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Foto: Alexander Kaya (Archivbild)
Foto: Alexander Kaya (Archivbild)

Immer wieder ziehen "Spaziergänger" durch Illertissen. Dieses Mal marschierten sie zum Haus des Bürgermeisters.

Ulm/Illertissen
22.02.2022

"Corona-Spaziergänge": Wann wird den "Rädelsführern" der Prozess gemacht?

Von Michael Kroha

Plus Im Eilverfahren wird einem "Spaziergänger" nach einer Corona-Demo vor Kretschmanns Haus der Prozess gemacht. Passiert das auch in Ulm oder jetzt im Fall in Illertissen?

Im Fall Kretschmann ging es ganz schnell. Nachdem sogenannte "Spaziergänger" vor wenigen Tagen das Haus des baden-württembergischen Ministerpräsidenten belagert hatten, wurde einem mutmaßlichen "Rädelsführer" im Eilverfahren der Prozess gemacht. Auch in Ulm, so zuletzt am Freitag, marschieren immer wieder Tausende gegen die Corona-Maßnahmen. Auch hier werden regelmäßig vermeintliche "Rädelsführer" von der Polizei festgestellt. Doch zu einem Prozess kam es bislang nicht. Warum nicht? Und wie reagiert die Justiz auf die Demo zum Privathaus von Illertissens Bürgermeister Jürgen Eisen?

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Zwei Tage in Folge hatten Gegner der Corona-Politik in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus von Winfried Kretschmann im Sigmaringer Ortsteil Laiz protestiert. Am Montag (14. Februar) waren rund 350 Menschen in einem Abstand von rund 100 Metern am Haus des Regierungschefs vorbeigelaufen und hatten mit Trillerpfeifen gepfiffen. Bereits am Sonntag hatten rund 60 Demonstranten versucht, zum Wohnhaus Kretschmanns vorzudringen.

Für den mutmaßlichen Leiter einer dieser nicht angemeldeten Versammlungen hatte das schon jetzt ein gerichtliches Nachspiel: Ein 52-Jähriger musste sich vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat ein beschleunigtes Verfahren gegen den Mann aus einer Kreisgemeinde des Landkreises Sigmaringen in die Wege geleitet. Der Fall wurde an diesem Montag vor dem Amtsgericht verhandelt. Erschienen war der Mann zwar nicht. Die Richterin aber verhängte einen Strafbefehl von 150 Tagessätzen von 200 Euro. Ein neuer Verhandlungstermin werde gegebenenfalls anberaumt, so Kristina Selig, Richterin am Amtsgericht Sigmaringen.

Staatsanwaltschaft Ulm will eigentlich schon längst schneller durchgreifen

Wie schon vor Wochen berichtet, hätte auch die Staatsanwaltschaft Ulm gerne derart schnell bei Verfahren gegen mutmaßliche "Rädelsführer" der "Spaziergänge" in der Donaustadt eine Entscheidung erwirkt. Das hätte "Signalwirkung" und könnte "präventiven" Charakter haben, erklärt Behördensprecher Michael Bischofberger. "Wir könnten anderen zeigen, dass wir mit der Härte des Gesetzes durchgreifen. Das könnte abschrecken und vielleicht dazu führen, dass die Demos angemeldet werden", sagt er.

Doch der Vertreter der Staatsanwaltschaft kann aktuell nur im Konjunktiv sprechen. Die Ermittlungen dauern jeweils noch an. Wie Bischofberger berichtet, hätte es derartige beschleunigte Verfahren vor ungefähr 15 Jahren häufiger gegeben. Mittlerweile aber sei dieses Vorgehen quasi eingeschlafen. Entsprechend würden die Abläufe und Kapazitäten fehlen - nicht nur bei der Staatsanwaltschaft, sondern auch bei den Ermittlern der Polizei sowie bei den Gerichten. Von jetzt auf gleich jemanden wegen eines Falls aus dem Arbeitsalltag herausreißen - das sei nicht so einfach. Dahinter steckt "größerer Aufwand", sagt er.

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Das bestätigt auch Stefan Adamski, früher Bischofbergers Stellvertretender Sprecher der Staatsanwaltschaft, nun Richter am Amtsgericht Ulm: "Wir wollen beschleunigte Verfahren wieder intensivieren." Das sei ein Wunsch aller Beteiligten, aber auch der Politik. Die Planungen dafür würden im Moment laufen. Dabei gehe es nicht nur um personelle Ressourcen, sondern auch um räumliche. Quasi von morgens bis abends und Montag bis Freitag wären die Sitzungssäle durchgehend besetzt. Ein entsprechendes Pilotprojekt soll "zeitnah" stattfinden. Zwar nennt Adamski den Vorfall beim Ministerpräsidenten "eine Hausnummer". Eine Lex Kretschmann sieht er hier aber nicht. Sollten auch in der Region rund um Ulm Bürgermeister oder andere Amtsträger zum Ziel werden, werde auch dort "mit Nachdruck nachgegangen".

Im Fall Illertissen kann es wohl nicht zu einem Prozess kommen

Im Fall Illertissen, wo am Sonntag "Spaziergänger" zum Haus des Bürgermeisters Jürgen Eisen zogen, dürfte es dazu allerdings nicht kommen. Zwar kündigte Neu-Ulms Landrat Thorsten Freudenberger (CSU) nach dem Vorfall im Gespräch mit unserer Redaktion Konsequenzen an. Nach aktuellem Stand aber sei ein Strafprozess gegen einen mutmaßlichen "Rädelsführer" des Protestzuges derzeit nicht möglich, wie Thorsten Thamm, Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen auf Nachfrage erklärt.

Während in Baden-Württemberg das Organisieren einer nicht angemeldeten Versammlung als Straftat angesehen wird, handelt es sich in Bayern hierbei lediglich um eine Ordnungswidrigkeit. Dagegen könne lediglich ein Bußgeld verhängt werden. Zu einer Straftat werde es erst dann, wenn seitens der Ordnungsbehörde - in dem Fall das Neu-Ulmer Landratsamt - per Allgemeinverfügung ein Verbot oder ähnliches erlassen werde. Doch auch dafür gebe es hohe Hürden - Stichwort: Verhältnismäßigkeit. Anders sehe die Sache aber aus, wenn beim "Spaziergang" Drohungen ausgesprochen worden wären. Das könnte nach Ansicht von Thamm als "Landfriedensbruch" gewertet werden. Dazu sei es aber laut Polizei nicht gekommen.

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