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Foto: Rico Grund, Montage: AZ
Foto: Rico Grund, Montage: AZ

Clemens Fuest (links) und Marc Lucassen sind sich einig in der Bewertung der Schuldenbremse: Der Staat dürfe nicht immer mehr Geld für laufende Ausgaben verwenden.

Interview
02.10.2021

Ifo-Chef Fuest: "Ohne einen hohen CO2-Preis wird es nicht gehen"

Von Michael Kerler, Matthias Zimmermann

Plus Schwabens IHK-Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen und Ifo-Präsident Clemens Fuest diskutieren, was die Wirtschaft jetzt braucht und wie teuer Benzin sein müsste.

Herr Fuest, der Export läuft gut, die Beschäftigung steigt, aber trotzdem schwächt sich das Wachstum ab. Was ist los mit der Konjunktur?

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Clemens Fuest: Die Konjunkturerholung wird etwas länger dauern als wir das zuletzt erwartet haben. Wir haben unsere Prognose vor kurzem reduziert von 3,3 auf 2,5 Prozent für 2021, dann deutlich mehr nächstes Jahr. Es verschiebt sich alles nach hinten. Schuld ist die Materialknappheit. Es sind nicht nur die Halbleiter, die fehlen. Es fehlen elektronische Komponenten, Stahl, Aluminium, alle möglichen Stoffe und Bauteile, Plastikteile, auch Verpackungsmaterialien. Das ist sehr breit. Wir hatten eigentlich vermutet, dass sich das über den Sommer etwas entspannt. Was wir aber sehen, ist eine Verschärfung. In der letzten Umfrage haben uns im verarbeitenden Gewerbe 80 Prozent der Firmen gesagt, wir haben Probleme mit Vorprodukten. Wenn man die letzten drei Jahrzehnte zurückschaut, war das Maximum 20 Prozent. Das zeigt die Dimension der Beschaffungskrise. Firmen aus der Automobilindustrie sagen uns, die Knappheit bei den Halbleitern wird noch weitergehen im Jahr 2022, vielleicht sogar bis 2023. Das ist ein großes Problem.

Herr Lucassen, wie ist es in der Region?

Marc Lucassen: Wir spüren, dass sich die Konjunktur erholt, allerdings dämpfen Nachwirkungen aus der Corona-Krise die Entwicklung. Die Unternehmen der Region leiden auch unter den genannten Lieferengpässen zum Beispiel bei elektronischen Chips, Kunststoff oder Rohstoffen für den Bau. Wir befürchten, dass dies noch monatelang anhält. Aber der Arbeitsmarkt hat sich erholt, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Der Fachkräftemangel kommt mit Wucht zurück.

Wo fehlen besonders viele Fachkräfte?

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Lucassen: Wir stellen einen drastischen Mangel an Fachkräften in den IT-Berufen sowie in der Elektro- und Metallindustrie fest. Betroffen sind auch Hotels und Gaststätten, wo Küchen- und Servicekräfte fehlen. Hier haben sich viele Beschäftigte in der Corona-Zeit andere Arbeitgeber gesucht. Viele Fachkräfte sind auf absehbare Zeit weder in der Region noch auf nationaler oder europäischer Ebene verfügbar. Hier müssen wir uns grundlegende Gedanken machen.

Welche Ideen zur Lösung des Fachkräfteproblems hat die Wirtschaft?

Lucassen: Wir müssen die duale Berufsausbildung noch prominenter bewerben. Wir tun hier als IHK bereits sehr viel, die Corona-Krise hat den Trend zur Akademisierung aber leider nochmals verstärkt. In der Krise haben viele junge Menschen entschieden, weiter in die Schule zu gehen oder eine akademische Ausbildung zu beginnen. Die neue Bundesregierung muss sich deshalb mehr für die Gleichwertigkeit nicht-akademischer und akademischer Bildung engagieren. Helfen kann unseren Unternehmen auch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das es möglich macht, gezielter Fachkräfte aus dem nichteuropäischen Ausland anzuwerben - vom Auszubildenden über den Koch bis zum IT-Spezialisten. Das Interesse der regionalen Firmen ist groß.

Eine große Hürde für die Bildung einer neuen Regierungskoalition dürfte die Frage sein, wie man es denn mit den Steuern hält: rauf oder runter?

Fuest: Finanzpolitik sollte man nicht nach kurzfristiger Kassenlage gestalten. Auf lange Sicht kann man nur das ausgeben, was man einnimmt. Kurzfristig sollte Finanzpolitik aber konjunkturgerecht sein. Die Politik muss sich derzeit also überlegen, wie man das Gleichgewicht findet zwischen dem Schutz der öffentlichen Einnahmen und einer Steuerpolitik, die einen wirtschaftlichen Aufschwung nicht abwürgt. Für größere Steuersenkungen haben wir derzeit nur sehr begrenzte Spielräume. Wenn man das macht, muss man auch Ausgaben kürzen oder zumindest einfrieren.

Das könnte schwierig werden, denn für die anstehenden Aufgaben, etwa beim Klimaschutz, braucht der Staat ja weiterhin viel Geld

Fuest: Es gibt zwei grundlegende Fehler in der Debatte. Erstens: Ausgaben werden sakrosankt gesetzt und die Steuerpolitik muss sich dann anpassen. Tatsächlich gibt es kaum Ausgaben, die sakrosankt sind, das sind immer politische Entscheidungen. Und zweitens: zu denken, die notwendigen Investitionen wären immer öffentlich. Wir reden zu 85 Prozent über private Investitionen in Deutschland, zu 15 Prozent über öffentliche.

Aber dennoch braucht der Staat doch Geld für die Transformation…

Fuest: Es gibt ein aktuelles Gutachten von Agora Energiewende, in dem geschätzt wird, was wir an grünen staatlichen Investitionen brauchen. Es sind etwa 460 Milliarden Euro bis 2030, also etwa 1,3 Prozent pro Jahr des BIP. Das ist für sich genommen gar nicht viel. Dazu werden allerdings Dinge gezählt wie Leitungsnetze für Gas, sozialer Wohnungsbau – das alles kann man auch privat finanzieren. Das heißt, es ist nicht so sehr zutreffend, dass wir riesige öffentliche Ausgaben brauchen. Wir müssen auf intelligente Weise entscheiden, was organisieren wir öffentlich und was privat. Es ist ganz klar, dass ein ganz großer Teil der Transformationsinvestitionen – in Digitalisierung, in Dekarbonisierung – in Unternehmen stattfindet. Deswegen werden wir diese Transformation nicht schaffen, wenn wir den privaten Sektor abwürgen mit höheren Steuern.

Lucassen: Da bin ich ganz bei Ihnen. Die Schuldenbremse hat sich bewährt. Wir müssen schauen, dass öffentliche Ausgaben nicht einfach nur den Konsum, sondern besonders Investitionen anregen.

Fuest: Die Schuldenbremse steht in der Verfassung. Wir werden keine Mehrheiten haben, die zu ändern. Aber die Schuldenbremse lässt erhebliche Spielräume für Investitionen. Der Bund kann die Bahn mit Kapital ausstatten, er kann öffentliche Unternehmen mit Kapital ausstatten. Was nicht geht, ist öffentliche Konsumausgaben immer weiter zu erhöhen, und das ist ja auch ganz gut so.

Dann sind steigende Staatsschulden derzeit kein Problem?

Fuest: Kurzfristig würde ich das Senken von Staatsschulden nicht als Priorität ansehen. Aber ich denke auch nicht, wir sollten die Schuldenbremse in die Luft sprengen. Ich glaube, dass vor der Krise die Schwarze Null schon richtig war. Aber wir haben negative Zinsen, wir haben eine Reihe von einmaligen Investitionsbedarfen jetzt. Die Zeit ist relativ günstig. Ich glaube das größere Problem bei der Umsetzung aller Investitionen liegt darin, dass wir gar nicht die Kapazitäten haben.

Lucassen: Das ist absolut richtig. Denken Sie nur an die sehr gut ausgelastete Bauwirtschaft.

Was würden Sie einer neuen Bundesregierung denn nun empfehlen, Steuern rauf oder Steuern runter?

Fuest: Meines Erachtens wäre ein guter Kompromiss für die Koalition, die nun ansteht, dass man auf große Steuersenkungen und -erhöhungen verzichtet und dafür durch beschleunigte steuerliche Abschreibungen Anreize setzt für Investitionen, etwa für Gebäudedämmung, für grüne Investitionen in den Unternehmen, für die digitale Transformation. Beschleunigte Abschreibungen sind so etwas wie eine stille Beteiligung des Staates an den Unternehmen. Das ist eine Win-win-Situation. Der Staat setzt heute Geld ein, damit wir in Zukunft mehr Wohlstand und Klimaschutz haben.

Lucassen: Wir sind uns einig, dass wir den Klimaschutz nach vorne bringen müssen. Dies sollte über marktwirtschaftliche Mechanismen erfolgen. Verbote und Dirigismus sind fehl am Platz. Der Staat muss Anreize schaffen, damit in klimafreundliche Technologien investiert wird. Ein diskutierter Weg ist die Erhöhung des CO2-Preises. Wir bevorzugen die von Herrn Fuest erwähnten steuerlichen Mechanismen, zum Beispiel Abschreibungen auf klimafreundliche Investitionen. Wir brauchen zwingend eine europäische Lösung, keine deutschen Alleingänge. Ansonsten verstärken wir den Trend, dass energieintensive Branchen abwandern. Werkstoffe aus Kohlefasern werden zwar noch in Deutschland entwickelt, wegen der hohen Energiekosten aber in Übersee produziert. Das ist ein warnendes Beispiel.

Reicht denn die CO2-Bepreisung, um den Klimaschutz zu finanzieren?

Fuest: Nochmal, es ist eine Fehlannahme bei der Dekarbonisierung, dass da zunächst so viel Geld benötigt würde. Erst einmal nimmt man ja Geld ein, denn es sollte ja der Grundsatz gelten: Wer verschmutzt, muss dafür bezahlen. Wenn es allerdings bei uns einen hohen CO2-Preis gibt und im Ausland nicht, dann haben wir ein Problem der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Die Pläne, das auszugleichen, gehen zwar in die richtige Richtung, aber sie werden letztlich nur teilweise funktionieren. Insofern muss man, was die Industrie angeht, jetzt schon aufpassen, dass die Energieversorgung und die CO2-Bepreisung keine Verwerfungen auslösen. Aber ohne einen hohen CO2-Preis wird es nicht gehen. Im Wahlkampf gab es große Aufregung, als Frau Baerbock gesagt hat: ,Leute, das Benzin wird teurer.’ Tatsächlich muss es noch viel teurer werden, wenn wir wirklich Klimaneutralität wollen! Der CO2-Preis muss im Mittelpunkt aller Konzepte zum Klimaschutz stehen. Natürlich muss man das ergänzen um Ausgleich, auch um sozialen Ausgleich, wo es erforderlich ist. Aber man hat dann ja erst einmal Einnahmen.

Soziale Fragen stellen sich beim Kampf gegen den Klimawandel möglicherweise auch, wenn Unternehmen ins Schlingern geraten, weil sie Produkte herstellen, die keiner mehr braucht, Teile für Verbrennermotoren etwa. Für wie groß halten Sie das Problem?

Fuest: Das Problem halte ich für ernst, aber zu bewältigen. Wir haben am ifo Institut eine Studie gemacht, in der wir angeschaut haben, wie viele Menschen arbeiten bei Verbrennern? Und wie viele Menschen gehen in den nächsten Jahren in Rente, wie hoch ist also die natürliche Fluktuation? Und wie viele Menschen brauchen andere Jobs? In den Szenarien, die wir da anschauen, kommt heraus, dass wir etwa für 100.000 Menschen bis 2030 Umschulungen brauchen, neue Jobs. Das sind qualifizierte Leute. Das ist viel, aber das ist zu schaffen. Das größte Problem ist wahrscheinlich, dass es regional konzentriert ist. In Regionen wie dem Saarland, teilweise Sauerland, Südwestfalen. Hier in Bayern ist die Automobilindustrie natürlich auch stark. Aber hier gibt es viel mehr Strukturen, in denen auch neue Jobs entstehen.

Lucassen: Unsere Tochtergesellschaft im Bereich der Weiterbildung, die IHK Akademie Schwaben, arbeitet eng mit den Arbeitsagenturen zusammen. Auf die gemeldeten Bedarfe reagieren wir mit modernen Weiterbildungsangeboten. Dass Berufsbilder sich wandeln oder ganz Neue entstehen, ist nichts Außergewöhnliches. Viele der Technologien, die jetzt bei der Transformation zur Elektromobilität gefragt sind, gibt es bereits, ebenso wie die mit ihnen verbundenen Berufsbilder, wie beispielsweise den Elektrotechniker oder den Mechatroniker. Dennoch ist die Umstellung für die Unternehmen groß, denn im Unterschied zu vielen anderen Komponenten, gehörte es zum Selbstverständnis der deutschen Automobilhersteller den Motor selbst zu entwickeln und herzustellen. Die Umstellung auf den elektrischen Antrieb entspricht damit natürlich einer fundamentalen Veränderung in dieser Industrie.

Zu den Personen:

Clemens Fuest, 53, ist seit 2016 Präsident des Münchner ifo-Instituts und Experte für Steuerpolitik.

Marc Lucassen, 49, ist seit Januar 2020 Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben.

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