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Foto: Markus Schreiber, dpa
Foto: Markus Schreiber, dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte sich mit dem Coronavirus angesteckt.

Pandemie
03.11.2020

Spahn und das Coronavirus: Die Mahnung des genesenen Ministers

Von Christian Grimm

Gesundheitsminister Jens Spahn warnt vor einem längeren Lockdown. Das RKI fordert eine bessere Teststrategie, der Chef der Intensivmediziner Notbetrieb in Kliniken.

Frisch und gesund sieht der Gesundheitsminister bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Corona-Infektion aus. Ein siecher Jens Spahn – welches Bild hätte das gegeben in der großen Bewährungsprobe für die Regierung? Nun aber ist Spahn wieder fit. Und er ist "demütig und dankbar", wie er sagt, "dass es so gut gelaufen ist".

Der 40-Jährige ist jetzt einer, den das Virus heimgesucht hatte. "Na klar ist das etwas anderes, etwas zehn Monate zu besprechen …, oder es selbst zu haben." Spahn hatte einen milden Verlauf, kennt aber jetzt das Gefühl der Isolation daheim. Und wie drei Viertel der Infizierten weiß er nicht, wo er sich angesteckt hat. Aus dieser Erfahrung heraus, dass seine Kontakte nicht nachverfolgt werden können, leitet er die Entscheidung für die neue Rigorosität in der Seuchenpolitik ab. "Wir mussten die Notbremse ziehen."

Spahn bereitet die Deutschen auf die Zeit nach dem Lockdown vor

Wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bereitet der derzeit wichtigste Minister die Deutschen darauf vor, dass nach vier Wochen die eingeschränkte, aber doch recht große Freiheit zurückkommt. "Dass wir dann trotzdem noch vorsichtig sein müssen, auch nach diesem November, liegt auf der Hand." Der Höhepunkt der Pandemie sei noch nicht erreicht, mahnt Spahn.

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Bei seinem Auftritt in der Hauptstadt hatte er am Dienstag vier hochrangige Mediziner dabei. Sie alle unterstrichen die Botschaft, dass es die Regierung und die Ministerpräsidenten nicht einfach weiter beim erhobenen Zeigefinger belassen können.

Der Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin forderte sogar, dass die Kliniken wieder wie im Frühjahr auf den Notbetrieb umstellen, da die Pandemie außer Kontrolle geraten sei. "Aus ärztlicher Sicht vertretbare ausgesuchte Eingriffe müssen abgesetzt und verschoben werden", sagte Uwe Janssens. Im Klartext: Die Hüft-OP, das neue Kniegelenk oder der geplante Eingriff an der Schulter sollen ausfallen, um Schwestern und Pfleger für die Intensivstationen freizubekommen.

 

Inzwischen kämpfen dort knapp 2250 Corona-Patienten um ihr Leben. Das sind sechsmal mehr als vor vier Wochen. Die Verdopplungszeit der schweren Fälle liegt mittlerweile bei zehn Tagen. Das Problem sind laut Janssens die fehlenden Pfleger und Schwestern, die sich um die Todkranken kümmern.

Corona-Pandemie: Gibt es bald 400.000 Infizierte am Tag?

Bedrückende Zahlen lieferte auch das Robert-Koch-Institut (RKI), oberste Seuchenbehörde Deutschlands. Vizepräsident Lars Schaade rechnete vor, dass es in Deutschland zu Weihnachten 400.000 Infizierte gäbe – wohlgemerkt pro Tag – wenn nicht wie beschlossen gegengesteuert wird. "Das überlastet mit der Zeit jedes Gesundheitssystem", warnte Schaade. Aktuell sind es im Schnitt der letzten Tage 15.000 Neuansteckungen binnen 24 Stunden, die die Gesundheitsämter aus dem ganzen Land an das RKI melden. Zum Vergleich: Anfang Oktober pendelte der Wert um die Marke von 2500.

Weil sich der Erreger in den vergangenen Wochen in allen Regionen stark ausbreitet und sich viel mehr Menschen infizieren als im Sommer, ächzen Behörden, Krankenhäuser und Labore unter der enormen Belastung. Aus diesem Grund soll die Strategie der Testung aller, die zum Beispiel leichte Erkältungssymptome haben, aufgegeben werden. "Das ist weder nötig noch erforderlich", sagte RKI-Vize Schaade. Es gehe darum, effektiv zu testen. Menschen mit Erkältungssymptomen, die denen von Corona-Infektionen ähneln können, sollen sich für fünf Tage isolieren und gegebenenfalls dann einen Test machen, wenn es nicht besser wird. Aktuell werden in Deutschland pro Woche 1,4 Millionen Menschen getestet, was die Labore an ihr Limit bringt. Das führt dazu, dass Ergebnisse teilweise zu spät mitgeteilt werden.

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Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa

RKI-Vizepräsident Lars Schaade.

Ähnlich an der Grenze und an vielen Orten schon darüber hinaus arbeiten die Gesundheitsämter. Spahn lobte die Behörden in Berlin, die sich um seinen Fall kümmerten, für ihren guten Dienst, aber es gibt auch zahlreiche andere Geschichten von Chaos, Nicht-Zuständigkeiten und falschen Ratschlägen. Der stellvertretende Fraktionschef der FDP im Bundestag, Christian Dürr, erzählte vor wenigen Tagen seine eigene. Dürr hatte sich mit Corona angesteckt und schilderte "absurde Erlebnisse".

Spahn: Zwangpause soll Pandemie beherrschbar machen

Der Gesundheitsminister räumte ein, dass das System am Anschlag arbeitet. "Das funktioniert im Moment nicht überall, wie es soll." Durch die zweite Zwangspause für Teile des öffentlichen Lebens soll die Pandemie wieder beherrschbar gemacht werden.

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