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Foto: Roberto Monaldo, dpa
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Seit dem 15. März gilt für Millionen Menschen in Italien wieder ein strikter Lockdown, wie hier in der Hauptstadt Rom.

Corona-Pandemie
17.03.2021

So dramatisch und widersprüchlich ist die Corona-Lage in der Welt

Von Lisa Louis, Werner Reisinger, Julius Müller-Meiningen, Ralph Schulze

Plus Frankreich, Italien, Polen - überall steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen. Doch wie reagiert die Politik darauf?

In Rom sind die Straßen wie ausgestorben. Seit Montag ist wieder Lockdown in Italien. Betroffen sind die Regionen Latium und Lombardei mit der Hauptstadt Mailand, aber auch Kampanien mit Neapel, die Emilia-Romagna, Venedig und Venetien, der Piemont. 40 Millionen Menschen insgesamt. Die neue Regierung von Premierminister Mario Draghi entschied sich vergangene Woche wegen ansteigender Infektionszahlen für diese Maßnahme. Der restliche Teil des Landes ist orangene Zone, das heißt, der Lockdown ist etwas weniger streng. Nur auf Sardinien herrscht so etwas wie Normalität. Die Insel ist vergleichsweise wenig von Corona betroffen. Für die Osterfeiertage verfügte die Regierung einen Lockdown für das ganze Land. Grund sind die steigenden Infektions- und Opferzahlen. Insgesamt starben in Italien bereits über 102.000 Menschen an oder mit einer Corona-Infektion. Auch die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich wieder zu. Am stärksten betroffen sind die Regionen Lombardei, Emilia-Romagna und Kampanien. Dort ist die Fortbewegung außer Haus nur für die Arbeit oder aus triftigen Gründen zugelassen.

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In den sozialen Netzwerken kursiert das Bild einer verzweifelten Restaurantbetreiberin in Ostia bei Rom. Sie sitzt vor ihrem Herd, den Kopf auf den Knien. Das Bild drückt Erschöpfung und Mutlosigkeit aus, symptomatisch für das ganze Land. Seit dieser Woche sind in Italien auch knapp sieben Millionen Schülerinnen und Schüler wieder im Online-Unterricht, das sind gut 80 Prozent aller Schüler im Land. Am Wochenende hatte die Regierung ihre neue Impfstrategie vorgestellt. Bis September sollen mindestens 80 Prozent der Italiener geimpft sein, hieß es dabei. Doch inzwischen wurde auch hier das Impfen mit dem Mittel von AstraZeneca vorerst gestoppt.

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Ein trauriger Rekord: In Tschechien sind die Krankenhäuser voll

Am 22. März um 12 Uhr sollen die Glocken im ganzen Land läuten: Die katholische Kirche in Tschechien will an diesem Tag an das erste Opfer der Corona-Pandemie vor einem Jahr erinnert werden. Die Viruserkrankung hat Tschechien hart getroffen. Seit Beginn der Pandemie gab es mehr als 1,4 Millionen nachgewiesene Infektionen und 23.379 Todesfälle. Die Regierung rechnet vorerst kaum mit Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Alle Schulen und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Der Inzidenzwert ist auf über 700 geklettert - ein trauriger Rekord. Immerhin: Der Trend ist leicht sinkend. Dennoch wird eine Rekordzahl schwerer Covid-19-Fälle in den Krankenhäusern behandelt. 1916 Patienten befanden sich in einem ernsten Zustand oder wurden künstlich beatmet, wie das Gesundheitsministerium in Prag am bekanntgab. Landesweit sind derzeit nur noch zwölf Prozent aller Intensivbetten frei. Zudem werden mehr als 6800 weitere Menschen mit leichteren Verläufen stationär versorgt.

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Foto: Armin Weigel, dpa
Foto: Armin Weigel, dpa

In der deutsch-tschechischen Grenzregion wurden die Kontrollen verschärft.

Das Vertrauen der Bürger in Tschechien in das Corona-Krisenmanagement der Regierung ist entsprechend dramatisch gesunken. Nur rund ein Viertel sind der Ansicht, dass Ministerpräsident Andrej Babis und sein Kabinett die Situation gut beherrscht. Vor knapp einem Jahr lag die Zustimmung noch bei 83 Prozent. Doch auch beim eigenen Verhalten hapert es: Nur 63 Prozent der Tschechen sind bereit, Besuche bei älteren Verwandten einzuschränken. Und nur 17 Prozent arbeiten im Homeoffice. Hintergrund dürfte sein, dass die Wirtschaft noch stark industriell geprägt ist. Babis hofft nun, dass die Impfkampagne bald an Fahrt aufnimmt. Von April an könnten 100.000 Menschen täglich geimpft werden, sagte er seinem Social-Media-Video.

Die Sorglosigkeit rächt sich: In Polen übersteigt der Inzidenzwert die 300er-Schwelle

Seit Wochen ist Polen bereits Corona-Risikogebiet. Zwar ist das Land in grüne, gelbe und rote Zonen unterteilt, die jeweils auf die Gefahrenlage reagieren können – doch die Ampel leuchtet derzeit landesweit in Rot. Restaurants sind grundsätzlich geschlossen, Übernachtungen in Hotels sind hingegen mit einer maximalen Belegung von 50 Prozent erlaubt. Mecklenburg-Vorpommern hat inzwischen verschärfte Kontrollen an den Grenzen zum östlichen Nachbarn eingeführt: Schnelltestzentren sollen sicherstellen, dass möglichst wenige Infektionen durch Berufspendler nach Deutschland eingeschleppt werden. Auch Polen selbst verschärft die Corona-Schutzmaßnahmen in einigen Landesteilen. In den Woiwodschaften Masowien mit der Hauptstadt Warschau und Lebus müssen Hotels, Schwimmbäder, Museen, Kinos, Theater und Sportstätten wieder schließen. An den Schulen wird der Präsenzunterricht zurückgefahren. In Polen liegt der Inzidenzwert derzeit bei 307 - in Deutschland bei 81.

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Dieser massiven Welle waren vor einigen Wochen starke Lockerungen des Lockdowns vorausgegangen. Begründet wurde dieser Schritt unter anderem damit, dass die Polen gelernt hätten, mit der Pandemie-Gefahr umzugehen. Offenbar ein Trugschluss. Party-Bilder aus dem Skiort Zakopane schürten schon kurz drauf die Sorge vor einem Ansteigen der Infektionszahlen. Die Pandemie stelle eine immense Gefahr für das Gesundheitssystem dar, sagte Gesundheitsminister Adam Niedzielski. Die als ansteckender geltende sogenannte britische Variante mache gegenwärtig 38,5 Prozent der positiv getesteten Fälle aus. Mehr als 47.000 Menschen sind inzwischen gestorben. Schon die zweite Welle war deutlich heftiger ausgefallen als in Deutschland - auch damals war eine gewisse Sorglosigkeit eingetreten.

Politik der kleinen Schritte: In Frankreich schlagen die Mediziner Alarm

Dass Frankreich nicht viel Spielraum in Sachen Covid-19 hat, gibt Gesundheitsminister Olivier Véran zu. „Die Situation ist angespannt und besorgniserregend“, sagte er in seiner wöchentlichen Pressekonferenz zur Coronalage. Dennoch setzt die Regierung seit Ende des zweiten Lockdowns auf eine Politik der kleinen Schritte. Es gilt zwar eine landesweite Ausgangssperre zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens, doch abgesehen davon hat Frankreich nur lokale Lockdowns beschlossen. Und selbst die verhängt man nur nach langem Zögern. Die Regierung hofft, die Pandemie trotzdem im Griff behalten zu können. Doch Virologen sagen, die Lage sei außer Kontrolle und bezweifeln, dass die Strategie ausreichen wird. Die Zahlen sind im tiefroten Bereich. Rund 4000 Menschen liegen im Moment auf Intensivstationen in Frankreich. So viele wie Ende November, mitten im zweiten Lockdown. Die Inzidenz liegt in Paris bei 340 - fast schon wenig im Vergleich zum Süden des Landes, wo die Werte teils über 500 geklettert waren. Die regionale Gesundheitsbehörde empfahl zudem Krankenhäusern in Ile-de-France, 40 Prozent der Operationen, die nichts mit Covid-19 zu tun haben, zu verschieben.

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Foto: Valery Hache, dpa
Foto: Valery Hache, dpa

Die französische Riviera wird an den Wochenenden abgesperrt, um die weitere Ausbreitung der Corona-Pandemie einzudämmen.

Trotzdem werden die Maßnahmen nicht verschärft. In Paris wehrt sich etwa Bürgermeisterin Anne Hidalgo gegen einen erneuten Lockdown, den sie als „unmenschlich“ bezeichnet. Für Micrea Sofonea, Epidemiologe an der Universität von Montpellier im Süden Frankreichs, war Ende Januar ein Wendepunkt. „Seitdem will die Regierung sich nicht mehr auf die Meinung der Wissenschaftler verlassen, ist ihnen gegenüber sogar misstrauisch“, sagt er. „Das ist schade - denn je früher man beschränkende Maßnahmen ergreift, desto wirksamer sind sie und desto früher kann man auch wieder alles öffnen.“

Wien spielt auf Zeit: In Österreich ist der Optimismus ist verflogen

Wird es vor Ostern tatsächlich weitere Lockerungen in Österreich geben? Der Optimismus vom Februar ist inzwischen dahin. Eigentlich wollte die Regierungsspitze um ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober am vergangenen Montag „evaluieren“, ob es ab 27. März möglich sein würde, mit einem negativen Corona-Test zumindest im Biergarten zu sitzen. Die Entscheidung aber wird auf die lange Bank geschoben - die Infektionszahlen in Österreich steigen kontinuierlich. Stand Dienstag betrug die Inzidenz fast 210. Im Osten versucht man der rasanten Verbreitung der Mutation B.1.1.7 durch Ausreise-Vorschriften aus der Gemeinde Wiener Neustadt im Großraum Wien zu begegnen, das Gasteiner-Tal in Salzburg wurde bereits zum zweiten Mal seit Pandemiebeginn abgeriegelt, heraus kommt man nur mit einem negativen Test. Regionale Maßnahmen könnten auch in anderen Landesteilen bald notwendig werden. Ganz anders in Vorarlberg, wo seit Montag Lokale negativ Getestete bewirten dürfen - allerdings sperren nur drei von zehn Lokalen auf, es gilt eine Sperrstunde ab acht Uhr abends, nicht rentabel sei das, sagen viele.

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Foto: Expa, dpa
Foto: Expa, dpa

Die Vorarlberger Gastronomie darf seit 15. März wieder Gäste bewirten. Die Regierung setzt auf regionale Schließungen - trotz steigender Fallzahlen.

Auch von den Gratis-Selbsttests, die die Regierung an Anfang März in den Apotheken zur Verfügung stellen wollte, fehlt jede Spur. Erste Kontingente waren binnen Stunden vergriffen, nun wird man auf die kommenden Wochen vertröstet. Das Gleiche gilt für die Impfstoffe: Nicht nur fehlen AstraZeneca-Dosen, auch beim neu zugelassenen Johnson&Johnson-Impfstoff hat Österreich das mögliche Kontingent nicht voll ausgeschöpft. Fehlende Bestellungen beim Biontec-Impfstoff schob Kurz (obwohl selbst eingebunden) auf seinen Gesundheitsminister ab.

Madrid wird zum Hotspot: In Spanien explodieren die Ansteckungszahlen

Deutschland steuert in die dritte Coronawelle, Spanien muss derweil schon die vierte Welle fürchten – und das womöglich schon über Ostern. Denn dann trifft sich üblicherweise die Verwandtschaft und die Urlaubssaison rollt an. Ein gefährlicher Cocktail, warnen Forscher. Festtage sowie Ferienzeit hatten sich in Spanien bereits über Weihnachten als Infektionstreiber erwiesen. Die Quittung kam im Januar: In Spanien explodierten die Ansteckungszahlen. Das Königreich registrierte, zusammen mit Portugal, die höchste Infektionsrate Europas. Wiederholt sich nun dieses Drama? „Die Frage ist nicht, ob es eine vierte Coronawelle geben wird, sondern wann die vierte Welle beginnen wird“, warnt der spanische Virologe Enrique Bassat. Erste Anzeichen gebe es bereits. Und eines der ersten Opfer könnte die Hauptstadt Madrid sein.

 

Die Metropole ist mit ihren laxen Coronaregeln Spaniens größtes Sicherheitsrisiko. Kneipen, Restaurants und Shops sind hier seit Monaten ohne größere Beschränkungen geöffnet. Entsprechend ist die Millionenstadt nationaler Coronahotspot. Als Musterschüler gilt derweil Mallorca, wo die Epidemie durch einen harten Lockdown unter Kontrolle gebracht wurde. Inzwischen sank dort die 7-Tage-Inzidenz auf 20 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das Robert Koch-Institut hob die Reisewarnung für die Insel auf, was in Deutschland einen Buchungsboom auslöste. Mallorca-Flüge sind über Ostern weitgehend ausgebucht. In Madrid aber wächst der Ärger, weil Ausländer die Insel besuchen dürfen, spanische Urlauber aber nicht. Die örtlichen Behörden hatten angeordnet, dass sich die Spanier über Ostern nur innerhalb ihrer Wohnregionen bewegen dürfen. Die Mallorca Zeitung titelte: „Osterferien auf Mallorca: für Deutsche Ja, für Spanier Nein.“

Tausende Tote jeden Tag: Brasilien leidet massiv

Die meisten Bars und Restaurants in Rio de Janeiro haben um 18 Uhr bereits ihre Läden heruntergelassen und die Türen geschlossen. „Rio de Janeiro ist eine Geisterstadt, nicht wahr?“, sagt ein Fußgänger im Ausgehviertel Lapa. Anders als an vielen Wochenenden zuvor scheint die Nachlässigkeit gegenüber dem Coronavirus nun der Vernunft gewichen zu sein. Das Stimmengewirr und die Musik weichen der Stille. Es sind vor allem lokale Maßnahmen, die das Corona-Virus bremsen sollen. Brasilien, das erst im Januar mit Impfungen begann, ist eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder. 11.519.609 Menschen haben sich nachweislich mit dem Coronavirus infiziert, 279.286 Patienten sind im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Brasilien hat 210 Millionen Einwohner und ist 24 Mal so groß wie Deutschland.

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Foto: Andre Penner, dpa
Foto: Andre Penner, dpa

Friedhofsarbeiter in Schutzausrüstung tragen einen Sarg mit dem Leichnam eines Corona-Toten. Die Zahl der Opfer steigt.

In der vergangenen Woche erfasste das Land erstmals mehr als 2000 Corona-Tote an einem Tag. Das Gesundheitssystem ist vielerorts zusammengebrochen. Die Nachrichten aus Städten, in denen die Auslastung der Intensivbetten 100 Prozent erreicht hat oder Hunderte Patienten auf ein Intensivbett warten, häufen sich. Präsident Jair Bolsonaro, der das Coronavirus von Anfang an verharmlost hatte, zieht mittlerweile auch den Sinn einer Impfung in Zweifel. Nach der Rückkehr des beliebten linken Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva auf die politische Bühne hat der Rechtspopulist jedoch seinen Ton gemildert. „Das ist der schlimmste Moment, und es wird noch schlimmer werden“, sagt der Epidemiologe Diego Ricardo Xavier von der Forschungseinrichtung „Fundação Oswaldo Cruz“. Laut der Zeitung Valor rechnen hohe Beamte im Gesundheitsministerium damit, dass in den kommenden Wochen die Marke von 3000 Corona-Toten täglich überschritten wird. (mit dpa)

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