Für den Entzug vom Putin-Gas setzt Habeck sogar auf Kohle

19.06.2022

Es ist schmerzhaft, aber es geht nicht anders: Gegen die Abhängigkeit von russischer Energie müssen alte Gewissheiten auf den Prüfstand.

Wenn sich doch nur ein Teil der Hitze, unter der Deutschland gerade ächzt, für den kommenden Winter speichern ließe. Dann müsste niemandem bange sein vor eiskalten Wohnungen, vor Heizungen, die nicht mehr heizen, weil Russland den Gashahn zudreht. Und Robert Habeck bliebe mancher Schritt erspart, der sein grünes Herz schmerzhaft bluten lässt. Etwa zu verkünden, dass die verhassten Kohlekraftwerke notfalls bald wieder auf Hochtouren laufen.

Eigentlich würde er sie ja aus Klimaschutzgründen so schnell wie möglich für immer abschalten. Doch einen Vorrat an sommerlicher Wärme anzulegen, ist zumindest im Moment noch höchstens theoretisch möglich. Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt nicht schnell genug voran, um einen Bibber-Winter zu verhindern. Hinter den billigen russischen Energielieferungen, von denen sich Deutschland in fahrlässiger Weise abhängig gemacht hat, stehen im Angesicht des schrecklichen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gewaltige Fragezeichen.

 

Die Folgen eines kompletten Embargos sind nicht vorhersehbar

Eigentlich wäre es moralisch richtig, würde der Westen von sich aus auf komplett auf die Einfuhren von Gas, Öl und Kohle aus Russland verzichten, mit denen der russische Präsident Wladimir Putin seine todbringende Militärmaschinerie finanziert. In der Praxis scheint das allerdings wahnwitzig, die Folgen für Industrie und private Energieverbraucher könnten verheerend sein. So steht die Furcht im Vordergrund, dass der Despot im Kreml von sich aus den Treibstoff-Hahn zudreht. Genau darauf muss sich die Bundesregierung ausgerechnet jetzt, während das Thermometer auf Rekordwerte klettert, vorbereiten.

Es ist gut, dass der grüne Energieminister das bislang pragmatisch und ohne ideologische Scheuklappen tut. Weder hätte Habeck sich bei seinem Amtsantritt vorstellen können, in Ländern wie Katar um Flüssiggaslieferungen zu bitten, noch ein Hochfahren betagter Kohlekraftwerke anzuschieben. Das Klima wollte er retten, den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter beschleunigen. Als Brücke zur grünen Energie aus Sonne und Wind schien das russische Gas weiter billig und zuverlässig zur Verfügung zu stehen. Doch diese Brücke ist mit Beginn des Ukraine-Kriegs eingestürzt. Putin zeigt gerade aller Welt und ganz besonders Deutschland, wie er die gewaltigen Energie- und Rohstoff-Reserven seines Landes skrupellos als Mittel der Machtpolitik einsetzt. Wer nicht spurt, der friert, ist seine Botschaft. Deutschland darf sich aber nicht derart erpressen lassen. Spuren ist keine Alternative. Frieren ist aber auch keine. Die Menschen in Deutschland können ja nichts dafür, dass sich Politik und Energiewirtschaft in eine derart gefährliche Abhängigkeit von Moskau begeben haben.

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Die Grünen warnten lange vor der Abhängigkeit von Russland

Tatsächlich haben Habecks Grüne als eine der wenigen politischen Kräfte immer wieder davor gewarnt und schon lange gefordert, dass Deutschland stärker auf alternative Energien setzt. Geschehen ist zu wenig und jetzt herrscht blanke Not, es geht schlicht und einfach darum, den Heizungsausfall in Privathaushalten sowie weitreichende Schäden für die Wirtschaft zu verhindern. Energiesparen ist wichtig, Habeck setzt der Industrie dafür sinnvolle Anreize, doch das allein wird nicht reichen. Strom und Wärme müssen weiter fließen und das geht im Moment nicht ohne den Rückgriff auf Energiequellen, die eigentlich längst als schmutzig und überholt gelten. Etwa Kohle.

Habeck muss aber angesichts der Dramatik der Lage auch weitere Tabus auf den Prüfstand stellen. Wie sehr würde es helfen, Kernkraftwerke etwas länger laufen zu lassen? Ist es vertretbar, für eine Übergangszeit auf die deutschen Schiefergas-Reserven zurückzugreifen, die durch die umstrittene Fracking-Methode gefördert werden könnten? Das fordert etwa die FDP. Sollte die Bundesregierung gerade jetzt nicht das Heizen mit Holz aus nachhaltiger heimischer Forstwirtschaft fördern statt weiter einschränken? Darüber braucht es eine offene Debatte und unorthodoxe Entscheidungen. Klar muss aber sein: Es geht darum, die Entzugserscheinungen vom russischen Gas so gering wie möglich zu halten. Am Ende kann nur eine nachhaltige Energiewirtschaft stehen, die nicht mehr auf den Raubbau an der Natur setzt, sondern auf die schonende Nutzung ihrer Kräfte. Wie viel Macht etwa die Sonne hat, zeigt sie gerade eindrucksvoll. Da muss sich auch ein Putin warm anziehen.

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