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Foto: Danish Defence Command, dpa
Foto: Danish Defence Command, dpa

Dieses vom dänischen Verteidigungskommando zur Verfügung gestellte Foto zeigt das Nord-Stream-2-Gasleck in der Nähe von Bornholm.

Ingolstadt
24.11.2022

Wie Forscher aus Ingolstadt Gaspipelines sicherer machen wollen

Von Stefan Küpper

Plus Die zerstörten Nordstream-Pipelines haben gezeigt, wie angreifbar Europas kritische Infrastruktur ist. Experten der TH Ingolstadt halten mittels Künstlicher Intelligenz dagegen.

„Wenn es knallt wie in der Ostsee, dann können wir auch nicht viel machen", sagt Alexander Schiendorfer. Aber bei einer Gaspipeline können schließlich auch anderweitige Probleme auftreten: Cyber-Attacken, Verschleiß, kleinere Leckagen - was auch immer die Umwelt für so ein Rohr bereithält. Um derlei zu erkennen, rechtzeitig zu erkennen, und dann bereit zu sein, Alternativen zu haben, daran arbeiten Schiendorfer und seine rund 20 Kolleginnen und Kollegen. 

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Die Bilder der vom Gas aufgespülten Ostsee hatten Ende September den Deutschen ins Bewusstsein gerufen, wie verletzlich die Kritische Infrastruktur (KRITIS) in Europa ist. Ende September waren nach Explosionen bei Bornholm - in internationalen Gewässern der Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens - insgesamt vier Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 entdeckt worden.

Vergangene Woche schließlich hatte die schwedische Staatsanwaltschaft - nach Stand ihrer bisherigen Ermittlungen - bestätigt, dass diese Explosionen auf schwere Sabotage zurückzuführen seien. Vor Ort waren auch Spuren von Sprengstoff entdeckt worden. Nicht nur die Bundesregierung arbeitet seither daran, kritische Infrastruktur in Deutschland besser zu schützen. Auch das Europaparlament hat am Dienstag erst ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.

AImotion an der TH Ingolstadt forscht zu Künstlicher Intelligenz

Das sind auch gute Nachrichten für Schiendorfer, denn der Forschungsprofessor arbeitet an dem Projekt „IKIGas“. In den kommenden drei Jahren sollen damit „innovative, leistungsstarke und selbst lernende Werkzeuge" entwickelt werden, um eine Gaspipeline sicherer zu machen. Und zwar mittels Künstlicher Intelligenz (KI und auf Englisch: Artificial Intelligence AI). Künstliche Intelligenz ist zunächst einmal nur ein Teilgebiet der Informatik. Es geht, vereinfacht gesagt, darum, intelligentes menschliches Verhalten mit Programmen zu simulieren und dann zu automatisieren. Autos, die selbstständig fahren, Gaspipelines, die sich selbst schützen. 

Schiendorfer arbeitet für AImotion Bavaria, ein Institut der Technischen Hochschule Ingolstadt. Dieses wiederum gehört zu einem Verbund, der mit der von der Bayerischen Staatsregierung aufgesetzten Hightech-Agenda geschaffen wurde: An verschiedenen sogenannten Knoten erforschen und entwickeln verschiedene Institute Bereiche der Künstlichen Intelligenz. Würzburg macht Data Science, Erlangen kümmert sich um Gesundheit, München um Robotik und Ingolstadt konzentriert sich auf Mobilität. 

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Der in Augsburg promovierte Schiendorfer ist folgerichtig eigentlich Professor für KI-basierte Optimierung in der Automobilproduktion. Jetzt allerdings gilt ein großer Teil seiner Arbeit Energienetzen und ihrer Verletzlichkeit. Sein Projekt wird vom Bundesforschungsministerium mit dem Programm „Künstliche Intelligenz in der zivilen Sicherheitsforschung II“ gefördert. Wenn es ein Erfolg wird, soll es nach drei Jahren einen Demonstrator geben, also vereinfacht gesagt eine Software, die die beteiligten Unternehmen dann testen und im Idealfall nutzen können. Mit von der Partie sind PSI Software in Berlin, die Avacon Netz in Salzgitter, die PSI FLS Fuzzy Logik & Neuro Systeme in Dortmund und Thyssengas. 

Schiendorfer erklärt den Ansatz so: „Die Grundidee unseres Projektes ist es, relativ viele Sensordaten der Pipelines und der Transportnetze miteinander in Verbindung zu bringen und die Daten aufzuzeichnen." Welcher Druck herrscht wann, wo? Gibt es Druck-Abfälle? Wie sind die Füllstände, wie die Brennwerte der Gase? „Wir verbinden Messtechnik mit einer Analyse-Software, die Künstliche-Intelligenz-Methoden einsetzt und dann im besten Fall tatsächlich feststellt: Moment, da läuft jetzt etwas nicht so, wie wir es erwartet hätten. „Es geht dabei nicht nur um etwaige Sabotage-Szenarien, sondern um alles, was den normalen Pipeline-Betrieb stören könnte. „Ziel ist, dass wir schnell erkennen, was wo passiert ist, um dann auch schnell handlungsfähig zu sein." Sei es, um den kleinen oder großen Knall zu verhindern, sei es, um die Folgen schnell zu bewältigen, wenn das Malheur schon passiert ist. 

Sprengstoff kann die Software nicht erkennen

Was die Software nicht können wird: erkennen, wenn jemand von außen Sprengstoff an eine Leitung anbringt. Schiendorfer sagt: „Dazu müssten wir eine durchgehende Kameraüberwachung, eine durchgehende Vibrations-Sensorik haben. Das ist bei der Kilometerzahl, die die Energietransportnetze haben, realistischerweise nicht machbar." 

Erklärtes Ziel ist dagegen, Strom- oder Gasnetze gegen Cyber-Attacken besser zu schützen. Wenn Hacker zum Beispiel versuchen würden, schon einkalkulierte Strom- oder Gasmengen zu manipulieren. Indem man etwa koordiniert zu viel Gas ins Netz pumpt oder an verschiedenen Stellen den Hahn etwas zudreht. „So was kann ein Stromnetz sofort destabilisieren, weil wir sofort Spannungsprobleme haben. Bei Gasnetzen geht das auch, wenn auch etwas verzögerter." Schiendorfer und sein Team prüfen ganz konkret, ob etwa die bestellte Menge Gas, die beispielsweise von Ingolstadt nach Augsburg geschickt wird, im korrekten Volumen - oder mit dem erwarteten Druckabfall - ankommt.

„Gasnetze sind ja letztlich nichts anderes als Rohrsysteme, in denen Moleküle transportiert werden", erklärt der Experte. Die KI prüft hierbei, ob die Erwartungen erfüllt werden und ob, falls nicht, reagiert werden muss. „Die KI versucht mit all den in der Vergangenheit gesammelten Daten die Zukunft einigermaßen plausibel vorherzusagen." Dabei werden natürlich in einer Computersimulation Attacken simuliert, bei denen eine Software angreift und die andere verteidigt. 

Bundesinnenministerium: Eckpunkte für KRITIS-Dachgesetz sind in der Ressortabstimmung

Um besser gewappnet zu sein, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) so schnell wie möglich ein Gesetz zum besseren Schutz kritischer Infrastrukturen in Deutschland auf den Weg bringen. Die Eckpunkte dieses sogenannten KRITIS-Dachgesetzes sollen noch in diesem Jahr durchs Kabinett gehen und sind nach Angaben eines Ministeriumssprechers derzeit in der Ressortabstimmung. Grundsätzlich sind in Deutschland die Betreiber kritischer Infrastrukturen verantwortlich für den Schutz ihrer Anlagen. 

Auch das Europäische Parlament hat reagiert. Das am Dienstag in Straßburg verabschiedete Gesetz umfasst strengere Regeln für die Risikobewertung und Berichterstattung für wesentliche Akteure vom Straßenverkehr über das Gesundheitswesen bis hin zur Raumfahrt. Außerdem werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Resilienzstrategien zu verabschieden und zentrale Anlaufstellen für länderübergreifende Kommunikation schaffen. (mit dpa)

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