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Foto: dpa
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In Großbritannien gibt es kaum Vorbehalte: Auch Premier Boris Johnson feiert den „Oxford-Impfstoff“.

Corona
16.03.2021

Die Briten impfen weiter gegen Corona – und wundern sich über Europa

Von Katrin Pribyl

Europaskeptiker meinen eine Schmierkampagne gegen den britisch-schwedischen Corona-Impfstoff AstraZeneca erkennen. Ist das als Rache für den Brexit zu verstehen?

In der Downing Street hätten sie am liebsten den Union Jack auf die Impfstoff-Fläschchen drucken lassen. Dieser Wunsch der Regierung wurde zwar abgelehnt, aber konservative Politiker werden nicht müde, den von der Universität Oxford zusammen mit dem schwedischen Unternehmen AstraZeneca entwickelten Impfstoff als „großen britischen Erfolg“ zu feiern. Premier Boris Johnson nannte die Zulassung einen „Triumph für Großbritanniens Wissenschaft“. Experten weisen solche Aussagen zurück und warnen gar vor den Folgen dieses „Vakzin-Nationalismus“.

Doch dass die Briten das Vakzin deutlich positiver sehen als andernorts, hat einen anderen Grund: Die Menschen vertrauen den eigenen Wissenschaftlern und Gesundheitsbehörden sowie der Weltgesundheitsorganisation – und deren Daten. Mehr als elf Millionen Dosen AstraZeneca sind bereits verimpft und bislang gebe es keinerlei Anzeichen für eine Häufung von Thrombosefällen, unterstreicht die Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte MHRA. Sie hält einen Impfstopp für nicht angebracht und ermutigt die Menschen, ihre Termine wahrzunehmen. „Wir prüfen die Berichte genau, aber die vorliegenden Indizien deuten nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, sagte Phil Bryan von der MHRA.

Großbritannien und der Corona-Impfstoff AstraZeneca: Die Briten sind stolz

Also wird auf der Insel weitergeimpft. Beinahe die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat zumindest die erste Dosis erhalten. Mehr als 26 Millionen Impfungen wurden vorgenommen – in Impfzentren, in Apotheken, bei Hausärzten oder in umfunktionierten Kathedralen oder Rugby-Stadien. Und die Briten sind stolz auf den Erfolg des Programms, umgesetzt vom nationalen Gesundheitsdienst NHS. Die Nachricht vom AstraZeneca-Impfstopp in vielen europäischen Ländern löste daher vor allem Verwunderung und Unverständnis aus. Noch deutet nichts darauf hin, dass sich die Menschen davon irritieren lassen. Trotzdem beeilten sich Politiker aller Couleur, auf die Aussagen der Wissenschaftler zu verweisen. Sowohl Premier Johnson als auch die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, betonten, der „Oxford-Impfstoff“ sei „sicher und effektiv“. Abgeordnete riefen die Briten auf, die „fake news“ vom Kontinent zu ignorieren.

Ohnehin wittern schon europa-skeptische Beobachter eine Schmutzkampagne gegen das Königreich. Das Verhältnis zwischen London und der EU ist nach jahrelangen Streitereien um den Brexit angespannt, manche würden es vergiftet nennen. Das jüngste Chaos auf der anderen Seite des Kontinents wird daher als willkommene Gelegenheit zur Kritik genutzt. Tory-Parlamentarier Anthony Browne schimpfte, europäische Politiker wären angetrieben von „Politik, nicht Wissenschaft“. Das „Brexit-Schmollen“ werde in der EU Menschenleben kosten. Wie in den vergangenen Wochen, als alle Boulevardblätter die Impf-Trippelschritte auf dem Festland verhöhnten, rückte die europaskeptische Presse auch jetzt nicht nationale Regierungen in den Mittelpunkt, sondern ihren Lieblingsgegner: die EU.

Großbritannien und der Corona-Impfstoff AstraZeneca: Die EU als Sündenbock?

Obwohl die Union nichts mit dem AstraZeneca-Stopp zu tun hatte, wurde dieser kurzerhand als Brüsseler Racheakt am Königreich bewertet. „,Waghalsige‘ EU erteilt GB-Impfung Abfuhr“, titelte etwa die Daily Mail. Der Daily Express nannte es „beschämend“ und machte ebenfalls die EU als Sündenbock aus. Die Pleiten auf dem Kontinent werden als beste Werbung für den Brexit ausgeschlachtet, ganz nach dem Motto: Befreit von den Ketten der bürokratischen und langsamen EU konnte das unabhängige Großbritannien schneller das Vakzin zulassen, frühzeitiger und mehr Mengen einkaufen und komme nun zügiger mit dem Impfen voran.

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