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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

DIW-Präsident Marcel Fratzscher fordert ein autofreies Wochenende.

Interview
18.03.2022

DIW-Chef Fratzscher: Ein autofreies Wochenende ist sinnvoll

Von Stefan Stahl

Top-Ökonom Fratzscher sieht massive ökonomische Auswirkungen des Krieges in der Ukraine für Deutschland. Von Lindners Spritrabatt hält er nichts.

Herr Fratzscher, was lehrt Sie der Überfall Russlands auf die Ukraine als Ökonom?

Marcel Fratzscher: Dass uns alles Geld nichts hilft, wenn es keinen Frieden gibt. Und für mich wird noch deutlicher, dass wir in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten am falschen Ende gespart haben. Wir haben viel zu lange die Bundeswehr finanziell vernachlässigt. Und uns wird schmerzhaft bewusst, dass wir uns, was die Energieversorgung betrifft, in eine viel zu große Abhängigkeit zu Russland begeben haben. Besser wäre es gewesen, frühzeitig stärker in erneuerbare Energien zu investieren. Das ist positiv für den Klimaschutz und stärkt die Unabhängigkeit Deutschlands von Russland.

Sie glauben, dass es gute Schulden gibt, was die schwäbische Hausfrau, ja der schwäbische Hausmann anders sehen.

Fratzscher: Es geht nicht darum, wie viele Schulden der Staat insgesamt hat. Wesentlich ist vielmehr die Frage, wofür er die Schulden aufnimmt. Aus meiner Sicht sind es gute Schulden, wenn der Staat etwa in den Klimaschutz, die Sicherheit des Landes, in Bildung und die Digitalisierung investiert. Kluges Schuldenmachen beziehungsweise kluges Investieren bedeutet langfristig mehr Wohlstand zu schaffen, sodass man Schulden auch wieder schneller abbauen kann.

Und was heißt das in Bezug auf Russland?

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Fratzscher: Hätten wir uns schon vor 15 Jahren durch Investitionen in erneuerbare Energien unabhängig von Russland gemacht, als sich abzeichnete, welchen Kurs Putin einschlägt, wäre der Schaden für uns heute deutlich geringer. Wir brauchen ein komplett anderes Denken, was Sparen und Schulden betrifft. Wir müssen über Wohlstand, also die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, reden und nicht über die Moral, möglichst viel zu sparen.

Doch mit der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg ist Sparen ohnehin aus der Mode gekommen. Das passt doch voll in Ihr Konzept. Werden Ihre Träume ausgerechnet von FDP-Chef Lindner erfüllt?

Fratzscher: Niemand kann sich eine solche Pandemie wünschen, und vor allem wir Deutschen haben in der Pandemie nochmals mehr gespart. Und nicht jede Ausgabe des Staates ist gut, im Gegenteil. So halte ich auch nichts von einem Tankrabatt, mit dem die FDP liebäugelt, und der 13 Milliarden Euro kosten soll.

Aber ein ordentlicher Zuschuss pro Liter Benzin und Diesel ist doch nicht verkehrt.

Fratzscher: Das wären im wahrsten Sinne des Wortes schlechte Schulden, weil wir dadurch den fossilen Energieträger Erdöl unterstützen, der zum Klimawandel beiträgt. Wir müssen in Zukunft nicht mehr für Sprit ausgeben, sondern weniger. Und es handelt sich auch deswegen um schlechte Schulden, weil viele Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen sich kein Auto leisten können, also vom Tankrabatt nicht profitieren würden.

Hilft Lindners Konzept vor allem Besserverdienenden?

Fratzscher: Sehr gut verdienende Familien haben oft zwei oder drei Autos und würden überproportional von dem Vorstoß profitieren. Sie fahren in der Regel auch keine sparsamen Kleinwagen. Zudem trifft die hohe Inflation Menschen mit geringem Einkommen viel härter als Besserverdienende. Das ist eine höchst unsoziale Inflation, weil gerade Menschen mit geringerem Verdienst überproportional etwa unter den explodierenden Lebensmittelpreisen leiden. Dagegen wäre ein solcher Tankrabatt eine Umverteilung von unten nach oben.

Doch auch die Krankenschwester, die auf dem Land wohnt und mit ihrem Auto in die Stadt pendelt, würde vom Lindner-Tankbonus deutlich profitieren.

Fratzscher: Natürlich müssen solche Menschen finanziell unterstützt werden. Doch es gibt viel bessere Wege, das zu tun. Und wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, den russischen Import von Gas und Öl so schnell wie möglich auf null runterzubringen. Das darf keine 15 Jahre dauern.

Sollten wir sofort auf russisches Gas verzichten?

Fratzscher: Ich sehe ein kurzfristiges Embargo gegen Russland, also einen vollständigen Verzicht auf Gas, Rohstoffe und etwa Getreide, sehr kritisch. Das wäre – rein moralisch betrachtet – natürlich richtig. Man will diesem Regime keinen Euro mehr in den Rachen schmeißen. Doch der Schaden wäre für Deutschland und die Welt sehr groß. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, den Verbrauch von Benzin und Diesel stark zu verringern. Dazu brauchen wir eine wirkliche Verkehrswende, also einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auch auf dem Land. Wir müssen unsere Gebäude energetisch sanieren. Und wir müssen beim Heizen vom Öl und Gas wegkommen. Der Umstieg ist teuer, aber wir haben keine andere Wahl. Doch das sind kluge Schulden. Die Politik muss nun konkrete Pläne vorlegen, wie dies gelingen kann, und nicht populistischen Maßnahmen wie den Spritpreis-Deckel einführen. Wir müssen vielmehr Menschen mit geringem Einkommen, wie etwa die Krankenschwester auf dem Land, entlasten.

Wie soll das geschehen? Die Zeit drängt. Die Inflation ist nicht zu stoppen. Doch Sie haben im Oktober vergangenen Jahres noch vor einer Inflationspanik gewarnt und gehofft, die Teuerung könnte sich 2022 wieder deutlich abschwächen. Sie lagen also falsch mit Ihrer Prognose.

Fratzscher: Natürlich lag ich falsch. Ich ändere meine Meinung, wenn sich die Fakten ändern. Und die Fakten haben sich geändert: Wer hat Ende Oktober 2021 vorhergesehen, dass Russland die Ukraine überfällt und im Zuge dessen Energie- und Lebensmittelpreise weiter kräftig steigen, was die Inflation erhöht? Dabei haben wir das dicke Ende der Inflation noch nicht gesehen. So sind die Ukraine und Russland für 28 Prozent der weltweiten Weizenexporte verantwortlich. Doch durch den Krieg gehen die Lieferungen zurück, was die Preise nach oben treibt. Ich erwarte also weiter explodierende Nahrungsmittelpreise. Wir sehen hier noch nicht das Ende der Fahnenstange.

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Foto: Noemi Luna Loibl
Foto: Noemi Luna Loibl

Die Spritpreise sind hoch.

Was befürchten Sie denn noch?

Fratzscher: Die Lage könnte sich durch eine Eskalation des Krieges oder auch durch ein Embargo gegen Russland, aber auch durch eine Weigerung Russlands, Gas und Öl in den Westen zu exportieren, zuspitzen. Das würde die Inflation weiter anheizen. Die Prognose der Europäischen Zentralbank, dass die Inflation im Euroraum in diesem Jahr um 5,1 Prozent steigt, scheint mir deutlich zu optimistisch. Die EZB hat in diesem Jahr wegen des Krieges keinen Spielraum, die Zinsen zu erhöhen. Wenn es zu einer Eskalation kommt, wird die Inflation deutlich steigen.

Hoffentlich täuschen Sie sich.

Fratzscher: Das ist auch meine Hoffnung. Doch alles, was wir im Moment sehen, deutet auf einen weiteren Inflationsanstieg hin. Nun ist es Aufgabe der Politik, diesen Schock, soweit es geht, abzufedern. Die Politik muss Menschen, die am wenigsten haben, am meisten helfen. Also brauchen vor allem Menschen mit geringem Einkommen die Hilfe des Staates. Denn diese Menschen haben häufig keine Ersparnisse.

Da wären doch Lindners Tankrabatt und ordentliche Heizkostenzuschüsse ein probates Mittel.

Fratzscher: Nein, genau das Gegenteil trifft zu. Ein Spritpreis-Deckel hilft vor allem den Besserverdienern und kaum Menschen mit geringem Einkommen und mit wenig Schutz und Ersparnissen. Wir sollten vielmehr den reduzierten Mehrwertsteuersatz von derzeit sieben auf null Prozent heruntersetzen. Darunter fallen nämlich vor allem Dinge der Grundversorgung wie Nahrungsmittel. Das hilft schnell und alle würden davon profitieren. Menschen mit geringerem Einkommen würden jedoch proportional mehr davon profitieren als Bezieher größerer Einkommen. Das wäre eine soziale Maßnahme. Und es wäre auch besser für das Klima als ein Tankrabatt.

Und was ist mit Menschen auf dem Land?

Fratzscher: Natürlich sind viele Menschen auf dem Land auf das Auto angewiesen. Auch diese Menschen verdienen unsere Unterstützung, was aber besser über ein entsprechendes Energiegeld als einen Tankrabatt geschieht. Denn viele von uns können Energie sparen, gerade wenn sie in Städten mit einem guten öffentlichen Nahverkehr leben. Doch während man in der Stadt auf das Auto zum Teil verzichten kann, geht das bei Nahrungsmitteln oder beim Heizen nicht. Wir haben 2020 gute Erfahrungen während der Corona-Krise mit einer Mehrwertsteuersenkung gemacht. Rund zwei Drittel der Maßnahmen kamen bei den Konsumentinnen und Konsumenten an. Natürlich nehmen Menschen die höchst soziale Senkung der Mehrwertsteuer anders als den populistischen Spritpreis-Deckel nicht sofort wahr.

Ist es am Ende nicht die klügste Entscheidung, Menschen zum Einsparen von Energie zu bewegen? Auch wenn sich die FDP sträubt: Ein Tempolimit ist wohl unausweichlich.

Fratzscher: Wir müssen Anreize zum Energiesparen setzen, also über die Nachfrageseite gehen.

Also ein Tempolimit einführen.

Fratzscher: Ein Tempolimit hilft sicherlich, um Energie zu sparen. Aber viele andere Maßnahmen sind noch wichtiger, vor allem die Sanierung von Gebäuden.

Und wie wäre ein autofreier Sonntag?

Fratzscher: Ein autofreier Sonntag – oder besser noch ein autofreies Wochenende – wäre für alle, die nicht fahren müssen, sinnvoll, um Sprit zu sparen. So würden alle das Auto stehen lassen, die es nicht für berufliche Zwecke brauchen. Dabei wäre es doch eine gute Idee, die Einführung des Tempolimits und eines autofreien Wochenendes mit vergünstigten Tarifen im öffentlichen Nahverkehr zu kombinieren.

Doch viele Menschen auf dem Land verfügen nicht über einen leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr. Oft fahren Busse abends nicht mehr.

Fratzscher: Dessen bin ich mir bewusst. Aber wir müssen uns auch ehrlich machen: Wir können nicht über den Überfall Russlands auf die Ukraine schimpfen und uns über höhere Energiepreise aufregen, wir müssen auch handeln. Und jeder Bürger kann etwas tun, etwa indem er das Auto mal stehen lässt. Es gibt jedenfalls ein enormes Energie-Einsparpotenzial beim Verkehr. Das muss ein Element eines Pakets sein, um Energie zu sparen und um gleichzeitig umweltbewusster zu handeln.

Das Wirtschaftsjahr wird schwierig. Kommen wir mit einem stagnierenden Wachstum davon oder droht uns eine Rezession?

Fratzscher: Wir werden wohl in eine Rezession schlittern, die Frage ist, wie tief diese Rezession ausfällt und wie lange sie anhält. Auch ohne den Krieg wäre die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal 2022 wohl geschrumpft. Ich befürchte, dass sich das jetzt bewahrheitet. Mit dem Krieg könnte sich das im zweiten Quartal fortsetzen.

Gibt es Hoffnungszeichen?

Fratzscher: Es gibt einen Silberstreif am Horizont. Denn die deutsche Wirtschaft war vor dem Krieg in guter Verfassung. Sie ist stark und widerstandsfähig. Gerade unsere Mittelständler sind anpassungsfähig. Die Auftragsbücher waren zum Jahresauftakt voll. So liefen die meisten Prognosen darauf hinaus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um drei bis vier Prozent wächst.

Also gibt es doch einen Silberstreif am Horizont.

Fratzscher: Den Silberstreif sehe ich aber nur für den Fall, dass es zu keiner Eskalation im Krieg und keinem russischen Gas- und Öllieferstopp kommt. Sonst ist eine Rezession in Deutschland wohl kaum abzuwenden. Kommt es zu so einem Lieferstopp, ist ein Arbeitsplatzabbau in Deutschland unvermeidbar. Der wirtschaftliche Preis wird für Deutschland nicht viel geringer sein als in der Pandemie. Wenn die Lage sich beruhigt, könnte es jedoch bei einer kurzen, milden Rezession bleiben – und das ohne einen spürbaren Arbeitsplatzabbau.

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