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Foto: Vladimir Astapkovich, Sputnik Kremlin/AP/dpa (Archivbild)
Foto: Vladimir Astapkovich, Sputnik Kremlin/AP/dpa (Archivbild)

Russlands Präsident Putin setzt darauf, Europa durch den Entzug billiger russischer Energie zu schwächen.

Krieg in der Ukraine
20.06.2022

Putins Energieschock wird Deutschland jahrelang belasten

Von Christian Grimm

Deutschland bekommt mit voller Wucht die Inflation zu spüren. Während Tankrabatt und 9-Euro-Ticket auf drei Monate begrenzt sind, droht eine lange Belastung.

Drei Monate oder drei Jahre? Das macht einen großen Unterschied. Drei Monate laufen die beiden Hilfsprogramme Tankrabatt und 9-Euro-Ticket gegen den Energiehammer. Drei Jahre mindestens, so schätzt der Chef des größten deutschen Energieerzeugers RWE, könnte die Hochpreisphase anhalten. "Denn es braucht Zeit, bis neue Kapazitäten geschaffen sind und andere Staaten zusätzliche Energie liefern können", sagte Markus Krebber der Süddeutschen Zeitung.

Die ökonomischen Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine werden Wirtschaft und Verbraucher noch länger zu schaffen machen, selbst wenn die Waffen irgendwann schweigen sollten. Denn Deutschland und Europa wollen sich von Öl, Gas und Kohle aus Russland abnabeln. Die Energie des Kremls hatte einen entscheidenden Vorteil: Sie kam zuverlässig und war billiger.

Erschütternde Preissteigerungen seit Ukraine-Krieg und Export-Drosselung

Doch diese Zeiten sind vorbei. Was das bedeutet, haben die nüchternen Zahlenmenschen des Statistischen Bundesamtes ausgerechnet: Erdgas plus 148 Prozent, Strom plus 90 Prozent, Sprit plus 56 Prozent. So stark sind die Preise binnen eines Jahres nach oben geschossen. Es sind erschütternde Zahlen. Doch immerhin fließen noch Öl und Gas aus Russland. Ob das so bleibt, ist hochgradig fraglich. Russlands Präsident Wladimir Putin weiß, wie er den Westen treffen kann. Die gedrosselten Exporte über die Röhre Nord Stream 1 sind Teil seines Machtkampfes. "Die Lage ist ernst", betont Wirtschaftsminister Robert Habeck in diesen Tagen bei jeder Gelegenheit.

Dreht Putin ihm im Sommer den Hahn zu, dann wird das Gas im Winter nicht reichen, weil die Speicher nicht genügend befüllt werden können – Habeck hält die Gefahr für groß. Im Notfall würde der Staat anordnen, dass Industriebetriebe kein Gas mehr bekommen. Um die Zwangsabschaltung zu vermeiden, gibt der Grünen-Minister die Erlaubnis, dass Kohlekraftwerke wieder eingeschaltet werden können. Sie sollen den Strom erzeugen, der bislang in Gaskraftwerken produziert wird. Sie standen im vergangenen Jahr für 15 Prozent des Gasverbrauchs.

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Selbst wenn ein akuter Gasmangel verhindert werden kann, spricht vieles dafür, dass die Preise anhaltend hoch bleiben oder sogar neue Panikspitzen auftreten. Für die Verbraucher heißt das nichts Gutes. Wenn Energiekonzerne und Stadtwerke heute Gas einkaufen, das im Winter geliefert wird, dann kostet es viermal so viel im Durchschnitt des Jahres 2021.

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Markus Söder verlangt ein weiteres Milliardenprogramm

Für die Bundesregierung bedeutet das, dass die nächste Debatte um Entlastungen ansteht, noch ehe die bestehenden Hilfen vollständig greifen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder machte den Auftakt: "Es bräuchte ein generelles Senken der Energiesteuern, dauerhaft mehr Geld für den ÖPNV und die Erhöhung der Pendlerpauschale", verlangte der CSU-Chef. Söder machte einen Forderungskatalog auf, der in die Milliarden geht.

Weil CSU und CSU nicht mehr in Berlin die Regierung stellen, geht ihm das leicht von der Hand. Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) müssen sich hingegen überlegen, wie sie Entlastung der Verbraucher einerseits und solide Staatsfinanzen andererseits in die Balance bringen wollen. Habeck hätte keine Probleme damit, weitere Hilfen über Kredite zu finanzieren, was der FDP-Chef aber ablehnt. Sein zentrales Versprechen ist die Einhaltung der Schuldenbremse im nächsten Jahr.

Für die deutsche Industrie ist der Gasengpass eine Horrorvorstellung. Der Ökonom Thilo Schaefer vom Institut der Deutschen Wirtschaft hat untersucht, wie die hohen Energiepreise den Betrieben zu schaffen machen. "Aluminium und Ammoniak wird zum Beispiel teilweise nicht mehr produziert, weil es sich nicht lohnt", erklärt Schaefer. Zwei von fünf Unternehmen haben kürzlich in einer Umfrage seines Instituts gesagt, dass sie auf den hohen Kosten sitzen bleiben und sie nicht weiterreichen können. Einen Gasstopp hält Schaefer für noch einschneidender als die Corona-Pandemie. Könnten Vorprodukte über Monate nicht hergestellt werden, würden sich deutsche Unternehmen Lieferanten aus anderen Erdteilen suchen. "Das würde sich in der gesamten Industrie durchwirken."

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