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Foto: Jan Hübner, Imago
Foto: Jan Hübner, Imago

Claudia Neumann war 2016 die erste Frau, die live im deutschen Fernsehen ein EM-Männerspiel kommentierte.

Interview
31.01.2022

Sport-Kommentatorin Claudia Neumann: „Die Frauenquote tut nicht weh“

Von Johannes Graf

Exklusiv Im Internet wird ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann nach Fußballspielen beschimpft und beleidigt. Ein Gespräch über Hass und Hetze, ihren Kampf für Gleichberechtigung und die Kritik an den Strukturen des DFB.

Jahrelang eine Bundeskanzlerin, jetzt ein Kabinett mit ebenso vielen Frauen wie Männern. Und seit kurzem ist Donata Hopfen Geschäftsführerin der Deutschen Fußball-Liga. Auf dem Papier klingt das nach viel Gleichberechtigung. Wie erleben Sie das?

Claudia Neumann: Diese Aufzählung hört sich nett an, aber in der Realität sind wir vor allem im Sport, speziell im Fußball, von Gleichberechtigung noch weit entfernt. Die öffentliche Diskussion wird sich nicht mehr aufhalten lassen. Das wird sich zeigen, ob die Ankündigungen beispielsweise beim Deutschen Fußball-Bund, künftig Frauen stärker einzubinden, lediglich Symbolpolitik sind oder tatsächlich mit Leben gefüllt werden. Es geht nicht schlicht um die Existenz von Frauen, sondern um Akzeptanz, Anerkennung und Selbstverständlichkeit.

Sie haben 2016 als erste Frau ein Männer-EM-Spiel live im Fernsehen kommentiert. Hat Sie das stolz gemacht? Oder waren sie vor allem überrascht, dass es so lange gedauert hat?

Neumann: Weder noch. Es war irgendwie logisch. Ich hatte 25 Jahre Berufserfahrung und habe vom ersten Tag an über Fußball berichtet gehörte immer zum „inner circle“ der Fußballreporter. Allerdings war die Rechte-Lage zu dieser Zeit eine andere, heutzutage gibt es viel mehr Live-Fußball und ein Quereinstieg ist leichter möglich. Für mich stellten sich zwei Fragen: Kann ich das? Und wie ist die Akzeptanz? Es war der Wunsch meines Senders und ich habe es als richtig empfunden, diese Tür jetzt zu öffnen. Ich war etabliert, hatte reichlich Erfahrung und ein ordentliches Maß an Selbstverständnis, um erwartbare Reaktionen auszuhalten und nicht etwa völlig desillusioniert aufzugeben.

Vielmehr sind Sie zu einer Symbolfigur der Gleichberechtigung geworden. War Ihnen von Anfang an bewusst, welch wichtige Rolle Sie für künftige Generationen einnehmen können?

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Neumann: Nein, das war überhaupt nicht auf meiner Agenda. Ich habe das Thema „Frauen im Fußball“ 25 Jahre lang von mir weggeschoben, in den 90er Jahren wurden vor allem Moderatorinnen beim Männerfußball in diese Rolle gedrängt. Wenn ich ehrlich bin, war mir das zu diesem Zeitpunkt recht. Diese Haltung mag man bereuen, aber es ist ja nie zu spät. Dass die Thematik mich eingeholt hat, darüber bin ich sehr froh: Weil ich jetzt eine wichtige Aufgabe darin sehe, und in Zusammenarbeit mit anderen Frauen in der Lage bin, einen Mehrwert zu liefern. Mein Vorteil war, dass ich fußballsozialisiert war wie alle meine männlichen Kollegen. Ich bin auf dem Bolzplatz aufgewachsen und musste mich nicht verstellen. Ich glaube, heute ist das keine Voraussetzung mehr. Man kann mit anderer Expertise herangehen. Ich möchte gerne junge Frauen ermuntern, total bei sich zu bleiben und sich nicht von der Erwartung anderer treiben zu lassen. Im Jahr 2022 darf man eine andere Sicht auf den Fußball haben und sich als Sender moderner aufstellen.

Bei Sportübertragungen fällt dennoch auf, dass eine Kommentatorin bei einem Männerspiel weiterhin selten ist.

Neumann: Im Hörfunk gibt es viele Kommentatorinnen, aber im Fernsehen wollen die Frauen in erster Linie vor der Kamera stehen und moderieren. Für mich wäre das nie etwas gewesen. Im Kommentieren gab es immer wenig weibliche Vorbilder, selbst im Eiskunstlauf war eine Frauenstimme ungewohnt. Wenn man beschimpft oder ausgegrenzt wird, animiert das auch nicht unbedingt zum Nachmachen. Der Wandel in der Gesellschaft bietet die Chance, antiquiertes Denken abzuschaffen und Dinge zu verändern. Das Leben ist dynamisch und entwickelt sich weiter. Je weniger Exotik mit einer Fußball-Kommentatorin verbunden wird, desto selbstverständlicher wird sie. Das muss das Ziel sein.

Um diese Selbstverständlichkeit zu erreichen, haben Sie eine Frauenquote in Medien und Sport gefordert.

Neumann: Der erste Impuls ist immer: Quote bevorzugt Frauen, man muss sie suchen, aber es gibt die kompetenten gar nicht. Außerhalb der Betrachtungen von Feministinnen und Aktivistinnen wird mit der Frauenquote sehr eindimensional umgegangen. Man muss sie entstigmatisieren. Bevor ich mich intensiv damit befasst habe, empfand ich die Frauenquote auch eher negativ. Aber: Quote tut nicht weh. Wir wollen nicht, dass in jedem einzelnen Bereich des Fußballs eine Quote bestimmt. Aber wir wollen, dass für Frauen Türen aufgehen, sie sich bewerben können und eine faire Chance erhalten. Von denen, die über Jahrzehnte die Strukturen dominiert haben, muss die Einsicht kommen, dass Frauen ein Gewinn sein können. Warum wird bei Frauen immer die Kompetenzfrage gestellt, während diese bei Männern vorausgesetzt wird? Die Frauenquote ist für die Einstiegsphase und den Übergang zur Parität unumgänglich, damit man auf die Frauen aufmerksam wird, die tatsächlich in den gestellten Aufgaben etwas zu bieten haben. Irgendwann wird das nicht mehr nötig sein.

Stichwort Kompetenz. Diese wird Ihnen in den sozialen Netzen regelmäßig abgesprochen.

Neumann: Ich glaube, diesbezüglich geht es meinen männlichen Kollegen nicht anders. Der Fußball-Kommentar polarisiert wie kaum etwas anderes im Sport, dass die Netz-Sprache diesbezüglich speziell ist, kann ich mir gut vorstellen. Wenn Fehler passieren – und die werden immer mal unterlaufen – darf jeder kritisieren. Für die Art und Weise ist einzig der Absender verantwortlich. Bei der Frau als Kommentatorin kommt zudem eine Spur Grundablehnung hinzu, das gab’s halt Jahrzehnte nicht. Mit Neuem, Ungewohnten tun sich manche Menschen sehr schwer.

Kritik ist das eine, Hass und Hetze das andere. Ihr Sender hat während der EM 2021 die Anfeindungen an Sie öffentlich gemacht. Sie hingegen hätten die Hass-Kommentare im Netz lieber ignoriert. Warum?

Neumann: Mancher Dauernörgler zielt darauf ab, in den Medien widergespiegelt zu werden. Ich habe kein Problem damit, darüber zu reden. Es ist auch nicht so, dass mich das belastet. Ich will dieses Phänomen auch nicht totschweigen, sondern den nächsten Schritt gehen. Ich sehe mich in dieser Thematik als einen vergleichsweise harmlosen Fall, schließlich geht es nur um Fußball. Aber ich habe einfach keine Antwort auf – Entschuldigung – die immer gleichen Fragen, im Sinne einer Lösung. Wir müssen als Gesellschaft Strategien und Konzepte entwickeln und Juristen und Soziologen einbinden.

Klar positioniert haben Sie sich mit der Initiative „Fußball kann mehr“, in der Sie und weitere bekannte Frauen aus dem Fußball sich engagieren. Was steckt dahinter?

Neumann: Auslöser war eine Dokumentation, in der ich den Frauenanteil im Profifußball der Männer beleuchtet habe. Der entscheidende Impuls für die Initiative kam dann von Katja Kraus, dem ehemaligen HSV-Vorstand. Bis zu unserem ersten öffentlichen Aufschlag sind Monate vergangen. Zufällig fiel dieser genau in die Zeit, als sich die Führungskrise beim DFB zuspitzte. Unser Anliegen geht weit über den DFB hinaus, wir wollen den Fußball wieder näher an die Menschen bringen. Die Entfremdung ist groß und durch Corona noch verschärft worden.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf im Fußball?

Neumann: Auch der letzten Romantikerin unter uns ist deutlich geworden, dass es in den großen Verbänden hermetisch abgeriegelt zuallererst um Machtstrukturen geht. Der Fall der ehemaligen Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus, die ziemlich subtil eingeschüchtert wurde, hat gezeigt welche Machtmechanismen greifen. Und dennoch ist unser Signal ja offenkundig angekommen. Ich habe keinen DFB-Funktionär so häufig über Frauen reden hören, wie jetzt die aktuellen Präsidentschaftskandidaten. Und auch die wenigen Frauen, die bislang in Funktionen waren, machen mobil, fühlen sich durch unsere Initiative bestärkt.

Glauben Sie, die festgefahrenen Strukturen im DFB lassen sich tatsächlich aufbrechen?

Neumann: Wenn man einen geschlossenen Zirkel hat und von außen keinen Einfluss möchte, ist das in einer personell kleinen Allianz locker abfederbar. So funktioniert das System in den jetzigen Strukturen – Transparenz, Offenheit, Dialogbereitschaft sind quasi nicht existent. Nein, in der jetzigen Situation glaube ich an keine Veränderung.

Sie wollten unter anderem eine Doppelspitze etablieren. Für Ihre Anträge haben Sie aber kein Mitglied gefunden, dass diese beim DFB-Bundestag eingereicht hätte. Ein Rückschlag?

Neumann: Uns hat es nicht überrascht, dass die Anträge abgelehnt worden sind. Wir sind abgeschirmt worden, das spricht Bände. Wir halten das Verfahren nicht für demokratisch. Man hätte sich auf dem Bundestag gegen eine Doppelspitze entscheiden können – aber den Antrag sollte man zuvor zulassen. Man möchte mehr Frauen, mehr Vielfalt und sich gegen Diskriminierung einsetzen, findet dann aber stets Ausreden. Beispiel: die unsägliche Diskussion um die Regenbogenfarben an der Allianz-Arena. Das war ein Punkt, an dem man hätte ein Zeichen setzen können. Alle Menschen auf der Welt, die sich diskriminiert fühlen, sind bitter enttäuscht worden. Das war ein riesiges Versäumnis. Und dieses Gefühl hat man immer wieder.

Mancher TV-Zuschauer will keine Berichte über Menschenrechtsverletzungen oder fragwürdige Geschäftspraktiken sehen. Wie politisch darf oder muss Sportjournalismus sein?

Neumann: Das kann jedes Medium für sich selbst beantworten. Ein öffentlich-rechtlicher Sender wie das ZDF hat eine andere Ausrichtung als ein privates Wirtschaftsunternehmen. DAZN beispielsweise kauft Sportrechte und macht ein Unterhaltungsprogramm daraus. Das ist nicht despektierlich gemeint. Unser Auftrag ist aber ein anderer, und ich bin froh, dass wir diesen gesellschaftspolitischen Themen nachgehen. Teils könnten wir das in bestimmten Formaten noch gezielter verfolgen.

Wie sollte aus Ihrer Sicht die Berichterstattung von Olympia in Peking oder der Fußball-WM in Katar aussehen?

Neumann: Ich gehe davon aus, dass wir so politisch wie nie zuvor von Olympischen Spielen berichten werden. Auch wenn die Voraussetzungen für Journalisten brutal sind. Die kritischen Themen liegen einfach auf der Hand. Die WM in Katar wird ähnlich werden. Trotzdem wollen wir natürlich mit Freude und Verve die Spiele übertragen.

Letzte Frage: Wie lange wird es dauern, bis die Fußball-Nationalmannschaft der Männer eine Bundestrainerin hat?

Neumann: Bezüglich Kompetenz und Umgang zwischen Männern und Frauen wäre das jetzt schon möglich. Posten in Vorständen und Management wird es bald geben, danach Athletiktrainerinnen oder Co-Trainerinnen. Vielleicht gibt es irgendwann auch eine Überfliegerin, die von einer DFB-Doppelspitze als Bundestrainerin eingesetzt wird. Ich glaube, die Spieler hätten damit am wenigsten ein Problem.

Zur Person

Claudia Neumann, 1964 in Düren geboren, arbeitet seit 1999 als Redakteurin und Reporterin in der ZDF-Hauptredaktion Sport. Zuvor war sie bei SAT.1 und RTL. 2016 kommentierte Neumann als erste Frau live ein EM-Männerspiel. Sie engagiert sich für Gleichberechtigung im Sport und ist Mitglied der Initiative „Fußball kann mehr“.

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