Verdacht auf Korruption: Die dubiosen Geschäfte des Georg Nüßlein
Plus Hat der CSU-Politiker sich bestechen lassen? Ermittler durchsuchten mehrere Büros, Nüßlein selbst tauchte ab. Rückblick auf einen Tag, der einen Schatten auf die Corona-Politik werfen könnte.
Der Hof seines Anwesens ist vollgeparkt. So voll ist es hier sonst nur, wenn Georg Nüßlein, der passionierte Jäger, zu einer Jagd einlädt oder das traditionelle Treffen der Jungen Union im Landkreis Günzburg bei ihm stattfindet. Doch Jagd- oder Parteifreunde sind das nicht, die ihre Fahrzeuge abgestellt haben. Ermittler im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München nehmen sich an diesem Vormittag das Privathaus des CSU-Bundestagsabgeordneten in Münsterhausen vor, einer Marktgemeinde bei Krumbach mit knapp 2000 Einwohnern.
Die Beamten sind sichtlich um Diskretion bemüht. Eine auffällige Absperrung des Areals gibt es nicht, nur die blau-weiße Tafel „Privatweg – Durchgang und -fahrt verboten“ soll ungebetene Besucher abschrecken. Es sind auch nur Zivilfahrzeuge auf dem Grundstück direkt an der Hauptstraße abgestellt.
Razzia bei Unions-Fraktions-Vize Georg Nüßlein
Ein Bild der Ruhe, das so gar nicht passt zu der gewaltigen bundesweiten Aufregung, die der Bewohner dieses Hauses ausgelöst hat. Es sind ja gewaltige Vorwürfe, die im Raum stehen. Die Justiz ermittelt gegen Georg Nüßlein, 51, und einen weiteren Beschuldigten wegen Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern im Zusammenhang mit dem Ankauf von Corona-Schutzmasken. Was den Vorgang, sollten sich die Anschuldigungen bestätigen, so gravierend macht: Nüßlein ist in Berlin nicht irgendein CSU-Hinterbänkler. Er ist einer von zwölf Stellvertretern von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, außerdem Gesundheitsexperte seiner Partei, nimmt also in der Corona-Krise eine exponierte weil öffentlichkeitswirksame Rolle ein.
Ausgerechnet in dieser hochsensiblen Zeit, in der Einzelhändler, Gastronomen oder Kulturschaffende vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, zuletzt Impfdrängler einen Schatten auf die Bemühungen warfen, die Krise an allen Fronten zu bewältigen, soll sich ein CSU-Frontmann in Berlin finanziell an Aufträgen für einen Maskenhersteller bereichert haben?
Der Verdacht spricht sich in Nüßleins Heimatort schnell herum. Autofahrer bremsen auf der Hauptstraße ab, als sie auf Höhe des Anwesens sind, und versuchen einen Blick auf das Haus zu erhaschen, neben dem Nüßlein ein privates Wasserkraftwerk betreibt. „Zwischen 3500 und 4000 Euro im Monat“ setze er damit um, sagte er im vergangenen Jahr unserer Redaktion.
Doch um diese Einnahmen geht es den Ermittlern nicht, die in Polizei-Kleidung und mit Schutzmasken nur mal kurz aus dem Haus kommen und gleich wieder darin verschwinden. Sie suchen nach Beweisen für den mutmaßlichen Masken-Deal. Auch Nüßleins eigene Autos stehen vor dem Haus. Von ihm selbst ist an diesem Vormittag jedoch nichts zu sehen. Zumindest nicht in Münsterhausen.
Fall Georg Nüßlein: Die Aufhebung der Immunität war eine reine Formsache
Dafür in Berlin. Deutscher Bundestag, 9.15 Uhr. Bei der Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung geht alles ganz schnell. Nur in dringenden Fällen werden dessen Mitglieder wie diesmal kurzfristig einbestellt. Das heißt: Die Staatsanwälte warten dann bereits in einer ruhigen Ecke des Parlaments, um praktisch zeitgleich mit der Aufhebung der Immunität schon mit ihrer Durchsuchung beginnen zu können.
Im Ausschuss selbst wird der Fall Nüßlein nicht mehr groß erörtert. Die beiden Beamten der Generalstaatsanwaltschaft München, die mit in die kurze Sitzung gekommen sind, haben die Obleute der Fraktionen vorab bereits informiert, der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg von der CDU trägt den Sachverhalt kurz vor – sodass der Beschluss, die Immunität Nüßleins aufzuheben, nur noch eine Formsache ist und einstimmig fällt. „Mittelmäßig entsetzt“, sagt ein Teilnehmer später, sei er von dem, was er da gehört habe. Auch die Kollegen von der CSU hätten ziemlich konsterniert dreingeschaut.
Heikler ist das weitere Prozedere. Eigentlich ist Nüßlein an diesem Vormittag als Redner in der Debatte über die Probleme mit den Corona-Schnelltests vorgesehen. Die CSU-Landesgruppe allerdings will ihm offenbar die Peinlichkeit, dass sich alle Kameras auf ihn richten, ersparen und nominiert schnell noch den Münchner Abgeordneten Stephan Pilsinger als Ersatzredner. Als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nuschelnd den Antrag auf Aufhebung seiner Immunität verliest und darüber abstimmen lässt, ist er schon nicht mehr im Saal.
Fotos zeigen den gebürtigen Krumbacher später, wie er über einen Flur zu seinem Büro läuft und hineingeht – noch während dieses durchsucht wird. Vielfache Versuche, Nüßlein über digitale Kanäle zu erreichen, schlagen fehl. Kurz zeigt er sich noch auf dem Gang und ruft einigen Reportern entgegen, die Vorwürfe seien „haltlos“.
Hat Georg Nüßlein sich an der Corona-Notlage bereichert?
Die Ermittler sind an diesem Morgen auch in seiner Berliner Wohnung zugange – und in der CSU-Geschäftsstelle mitten in Günzburg. Gegen halb zwölf steigen ein Mann und eine Frau in Anzug und Kostüm aus einem silbernen VW mit Münchner Kennzeichen. Hinter der Heckscheibe liegt eine Polizeiweste. Die beiden, die einen kleinen Rollkoffer hinter sich herziehen, verschwinden ohne großes Aufsehen hinter der Tür von Nüßleins Wahlkreisbüro.
Nur selten öffnet sich im Lauf des Tages die Tür. Mal wird das Auto kurz umgeparkt, mal eine Brotzeit geholt – mehr passiert nicht. So vergehen die Stunden, ehe um ziemlich genau 16 Uhr sich die Tür erneut öffnet. Eine Frau trägt einen Laptop nach draußen, ein Mann zieht wieder einen Rollkoffer hinter sich her. Die Durchsuchung endet so geräuschlos, wie sie begonnen hat.
Wer ist der Mann, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, er habe sich ausgerechnet in der Corona-Notlage unrechtmäßig bereichert? Nüßlein, Jahrgang 1969, wächst in Münsterhausen im Kreis Günzburg auf, seine Eltern arbeiten bei der Post. Er studiert nach dem Abitur 1988 in Krumbach Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Augsburg. 1998 wird er Doktor der Rechtswissenschaften.
Bei der Jungen Union ist er zwischen 1997 und 2001 stellvertretender Bezirksvorsitzender – und doch überrascht es viele, dass er 2001, als es um die Nachfolge von Theo Waigel als Bundestagsabgeordneter geht, sich bewirbt. Waigel will sich am Donnerstag nicht zu den Vorwürfen äußern.
Tatsächlich holt Nüßlein das Mandat 2002. Heute zählt er zu den altgedienten Parlamentariern. Schnell macht der Diplom-Kaufmann und gelernte Banker bundesweit von sich reden. Doch nicht etwa durch politisches Handeln, sondern durch seine Geschäftsbeziehung zu TV-Star Verona Feldbusch, die heute Pooth heißt. Der Abgeordnete kümmert sich nämlich nebenher um die Dessous-Linie von Feldbusch, ist Vorstandsmitglied der Firma „Veronas Dreams“. Nüßlein scheut sich nicht, in den Medien über seine Arbeit im Dessous-Geschäft zu sprechen. „Wieso auch?“, sagt er damals, „es ist ein ganz normales Business. Unterwäsche trägt schließlich jeder.“
Doch in der Berliner CSU-Landesgruppe hat der Newcomer erst mal seinen Spitznamen weg. Der „Strapsenschorsch“ hängt Nüßlein lange nach, auch nachdem er das Engagement für Feldbusch längst beendet hat. Vor seiner Wahl in den Bundestag ist Nüßlein unter anderem mehrere Jahre für die Münchner Privatbank Reuschel tätig. Später führt er die Geschäfte der Controlling-Firma „Harisch-Consult“ in Illertissen, die sich unter anderem um die Beratung vermögender Privatkunden kümmert.
Georg Nüßlein hat dem Bundestag zahlreiche Nebeneinkünfte gemeldet
Ein zweites Standbein in der Wirtschaft hat er sich aufrechterhalten. Beim Eintrag seiner Firma Tectum Holding, über die das Geschäft mit dem Maskenhersteller abgewickelt worden sein soll, ins Handelsregister des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg hat Nüßlein den Unternehmenszweck eher vage beschrieben: Halten und Verwalten von Beteiligungen, Wirtschaftsberatung, M&A-Geschäft, also Unternehmensverkäufe, -fusionen und -übernahmen. Sitz der im April 2012 gegründeten Firma ist sein Wohnhaus in Münsterhausen. In der letzten zugänglichen Bilanz, der für 2018, führt sie ein Eigenkapital von etwas mehr als 300.000 Euro auf, knapp 900 Euro an Rückstellungen und knapp 800 Euro an Verbindlichkeiten – eine kerngesunde kleine Firma also mit dem bei GmbH-Konstrukten üblichen Stammkapital von 25.000 Euro.
Dem Bundestag gegenüber hat Nüßlein an bezahlten Tätigkeiten neben seinem Mandat den Betrieb seines Wasserkraftwerkes mit monatlichen Einnahmen zwischen 3500 und 7000 Euro gemeldet, außerdem sitzt er noch in verschiedenen Bei- und Aufsichtsräten. Insgesamt, rechnet das Internetportal abgeordnetenwatch.de vor, hat Nüßlein dem Bundestag in der laufenden Wahlperiode Nebeneinkünfte von knapp 170.000 Euro gemeldet.
Als Abgeordneter ist Nüßlein unter anderem in der Energie- und Gesundheitspolitik aktiv. Seit 2014 ist er stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion und damit stets in alle wichtigen Vorgänge eingeweiht. Obwohl er in seinem Wahlkreis nicht wirklich oft zu sehen ist, was zumindest hinter vorgehaltener Hand auch kritisiert wird, schien seine erneute Nominierung als Bundestagskandidat zuletzt reine Formsache zu sein. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei der Günzburger CSU-Kreisvorsitzende Alfred Sauter. Er sagt auf Anfrage, aus den Medien von den Vorwürfen erfahren zu haben. Er habe kurz mit Nüßlein telefoniert, aber sie hätten das Gespräch dann wegen der laufenden Durchsuchungen rasch abgebrochen. Für Nüßlein gelte die Unschuldsvermutung, sagt er. Ein genaues Datum für die Nominierung zur Bundestagswahl stehe noch nicht fest, die CSU sei da „flexibel“.
Durch sein Fachgebiet Gesundheitspolitik darf man Nüßlein einen direkten Draht zu Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterstellen. Die Diskussion um Schutzmasken, die jetzt im Fokus von Ermittlungen stehen, begleitet ihn seit Beginn der Pandemie. In den ersten Monaten der Corona-Krise waren die Masken bekanntlich Mangelware. Spahn garantierte deshalb Anbietern einen Fixpreis. Doch in der Folge kam es zum Streit über die Qualität der Ware, der bis heute andauert. 58 Klagen sind anhängig, es geht um einen Streitwert von insgesamt 152 Millionen Euro.
Details zum Ermittlungsverfahren um die Maskenbeschaffung werden geheim gehalten
Zeitweise beschäftigte das Bundesgesundheitsministerium bis zu 50 externe Rechtsanwälte in der Sache. Das Ministerium führt mangelnde Qualität der Ware ins Feld, die Anbieter klagen wegen Nichtabnahme der Ware. Die Maskenbeschaffung im so genannten Open-House-Verfahren beschäftigt auch den Bundesrechnungshof, wie ein Sprecher unserer Redaktion bestätigt. Seit einigen Wochen laufe eine Überprüfung. Zu weiteren Details, etwa ob in dem Verfahren auch der Name Nüßlein auftaucht, könne er nichts sagen, so der Sprecher.
In der Phase, als Deutschland nichts dringender suchte als Masken, hatte Nüßlein in Berlin selbst auch offen darüber gesprochen, dass er das Gesundheitsministerium bei der Beschaffung von Schutzausrüstung unterstütze, auch, indem er dazu eigene Kontakte nutze. Von etwaigen Provisionen war allerdings nicht die Rede.
Die Debatte um die Beschaffung von Schutzmasken hat schon auf anderer Ebene zu heftigen Kontroversen geführt. Erst kürzlich hat, wie berichtet, der Fall von zwei Schweizer Spekulanten Aufsehen erregt, die im März vergangenen Jahres nicht nur dem Schweizer Militär, sondern auch der deutschen Bundesregierung sowie den Landesregierungen von Bayern und Nordrhein-Westfallen Masken zu völlig überhöhten Preisen für insgesamt rund 390 Millionen Euro verkauft haben. Bayern soll 15,2 Millionen Euro bezahlt haben.
Auch in diesem Fall ging es um mögliche Verquickungen in die CSU, konkret zu der Geschäftsfrau Andrea Tandler, Tochter des einst einflussreichen CSU-Politikers Gerold Tandler. Das bayerische Gesundheitsministerium rechtfertigte den Kauf mit einer Notlage. Der Markt für Masken sei in den ersten beiden Märzwochen 2020 zu Beginn der Pandemie leergefegt gewesen. Persönliche Kontakte zu Frau Tandler, so beteuerte die damalige bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), habe es nicht gegeben. Die Ankäufe seien auf Arbeitsebene abgewickelt worden.
Um die Aufklärung der Details des Vorgangs bemüht sich der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn. Mit den Antworten, die er bisher erhalten hat, ist er nicht zufrieden. „Bemerkenswert ist, dass das Ministerium sich bisher beharrlich weigert, Ross und Reiter zu nennen“, sagt von Brunn. Er würde gerne wissen, wann und von wem der Staat Masken gekauft hat. Im Ministerium sei man „verdächtig schmallippig“. So schmallippig wie diejenigen an diesem Tag, die sich zum Fall Georg Nüßlein äußern.
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