
Mehr als die Betriebsrat-Kündigung: Weltbild erlebt turbulente Zeiten


Das Augsburger Medienunternehmen erlebte unter einem unkonventionellen Chef beispiellose Blütejahre. Nach der Krise sorgt jetzt ein Prozess für Aufsehen.
Ein Freitagmittag, draußen ist es sommerlich heiß, in der Einkaufspassage im Augsburger Zentrum ist es angenehm kühl. Mütter mit Kinderwagen, Väter, Jugendliche bummeln durch die City-Galerie. Im Erdgeschoss ist der Eingang eines der Geschäfte rot gerahmt, darüber leuchtet der Schriftzug „Weltbild“. Innen gibt es Bestseller wie den neuen Kluftinger-Krimi, Backbücher, Ratgeber, aber auch Deko-Artikel. Solarlichter für den Garten oder das Schwimmtier „Einhorn“ für 24,99 Euro. An der Kasse wird man freundlich bedient. „Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln“ steht auf dort angebotenen Anhängern. Ein junges Pärchen kommt herein. „Da gibt es doch immer nette Sachen“, sagt sie zu ihm.
Verfahren um Betriebsrat-Kündigung vor Gericht
Dass das Weltbild-Geschäft genauso wie die anderen über 140 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch existiert, darauf hätte nicht jedermann im Jahr 2014 gewettet. Damals musste der Konzern Insolvenz anmelden. Das Unternehmen hat inzwischen eine harte Sanierung durchlaufen und sich neu aufgestellt. Doch ganz zur Ruhe gekommen ist es nicht. Zuletzt sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass Weltbild dem Betriebsratschef kündigen will. Diesen Montag beginnt vor dem Arbeitsgericht Augsburg ein Verfahren. Wie also geht es Weltbild wirklich?
An der Spitze steht heute Christian Sailer. „Wir freuen uns, dass es Weltbild wieder gut geht“, sagt er. „Die schwarze Null ist geschafft, das ist die Basis für weiteres Wachstum im Rahmen der Digitalisierung und dafür gebührt allen Mitarbeitern ein Danke für ihre tolle Leistung und ihren Einsatz.“ Ist alles also auf einem guten Weg? Nicht überall teilt man diese Meinung.
Thomas Gürlebeck, 42, drückt auf einen Knopf, Kaffee rinnt aus einer Maschine. Gürlebeck arbeitet bei der Gewerkschaft Verdi. Hier, im Gewerkschaftshaus in Augsburg, hat er über Jahre das Drama rund um Weltbild verfolgt. Er hat sich für die Mitarbeiter eingesetzt, Demonstrationen organisiert. Jetzt schüttelt er wieder den Kopf. „Weltbild war so eine tolle Plattform“, sagt er. „Heute ist die Führung desolat, es gibt keine Vision, es fehlt ein richtiger Händler, der die Branche kennt und der Netzwerke hat.“
Die Kündigung des Betriebsratschefs ist für Thomas Gürlebeck nicht der einzige Missstand: „Der Betriebsrat bekommt seit Monaten keine Zahlen mehr, keine Informationen, nichts“, sagt er. Die Neuordnung der Büros am neuen Standort südlich der Innenstadt plage aktuell viele Beschäftigte zusätzlich. Teilweise werden die Büros „viel zu klein“ sein, sagt Gürlebeck. Weltbild weist das zurück: Das Unternehmen verstehe, dass der interne Umzug die Mitarbeiter bewege. „Eines können wir aber schon jetzt sagen: Es sind vor und nach dem Umzug gleich viele Mitarbeiter auf gleichviel Fläche und die gesetzlichen Regelungen werden eingehalten“, teilt die Firma mit.
Das ist die Geschichte von Weltbild
Eine Kündigung, Ärger um Büros. Vielleicht kann man die immer wiederkehrende Aufregung bei Weltbild besser verstehen, wenn man einen Blick in die Geschichte wirft. Darauf, welches stolze Unternehmen sich einmal anschickte, den Buchmarkt aufzumischen. Und darauf, wie schmerzhaft und turbulent die Insolvenz 2014 erlebt wurde.
Es beginnt kurz nach dem Krieg. Im Jahr 1948 gründet Josef Hall zusammen mit dem Katholischen Männerwerk in Fulda die Winfried-Werk GmbH. Dieser Verlag gibt das katholische Magazin Mann in der Zeit heraus. Als die Zeitschrift im Jahr 1957 eine Auflage von 500.000 Exemplaren erreicht, zieht die Redaktion nach Augsburg – in ein historisches Gebäude in der Frauentorstraße, nahe am Dom. Im Jahr 1967 kauft der Verlag die Zeitschrift Feuerreiter, im Jahr 1968 gibt man den sperrigen Titel Mann in der Zeit mit Feuerreiter zugunsten des Titels Weltbild auf. Die Zeitschrift war ein richtiges katholisches Männermagazin. Die Journalisten in den verwinkelten Redaktionsgebäuden erleben die 1970er und 80er Jahre als wunderbare Zeiten. Sie können quer durch die Republik reisen und schreiben. Der Verlag wächst und erwirbt andere Zeitschriften, darunter Frau im Leben.
Nachdem der Gründer Josef Hall bereits 1963 gestorben ist, übernimmt sein Sohn Winfried Hall die Verlagsleitung. Später geht Weltbild ganz an die katholische Kirche. Bis zur Krise 2014 sind zwölf Bistümer, der Verband der Diözesen Deutschlands und die katholische Soldatenseelsorge in Berlin die Eigentümer.
In dieses katholische Haus platzt 1975 der unkonventionelle Niederländer Carel Halff – damals 24 Jahre alt, lange Haare. Ein Mann, der so gar nicht hineinpasst in den katholischen Weltbild-Verlag und einen in die Jahre gekommenen Porsche fährt. Halff wird Chef der Weltbild Bücherdienst GmbH. Seit 1972 konnten Weltbild-Leser als Zusatzservice Bücher bestellen. Anfangs sind es dünne Blättchen, die der Zeitschrift als Werbung beigelegt werden. Später entsteht ein monatlich erscheinender Katalog. In den ersten Jahren steht Halff selbst am Packtisch, um Bücher in Pakete für die Kunden zu schichten. Der Hausmeister fährt die Kartons dann zusammen mit dem Verlagslehrling zum Bahnhof.

Halff ist geschickt: Er kauft Restposten und günstige Bücher auf und verkauft sie an die Leser. Für den Erlös bezieht er neue Ware. „Bücher waren seine Welt“, erinnert sich eine frühere Mitarbeiterin. „Halff hat alles verkauft, was sich verpacken und verkaufen lässt.“ Sein Bereich wächst explosionsartig. Die Räume in der Nähe des Doms sind bald zu klein. Der Versand zieht erst in die Böheimstraße, dann an die Steinerne Furt nach Augsburg-Lechhausen. Aus einem kleinen Team werden dort schnell mehrere hundert Leute. Wer im Weihnachtsgeschäft als Aushilfe angeheuert wird und sich gut anstellt, hat bald einen festen Vertrag in der Tasche. Im November 1995 soll Weltbild erstmals pro Monat über eine Million Pakete ausgeliefert haben. Zur Einweihung des neuen Logistikzentrums 2001 kommt der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Nach dem Zusammenschluss mit Hugendubel beherrscht Weltbild den Markt und betreibt im Jahr 2010 rund 500 Filialen. Doch plötzlich geriet etwas aus der Spur.
Das Ehepaar Andrea Karl, 53, und Kurt Sauerlacher, 62, kann sich gut erinnern. Beide sind heute in ihrem Geschäft in der Augsburger Innenstadt anzutreffen – dem Kolonial, gelegen zwischen Rathaus und Fuggerei. In den historischen, gemütlichen Ladenräumen gibt es Literatur, sorgfältig ausgewählte Kinderbücher, aber auch Wein, Tee, Öle, Gin. Bevor sie den Laden eröffneten, hatten Andrea Karl und Kurt Sauerlacher bei Weltbild gearbeitet, er 21 Jahre lang, sie 28 Jahre.

Ein Tag markiert für sie die Zeit, ab der es bei Weltbild unruhiger wurde: Das Ehepaar sitzt im Flugzeug zurück aus dem Urlaub, als neben ihnen ein Passagier einen Artikel in der Zeitung liest: „Weltbild soll verkauft werden“. Zwischen 2008 und 2011 erschüttert eine Debatte um erotische und esoterische Bücher das Unternehmen. Bereits zuvor verschwand im Lager manches erotisch angehauchte Buch in hinteren Ecken, wenn der Bischof seinen Besuch ankündigte. Als später öffentlich über Titel wie das „Schlampeninternat“ diskutiert wird, überlegt die Kirche, Weltbild zu verkaufen.
Andrea Karl und Kurt Sauerlacher führten bei Weltbild zusammen mit einem Kollegen den Mitarbeiter-Buchladen an der Steinernen Furt. „Es war ein Treffpunkt“, sagt Andrea Karl. „Viele kamen zwischen zwei Meetings vorbei, schauten sich die neuen Bücher an, aßen ein Eis.“ Wie viele andere Mitarbeiter haben sie die meisten Jahre bei Weltbild als „gute Zeit“ in Erinnerung. „Es war familiär, jeder hatte bei der Arbeit viel Freiheit.“
Bald aber ballen sich immer mehr Probleme. Die Umsätze im stationären Handel sinken, die Kosten wachsen, die Technik ist teuer, die Schulden steigen. Um die Weihnachtszeit 2013 spitzt sich die finanzielle Situation zu. In einer dramatischen Sitzung ziehen die Bischöfe die Notbremse, sie schießen die geforderten, hohen Summen nicht mehr nach. Im Januar 2014 ist Weltbild insolvent.
Andrea Karl und Kurt Sauerlacher erleben ihre Entlassung als eine Sache von fünf Minuten. „Man hat uns in einen Besprechungsraum gerufen, zusammen mit 20 anderen Leuten. Dann wurde gesagt, dass wir an unserem Arbeitsplatz noch die privaten Sachen holen und dann gehen können“, sagen sie. Drei halbe Tage bleiben sie noch, machen im Buchladen klar Schiff, dann verabschieden sie sich. „Am Schluss war es mir zu viel“, sagt Andrea Karl. „Die Sache ist mir auf den Magen geschlagen.“
Betriebsratschef gekündigt - Verdi kündigt Demo an
Entlassungen, Schließungen: Für die einst 6300 Mitarbeiter im Konzern beginnt eine schwere Zeit. Hugendubel wird abgespalten, erste Interessenten für die Firma springen ab – bis der Düsseldorfer Berater Walter Droege Weltbild übernimmt. Droeges Strategie ist umstritten. Viele Läden werden an einen Investor verkauft, der selbst bald pleite ist. Aus den Gebäuden an der Steinernen Furt zieht man aus. Die Logistik in Augsburg wird geschlossen. Heute befindet sie sich im tschechischen Bor. Für Gewerkschafter Thomas Gürlebeck war die Schließung der Logistik in Augsburg ein großer Fehler: Denn bis der neue Versand in Tschechien funktionierte, habe es lange gedauert, berichtet er.
Jetzt der Prozess gegen den Betriebsratschef. Verdi macht gegen die Kündigung mobil. Für Montag ist vor dem Augsburger Arbeitsgericht eine Demo angekündigt. „Es ist erschreckend, mit welcher Aggressivität die Weltbild Geschäftsführung um den Düsseldorfer Gesellschafter Droege gegen den Betriebsratsvorsitzenden vorgeht“, sagt Gürlebeck. „Am liebsten hätte man ihn nach altem Gutsherrenstil einfach an die Luft gesetzt. Die haltlosen Behauptungen werden sich als Rohrkrepierer der Geschäftsleitung rausstellen“, meint er.
Weltbild weist die Vorwürfe zurück. „Der Arbeitgeber musste so reagieren“, teilt die Firma mit. Weltbild sei von besorgten Mitarbeitern mitgeteilt worden, dass der Betriebsratschef „einen anderen Mitarbeiter zum Betrug (durch Vortäuschung einer Erkrankung) aufgefordert habe“. Das Unternehmen wirft Verdi zufolge dem Betriebsratschef vor, einem gekündigten Mitarbeiter im tschechischen Logistik-Werk geraten zu haben, sich krankzumelden. „Daraufhin musste der Arbeitgeber tätig werden und hat beim Betriebsratsgremium einen Antrag zur fristlosen Kündigung eingereicht. Diese Vorgehensweise hat nichts mit dem Betriebsrat als Gremium zu tun und war unabhängig von der Person notwendig“, berichtet Weltbild. Ansonsten sieht man sich auf gutem Kurs: Die Gruppe hat 2017 rund 440 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet und beschäftigt 1350 Mitarbeiter, davon 350 in Augsburg. Der Konzern will in den nächsten fünf Jahren wieder wachsen und hat zuletzt ein Outlet in Bremen und zwei neue Filialen eröffnet.
Dieses Jahr feiert Weltbild seinen 70. Geburtstag. Für Andrea Karl und Kurt Sauerlacher hat längst das Leben nach Weltbild begonnen. Ein Jahr nachdem sie sich arbeitslos gemeldet hatten, eröffneten sie mit ihrer erstrittenen Abfindung das Kolonial. Drei Jahre ist das her. An diesem Vormittag schauen sich viele Kunden im Laden um. Das Ehepaar ist zufrieden. Die Augsburger nehmen ihren Laden an, „wir bekommen viel Lob“, sagen sie. Auch Carel Halff sei schon vorbeigekommen.
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