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Foto: Marcus Merk
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Michael Happernagl war der erste Absolvent im Landkreis Augsburg, der zum neuen Berufsbild des "Notfallsanitäters" ausgebildet wurde.

Landkreis Augsburg
27.01.2022

"Die Belastung ist extrem": Was Notfallsanitäter in der Pandemie erleben

Von Matthias Schalla

Plus Rund um die Uhr sind Frauen und Männer des Roten Kreuzes in der Pandemie im Einsatz. Ein Notfallsanitäter der Rettungswache Bobingen wünscht sich mehr Akzeptanz.

Sie sind tagtäglich an vorderster Front im Einsatz. Rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, Jahr für Jahr. Bei jedem Notfall sind sie die ersten Helfer am Einsatzort. Was sie dort erwartet, wissen die Frauen und Männer mit dem Emblem des Bayerischen Roten Kreuzes auf ihren roten Jacken nie genau. Denn: Neben der Schwere der Verletzungen stellt sich in Zeiten von Corona immer wieder die Frage, ob das Unfallopfer möglicherweise an Covid-19 erkrankt und somit höchst ansteckend sein könnte. Doch dieses Risiko gehen die Rettungsassistenten und Notfallsanitäter jeden Tag aufs Neue ein. Einer von ihnen ist Michael Happernagl aus Königsbrunn. "Die Belastung ist momentan teilweise extrem", sagt der 49-Jährige von der Rettungswache in Bobingen. Vor allem die vielen personellen Ausfälle machen aktuell den Rettern schwer zu schaffen.

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Michael Happernagl ist quasi im Rettungsdienst groß geworden. Bereits als Schüler engagierte er sich ehrenamtlich beim BRK. "Ich bin damals mehr oder weniger da reingerutscht und dann irgendwie dabei hängengeblieben", sagt er. Dabei ging seine berufliche Karriere zunächst in eine vollkommen andere Richtung. "Ich bin eigentlich studierter Orchestermusiker und habe unter anderem in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im Theater Klarinette gespielt. Auch beim Musikkorps des Bundesgrenzschutzes sorgte er für den richtigen Ton. Die Verbindung zum BRK ist jedoch nie abgerissen.

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Der Königsbrunner war der erste "Notfallsanitäter" im Landkreis Augsburg

"Irgendwann sagte jemand zu mir: 'Komm doch hauptberuflich zu uns!'", erinnert er sich. Happernagl folgte dem Ruf und absolvierte zunächst bei einem 520-Stunden-Lehrgang die Ausbildung zum Rettungssanitäter, später dann zum Rettungsassistenten, die erste Ebene der beruflichen Laufbahn. Happernagl aber qualifizierte sich weiter. Vor sechs Jahren wurde er in einem Pilotprojekt zum neuen Berufsbild "Notfallsanitäter" ausgebildet. "Ich war der Erste im Landkreis Augsburg, der dies absolviert hat", sagt er.

Mit dieser Qualifikation ist Happernagl nun im Notfall derjenige, der vor Ort bis zum Eintreffen des Notarztes die Verantwortung für alle lebensrettenden Maßnahmen übernimmt. Selbst einen Luftröhrenschnitt dürfte er beispielsweise in letzter Konsequenz selbstständig vornehmen. Doch das aktuelle Tagesgeschäft stellt ihn und das gesamte Team vor gänzlich andere Herausforderungen.

Die Einsatzkräfte des BRK arbeiten in den neun Rettungswachen im Augsburger Land wechselweise in einer Zwölf-Stunden-Schicht. "Da wir uns zurzeit vor jedem Dienst testen lassen müssen, reizen wir den gesetzlichen Rahmen derzeit voll aus." Schließlich wurde das ohnehin schon straffe Hygienekonzept in vielen weiteren Bereichen wie etwa der Desinfektion der Fahrzeuge weiter verschärft. Happernagl und seine Kollegen und Kolleginnen wissen nicht, ob die Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder das schwer verletzte Unfallopfer positiv sind.

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"Wir können die Menschen ja schlecht vorher testen und warten, bis das Ergebnis vorliegt", sagt er. Sie haben lediglich die Option, sich selbst bestmöglich zu schützen. Die Maske wird daher so gut wie nie abgelegt. Dennoch kommt es trotz aller Vorsicht aktuell zu vermehrten Ausfällen, sei es durch Infektion oder durch Quarantäne.

Jeder Rettungswagen im Kreis Augsburg muss ständig einsetzbar sein

"Die Diensteinteilung ist momentan eine tägliche Tauschbörse", sagt der 49-Jährige. Dass ein Rettungswagen krankheitsbedingt nicht ausrücken kann, darf nicht passieren. Jedes Fahrzeug muss rund um die Uhr mit einem Zweier-Team einsetzbar sein. Ist beispielsweise auf der Wache in Zusmarshausen die erforderliche Personalstärke nicht mehr gegeben, springen Sanitäter aus Meitingen, Neusäß oder Gersthofen ein. Fehlt in Schwabmünchen jemand, helfen Frauen und Männer aus Diedorf, Bobingen oder Langenneufnach aus. Immer öfter kommen diese Anfragen in dem Moment, wenn sich nach einer 45-Stunden-Woche die Kräfte auf ein wenig Freizeit freuen, um durchzuschnaufen und neue Energie zu tanken. "Doch jeder von uns kneift dann die Backen zusammen und hilft", lobt Happernagl den Teamspirit im Kreisverband des BRK. Seit Beginn der Pandemie wurde noch keine einzige Schicht abgesagt.

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Foto: Marcus Merk
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Dass ein Rettungswagen krankheitsbedingt nicht ausrücken kann, darf nicht passieren. Jedes Fahrzeug muss rund um die Uhr mit einem Zweier-Team einsetzbar sein.

Nur mit ganz viel Idealismus seien die täglichen Anforderungen zu stemmen, betont der 49-Jährige. Des Geldes wegen würde diesen Beruf niemand ausüben. Zu groß sei die Belastung auch außerhalb von Corona. Happernagl redet nicht gerne über die Zeiten Ende der 1990er-Jahre, als im Augsburger Land überdurchschnittlich viele Säuglinge am plötzlichen Kindstod starben.

Tragische Momente hat er auch 1993 erlebt, als ein betrunkener Mann bei Langerringen mit seinem Auto in eine Pilgergruppe gerast ist. Vier Menschen starben, mehr als 20 wurden verletzt. "Wir waren der zweite Rettungswagen vor Ort", erinnert er sich mit leiser Stimme. Solche Schicksale stecke man nicht so ohne Weiteres weg. "Da bleibt immer was hängen", gesteht er. Nur dank des Zusammenhalts im Team sei ein Weitermachen möglich. "Wir passen gegenseitig gut auf uns auf." Handlungsbedarf sieht der Notfallsanitäter hingegen an ganz anderer Stelle.

Sanitäter wünschen sich mehr Akzeptanz von der Politik

"Ich würde mir mehr Akzeptanz wünschen", sagt er. Politiker, allen voran Gesundheitsminister Karl Lauterbach, würden immer nur von der ungeheuren Belastung für Kranken- und Altenpfleger reden. "Geregelte Pausen und einen warmen Arbeitsplatz aber gibt es bei uns nicht." Hinzu komme eine Bezahlung, die deutlich unterhalb des Gehalts im Pflegebereich liegt. "Fast scheint so, als würde man die Rettungsdienste völlig vergessen", kritisiert er. Dabei seien es die Sanitäter, die bei Wind und Wetter draußen sind, um Leben zu retten. Und das an vorderster Front, und unter Umständen auf sich allein gestellt. Sieben Tage in der Woche, rund um die Uhr, Jahr für Jahr.

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