Er stand im Team der deutschen Mannschaft beim President Cup, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfand. Aber für Curmann war es viel mehr als ein Erlebnis, es war ein Baustein seiner Therapie. Der Eishockeyspieler leidet an Depressionen. Gegenüber unserer Redaktion spricht er offen über seine Krankheit, was Covid damit zu tun hat und wie er auf die Weihnachtsfeiertage blickt.

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Bereits Kultstatus haben die Ansprachen von Curmann bei den traditionellen Trikotversteigerungen der Landsberg Riverkings nach Saisonende. Witzig, spritzig, durchaus ein bisschen frech sind diese – wie es sich für eine Stimmungskanone im Team gehört. Aber es gibt auch den anderen Sven Curmann: Den akribisch arbeitenden Sportler, der an sich und sein Team immer höchste Ansprüche stellt. „Das ist auch ein Teil des Dilemmas. Wer von den beiden bin ich wirklich?“ sagt er.

In der Isolation kreisen die Gedanken

Offen zutage traten die Depressionen vor gut einem Jahr. „Ich hatte mich damals mit einem Großteil der Mannschaft mit Corona angesteckt“, erzählt er. Das war am Anfang der Oberliga-Saison 2019/20, in der Curmann zwar als Spieler beim HC Landsberg „ausgemustert“, jedoch als Co-Trainer verpflichtet worden war. Eine Wende, die der heute 38-Jährige so eigentlich nicht gewollt hatte – er hätte gerne noch weiter gespielt. „Wegen Corona saß ich dann plötzlich allein zu Hause und musste mit mir selbst klarkommen“, blickt er zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt war sein Tagesablauf ausgefüllt gewesen: die Arbeit im Bürgerbüro der Stadt und vor allem – Eishockey.

Die Krankheit selbst machte ihm wenig zu schaffen, aber so allein, ohne Eishockey, kreisten die Gedanken. Der unfreiwillige Abschied vom aktiven Eishockey machte ihm schwer zu schaffen. „Ich hatte Panikattacken, Schlafstörungen und nach der Quarantäne bin ich zum Arzt gegangen.“ Als wieder gespielt werden konnte, sei es besser geworden, doch die richtige Keule wartete noch auf ihn. „Wir haben die Saison zu Ende gespielt und am Samstag die Kabine ausgeräumt. Am Sonntag bin ich dann in ein richtiges Loch gefallen.“ Nichts machte ihm mehr Freude, er sah keinen Sinn mehr und „ich konnte mich nicht mehr spüren“. Erst nachdem es ihm etwas besser gegangen ist, konnte er erneut zum Arzt gehen. „Es ist wohl eine Mischung aus Depression und Burn-out, über Longcovid hat man da noch nicht nachgedacht.“ Sein Arzt verschrieb ihm Antidepressiva und „da wurde es etwas besser“. Curmann suchte Hilfe bei Psychologen und Ärzten, aber mit mäßigem Erfolg.

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Foto: Curmann
Foto: Curmann

In Abu Dhabi gelingt Sven Curmann ein wichtiger Schritt weiter zurück ins Leben.

Dann folgte vor einigen Wochen ein glücklicher Zufall. „Florian Kettemer, der mehrfache deutsche Meister im Eishockey und ehemalige Nationalspieler kam ins Büro, weil er Unterlagen brauchte“, erzählt Curmann. Die beiden kamen ins Gespräch und Kettemer, der aus Fuchstal stammt und nun in Berlin lebt, merkte schnell, dass es Curmann nicht gut ging. Seitdem arbeitet Sven Curmann mit dem Mentalcoach Florian Kettemer zusammen. „Er war auch Eishockeyprofi, er kann die Probleme verstehen.“

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Und die waren groß – zu groß, um mit ihnen allein fertig zu werden. „Nachdem meine Laufbahn als Spieler so endete, fühlte ich mich wertlos“, gibt der 38-jährige Curmann offen zu. Wenn er in der Stadt unterwegs war, habe er das Gefühl gehabt, die Leute würden ihn anstarren: „Was will der jetzt eigentlich noch, da er doch für die erste Mannschaft zu schlecht, zu langsam ist“, das habe er in den Gesichtern gelesen. Und genau diese Frage stellte sich Sven Curmann auch selbst.

Hilfe kommt vom Ex-Profi Florian Kettemer

Dank Florian Kettemer hat er inzwischen eine andere Sicht auf die Dinge. „Flo schafft es, dass man aus einem anderen Blickwinkel auf Ereignisse schauen kann“, sagt Curmann. Kettemer zeigte ihm auch, welche Chance dieses Turnier in Abu Dhabi für ihn sei. „Das erste Spiel war noch hart, ich setzte mich selbst zu sehr unter Druck.“ Doch er lernte, den Ausflug zu genießen. „Wir waren viel unterwegs, um Land und Leute kennenzulernen. Das hätte ich früher nie gemacht, ich wäre nur im Hotel und in der Eishalle gewesen.“ Und plötzlich passte seine Leistung auf dem Eis.

Florian Kettemer schaffte es, Curmann aus seiner „Komfortzone Eishockey“, in die sich dieser viel zu lange zurückgezogen hatte, herauszuholen. Er riet ihm, sich für Neues zu öffnen, um zu erkennen, welchen Weg er einschlagen könne und wolle. Curmann nahm den Rat an und ging den Weg konsequent weiter. „Der Bart ist ab, die Haare sind ab, das ist auch so ein Zeichen, etwas Neues zu beginnen und es hat sich gut angefühlt.“ Warum er dies alles so offen mitteilt? „Ich bin mir sicher, ich bin nicht der einzige, dem es so geht. Ich will darauf aufmerksam machen.“

Curmann will als Trainer weitermachen

Dass sein neuer Weg weiter mit Eishockey zu tun hat, steht fest: „Ich möchte auch als Trainer weiterkommen.“ Vorerst überträgt er die neue Leichtigkeit, die er sich gerade aneignet, auf seine Arbeit mit der U20-Mannschaft. „Ich muss lernen, jeden so zu akzeptieren, wie er ist. Es kann nicht jeder so sein wie ich und alles dem Eishockey unterordnen.“ Seine neue Linie habe zunächst für Verwunderung gesorgt, „aber inzwischen kommen die Spieler viel lieber wieder ins Training“.

Anfangs sei es ihm schwergefallen, Hilfe von Außen anzunehmen. „Das ist dann, als hätte man es nicht selbst geschafft“, sagt Sven Curmann. Jetzt weiß er: „Gerade dadurch, dass ich bewusst entscheide, es anzunehmen, wird es erst recht zu meinem Erfolg. Man muss Hilfe zulassen.“ Und so ist er auch dem HC Landsberg dankbar, alle hatten ihn ermutigt, die Reise nach Abu Dhabi anzutreten. „Alle haben mitgemacht und meine Trainings übernommen, das war super.“ Eishockey werde in seinem Leben weiter eine wichtige Rolle spielen, aber „es gibt auch noch anderes auf der Welt“.

Eine neue Sicht auf die Dinge

Beim Turnier in Abu Dhabi gab es übrigens drei Niederlagen für das deutsche Team, wobei sich die Gegner durch noch aktive Profis verstärkt hatten. Und diesmal kann es Sven Curmann tatsächlich gelassen nehmen: „Es war ein mega-grandioses Erlebnis.“ Ein solches Fazit wäre von dem ergebnisorientierten Coach, wie er sich selbst bezeichnete, vor einigen Wochen noch nicht möglich gewesen.

Vor den Feiertagen, eigentlich eine Zeit, in der sich Depressionen verstärken können, hat er keine Angst. Zum einen ist der Spielplan der Riverkings prallvoll und „das hilft sicher auch“, sagt er mit einem Schmunzeln. Aber vor allem: „Mir geht es schon seit einigen Wochen viel besser. Ich will wieder lernen, das Leben zu genießen.“ Auch wenn noch viel Arbeit vor ihm liegt.

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