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Foto: Michael Kappeler, dpa
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Wie Kanzlerin Merkel die Osterruhe gekippt hat, hat auch das Ausland aufhorchen lassen.

Corona-Pandemie
25.03.2021

So blickt die Welt auf die deutsche Corona-Politik

Plus Während der ersten Welle galt Deutschland der Welt als Corona-Musterschüler. Unsere Korrespondenten berichten, wie sich das mittlerweile geändert hat.

Belgien: Das Unverständnis wächst - Lockerungen kommen nicht gut an

Um die belgische Sicht der deutschen Corona-Politik zu verstehen, muss man in den Herbst des Vorjahres zurückgehen. Das Königreich wurde vom Virus regelrecht überrollt. Zeitweise meldeten große Städte wie Brüssel oder Lüttich Inzidenzwerte zwischen 1800 und 2000. In vielen Kliniken war die Triage zum schrecklichen Alltag geworden. Die Bewunderung für den mächtigen deutschen Nachbarn war groß. Wieder einmal zeige die Bundesrepublik, dass man auch gut durch eine solche Krise kommen könne. Doch das änderte sich schlagartig, als Deutschland über Weihnachten die Einschränkungen lockerte. „Wenn das Virus eines mag, dann sind es Feiern, besonders solche mit wechselnden Gästen“, erklärte kurz vor dem Jahreswechsel Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke.

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Im Januar ging Premierminister Alexander De Croo dann noch einen Schritt weiter. Eben waren 150.000 Belgier aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekehrt und die Infektionszahlen explodierten. Daraufhin erließ De Croo ein Reiseverbot für sein Land, untersagte (bis heute) Ein- und Ausreisen ohne triftigen Grund. Im Kreis der Staats- und Regierungschefs warfen er und weitere Amtskollegen der deutschen Kanzlerin vor, auf einen zu weichen Kurs zu setzen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wie angetan die Belgier von dem Beschluss für eine fünftägige Osterruhe in Deutschland waren – und wie unverständlich sie deren Rücknahme nun finden. Von den Mallorca-Reisenden ganz zu schweigen. Zumal Belgien selbst mit Lockerungen immer nur schlechte Erfahrungen gemacht hat. In der belgischen Regierung wünscht man sich deshalb vom deutschen Nachbarn mehr Solidarität bei den Einschränkungen. Detlef Drewes

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Foto: Thibault Camus, dpa/AP
Foto: Thibault Camus, dpa/AP

Frankreich: Ein Lockdown gilt als überzogen - Der Premier lobt die eigene Linie

Eigentlich schneidet Frankreich im Vergleich zu Deutschland in Sachen Covid-19 nicht unbedingt gut ab. Vor allem, seit die dritte Welle begonnen hat. Die Inzidenz liegt landesweit bei über 300, dreimal so hoch wie in Deutschland. Premierminister Jean Castex hat dennoch kein Problem damit, sein Land im Vergleich zum Nachbarn zu loben und Deutschlands striktere Maßnahmen zu kritisieren. „Wir haben seit Januar nicht die gleiche Strategie gewählt wie andere europäische Länder. Im Gegensatz zu unseren Nachbarn hatten wir keinen landesweiten dritten Lockdown. Diese Idee haben wir Ende Januar verworfen – es war die richtige Entscheidung“, klopft sich Castex verbal auf die Schulter, während er schließlich nur für 16 Departements ankündigte, dass die Geschäfte für vier Wochen schließen müssten. Ein Lockdown wie in Deutschland wäre „überzogen“ und „unerträglich“ gewesen.

Schon vor einem Monat hatte der Premier einen Vergleich gezogen. „Das Virus ist in Frankreich wie fast überall in Europa auf dem Vormarsch – sogar in Ländern wie Deutschland. Dort haben die Kinder seit zwei Monaten keinen Fuß mehr in die Schule gesetzt.“ Frankreich hat seine Schulen nur während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 geschlossen. Laut Unesco waren sie seit Beginn der Pandemie knapp zehn im Vergleich zu fast 24 Wochen in Deutschland zu. Dass jenseits des Rheins die Infektionszahlen deutlich niedriger sind, wird nicht erwähnt. Das scheint auch eine Frage der Perspektive zu sein: Während in der Bundesrepublik die Alarmglocken klingeln, wenn die Inzidenz die 100 übersteigt, bezeichnete Castex jüngst selbst eine Inzidenz von 400 in Paris als „Punkt der sehr starken Wachsamkeit“, ohne dass dadurch die Hauptstadt direkt in den Lockdown musste. Lisa Louis

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Foto: Frank Augstein, dpa/PA Wire
Foto: Frank Augstein, dpa/PA Wire

Großbritannien: Schadenfreude auf der Insel - Staunen über das Chaos

Großbritannien: Schadenfreude auf der Insel - Staunen über das Chaos

Der Lobgesang wurde zwischenzeitlich so laut, dass die Briten beinahe schon die Augen rollten, wenn sie wieder einmal Deutschland als Musterbeispiel vorgesetzt bekamen. Während sich die britische Regierung im Zickzackkurs verirrte und dadurch sowohl in Bezug auf die Zahl der Covid-Toten als auch wirtschaftlich zu den am schlimmsten betroffenen Ländern Europas gehörte, lief im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik alles besser. Und so sehnten sich viele nach einer starken Führungsfigur, als die Kanzlerin Angela Merkel auf der Insel galt. „Wie es Deutschland richtig machte, während Großbritannien falsch lag“, schrieb der Telegraph. Mittlerweile beneidet die Bundesrepublik niemand mehr. Stattdessen schütteln viele Briten verständnislos den Kopf über das Chaos bei der Verteilung der Vakzine, die Bürokratie oder den jüngsten AstraZeneca-Impfstopp. Auf der Insel läuft das Programm dagegen mit großem Erfolg.

Fast 55 Prozent der erwachsenen Bevölkerung haben die erste Impfung erhalten. Medien, Politiker und Kommentatoren können nicht oft genug jene Grafiken präsentieren, in denen der Impffortschritt der Briten im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aufgezeigt wird. „Wir beneiden dich nicht“, titelte kürzlich die Boulevardzeitung The Sun und verwies auf das „einzige deutsche Wort, das die meisten Briten kennen: Schadenfreude“. Brexit-Anhänger sehen dies als letzten Beleg, warum der EU-Austritt die beste Entscheidung darstellte. Doch auch das gehört zur Wahrheit: Seit knapp drei Monaten herrscht in Großbritannien ein strikter Lockdown inklusive Reiseverbot und „Stay-at-Home“-Regel. Das ändert sich erst mit zaghaften Öffnungsschritten in den nächsten Wochen. Am 21. Juni will die Regierung dann alle Corona-Regeln aufheben. Katrin Pribyl

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Foto: Mark Mulligan, dpa
Foto: Mark Mulligan, dpa

Autos warten in Schlangen vor einem amerikanischen Impf-Drive-Through.

USA: Die Anführerin als „lahme Ente“ - Europa ist ein warnendes Beispiel

Nicht mal ein Jahr ist es her, dass der US-Sender CNN auf seiner Homepage eine Analyse veröffentlichte, die bestens die Stimmung im liberalen Teil Amerikas traf: „Wie Angela Merkel beim Coronavirus von einer lahmen Ente zur Führerin der Welt wurde“, war der Text betitelt. Die Begeisterung für die nüchterne Naturwissenschaftlerin und ihre geradlinige Politik in der Krise war groß im Land des Poltergeistes Donald Trump. Inzwischen aber würde die Überschrift eher umgekehrt funktionieren. „Bitte, bitte, lassen Sie nicht geschehen, was in Europa passiert ist“, hat der neue Präsident Joe Biden seine Landsleute kürzlich vor dem Versagen des alten Kontinents im Kampf gegen die Pandemie gewarnt. Mit der Kritik ist vor allem Deutschland gemeint. Die Zeiten, in denen Kanzlerin Merkel als Vorbild gegolten habe, seien vorbei, schrieb am Donnerstag die New York Times: „Eine Reihe von widersprüchlichen Entscheidungen (…), die Ankündigung von zentralen Kurswechseln zur späten Stunde und Last-minute-Pressekonferenzen haben ihren Ruf getrübt.“

Die Rücknahme der Oster-Ruhetage war nach Beobachtung des Blatts „nur die letzte einer ganzen Serie von chaotischen Aktionen“ der Merkel-Regierung. Vor allem der zwischenzeitliche Impfstopp mit dem Vakzin von AstraZeneca ist angesichts der drohenden dritten Infektionswelle auf breites Unverständnis in den USA gestoßen. Dazu kommen bürokratische Hemmnisse. New-York-Times-Korrespondentin Melissa Eddy twitterte nach der jüngsten Kehrtwende beim Oster-Lockdown: „German Ordnung taking a beating these days …“ (Die deutsche Ordnung muss in diesen Tagen eine Niederlage einstecken). Das gilt aus amerikanischer Sicht erst recht für die einstmals bewunderte Kanzlerin. Karl Doemens

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Foto: Clara Margais, dpa
Foto: Clara Margais, dpa

Die Regionalregierung Mallorcas will Innenräume von Cafés, Restaurants und Kneipen nun wieder schließen. Grund sind steigende Corona-Zahlen.

Spanien: Nicht länger ein Vorbild - Mythen geraten ins Wanken

Das Deutschlandbild der Spanier bekommt zunehmend Risse. Und das nicht erst seit Angela Merkels jüngster Entschuldigung für das Chaos um die Osterruhe. „Merkel sagt Pardon“, titelte El País, die einflussreichste spanische Tageszeitung. Die Tatsache, dass der „Kniefall“ Merkels es sogar auf die erste Seite schaffte, zeigt, dass die Spanier mit großem Interesse verfolgen, wie Deutschland mit Corona umgeht. „Was ist los mit Alemania?“, fragte El País bereits vor Wochen in einem Meinungsartikel. Um dann darauf hinzuweisen, dass der Schlingerkurs des deutschen Corona-Krisenmanagements gleich mehrere germanische Mythen ins Wanken gebracht habe: den Mythos der deutschen Gründlichkeit, der Sachkenntnis und der fachkundlichen Überlegenheit. Bisher war in Spanien der Glaube weit verbreitet, dass das Allermeiste, was aus Deutschland kommt, gut und nachahmenswert sei. „Die deutsche Anti-Corona-Politik ist nicht länger ein Vorbild“, schreibt die große Online-Zeitung El Diario.

Viele spanische Medien listeten in den letzten Tagen fast genüsslich die „Serie von Irrtümern“ der deutschen Regierung bei der Pandemiebekämpfung auf. Sie kamen zu einer einhelligen Schlussfolgerung, die ein prominenter Kommentarschreiber in Madrid so zusammenfasste: „Unter dem Strich läuft es in Deutschland nicht viel anders als in Spanien.“ Das sei doch irgendwie ein Trost, hieß es weiter. Dabei muss man wissen, dass es auch im spanischen Königreich ständigen Streit zwischen den Regionalregierungen und der Staatsregierung über den richtigen Weg gibt. Spaniens Corona-Regeln gleichen einem unübersichtlichen Flickenteppich, der ständig ausgebessert wird. Weswegen Spaniens Bürger ebenfalls viel über Inkompetenz und Chaos in der eigenen Corona-Politik klagen. Ralph Schulze

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Italien: Politiker, die Fehler eingestehen? - Das Land staunt über den Rollentausch

In Italien ist der Merkelsche Umschwung Tagesgespräch. „Entspannen wir uns!“, sagt zum Beispiel der Gärtner Francesco La Torre beim morgendlichen Kaffee in einer Bar in Rom und lacht. „La Merkel hat ihre Meinung geändert, unglaublich.“ Die Stereotypen über Deutschland und Italien seien widerlegt. Das angeblich strenge Deutschland zeigt sich auf einmal von seiner schlecht organisierten und vielleicht sogar menschlichen Seite. Politiker, die ihre Fehler eingestehen? Das ist für Italien ein ganz neuer Aspekt, vor allem, wenn es sich um die scheinbar unfehlbaren und deshalb oft als verkrampft wahrgenommenen Deutschen handelt. In Italien hat Ministerpräsident Mario Draghi, der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, nun die Zügel in der Hand. Als er vor sechs Wochen ins Amt kam, waren viele überzeugt, der 73-Jährige würde sich in der Corona-Politik an Deutschland orientieren, doch davon ist nun kaum mehr die Rede.

Der Mythos von der organisatorisch unfehlbaren Bundesrepublik hatte bereits zuvor ein paar Kratzer bekommen. In Italien bemängelten Beobachter vor kurzem, dass bislang nur neun Prozent der deutschen Bevölkerung gegen Corona geimpft worden seien, nur vier Prozent hätten auch schon die zweite Dosis verabreicht bekommen. Italien steht mit fast zehn Prozent verabreichten ersten Dosen und 4,6 Prozent zweiten Dosen nicht wesentlich, aber immerhin ein wenig besser da. Merkels Wende wird auch mit Respekt aufgenommen. Der Corriere della Sera schreibt: „Das ist ein mutiger Akt politischer Ehrlichkeit, aber auch das Eingeständnis eines Scheiterns, das die Schwäche der Kanzlerin zeigt, die zum Ende ihrer Amtszeit immer mehr einer ,lahmen Ente‘ gleicht.“ Julius Müller-Meiningen

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Foto: Helmut Fohringer/APA, dpa
Foto: Helmut Fohringer/APA, dpa

Ein Mann läuft am geschlossenen Wiener Naschmarkt entlang.

Österreich: Hoher Grad an Glaubwürdigkeit - Respekt vor der Fehlerkultur

„Die Probleme und die Diskussionen sind im Grunde dieselben – aber die deutsche Bundesregierung ist effizienter, transparenter und vor allem strenger.“ So könnte man die Sicht in Österreich auf die Corona-Politik in Deutschland zusammenfassen. Positiv wird in Österreich vermerkt, dass es mit dem RKI in Deutschland eine Institution gibt, an deren Empfehlungen sich Politik wie Bevölkerung maßgeblich orientieren. Zwar treten auch in Österreich Experten, die die Regierung und hier vor allem den Gesundheitsminister Rudolf Anschober beraten, immer wieder medial an die Öffentlichkeit – kritisiert wird aber, dass die Arbeit im Hintergrund eher intransparent abläuft, die Beratungsstrukturen eher im Dunkel bleiben. Auch die deutschen Expertisen von Virologen wie Christian Drosten oder auch Karl Lauterbach wird in Österreich vielfach geschätzt. Im Gegensatz zu den erratischen Auftritten der Kurz-Regierung seit dem vergangenen Sommer – Stichwort „Licht am Ende des Tunnels“, „Normalität bis zum Sommer“ – sehen viele Österreicher in Deutschland eine überlegtere Kommunikation und eine Fehlerkultur, die zu mehr Glaubwürdigkeit und so zu mehr Bereitschaft führt, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten.

So wird auch Angela Merkels Schuldeingeständnis als verantwortungsvoller Akt gesehen, den man von Kanzler Kurz so wohl nicht erwarten könnte. Die Frage, wieso Deutschland – zumindest was die viel niedrigeren Inzidenzwerte angeht – besser dasteht als Österreich, wird dennoch kontrovers diskutiert: Mehr Disziplin in der Bevölkerung, schnelleres Reagieren der deutschen Bundesregierung sehen die einen als Grund, andere wiederum weisen darauf hin, dass Deutschland nicht so viel testet wie Österreich und es daher ein viel höhere Dunkelziffer geben müsse. Werner Reisinger

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