Anwohner hatten unglaubliches Glück
Im Oberallgäuer Kreuzthal hat sich ein riesiger Steinbrocken aus dem Hang gelöst. Trümmer beschädigten die Häuser nebenan. Warum die Anwohner unglaubliches Glück hatten.
Eine Stunde früher, und wahrscheinlich hätte es die Pferde erwischt, die noch draußen auf der Wiese standen. Oder viel schlimmer: eines der Kinder. Den ganzen Tag über sind sie oft mit den Rädern unterwegs. So aber entstehen glücklicherweise nur materielle Schäden, als am Dienstagabend eine Handvoll Menschen aus dem Kreuzthal (Oberallgäu) das Gefühl hat, die Welt gehe unter. Als die Natur mit aller Gewalt über sie hereinbricht – in Form eines herabstürzenden Gesteinsbrockens mit einer Größe von 800 Kubikmetern.
Mit seinem kleinen Sohn steht Thomas Urbantat kurz vor dem geplanten Abendessen gegen 18.30 Uhr im Garten. Sein Blick bleibt an der Felswand auf der anderen Seite der Straße, etwa 30 Meter entfernt, hängen. Zuerst, erinnert er sich einen Tag später, plumpsen links und rechts kleinere Brocken von der Wand. Das ist nicht ungewöhnlich. Regelmäßig lösen sich Gesteinsteile, wenn Gämsen über die bewaldeten Abhänge im Kreuzthal klettern. Doch dann stürzt ein Baum in die Tiefe. Und dann: „Plötzlich gibt’s einen Riss durch die ganze Wand – und das komplette Ding kippt nach vorne um“, sagt Urbantat.
„Als würde die Welt untergehen“
„Als würde die Welt untergehen“, beschreibt Gerlinde Eisele den ohrenbetäubenden Lärm, den die Gesteinsmassen verursachen, als sie aus rund 20 Metern Höhe in die Eschach krachen, die unter der Felswand verläuft. Eine regelrechte Flutwelle, sagen die Bewohner der drei Häuser gegenüber, schwappt über die Straße und klatscht gegen Hauswände. Dann kommen in einer riesigen Staubwolke Felsbrocken geflogen. Sie durchschlagen Fenster und Autoscheiben, zertrümmern Dachziegel, zerdeppern die Photovoltaikanlage auf einem Dach und schlagen teilweise erst nach 50 Metern in den Boden ein. Eine Frau wird von einem Stein am Knie getroffen. Ansonsten bleiben die Bewohner der drei Häuser unverletzt. Fast wie durch ein Wunder, sagt Anwohner Peter Kargus und schiebt hinterher: „Wir sind wirklich froh, dass wir noch am Leben sind.“
Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können. Eben wenn die Kinder draußen gespielt hätten. Wenn in dem Moment ein Autofahrer oder Radler die Straße passiert hätte. Glücklicherweise ist nichts davon der Fall, als sich auf einer 30 mal 40 Meter großen Fläche der Fels löst und in die Tiefe stürzt. Laut Polizei waren vermutlich die starken Regenfälle in den Tagen zuvor der Auslöser für den Felssturz. „An so steilen Hängen“, sagt Karl Schindele, Leiter des Kemptener Wasserwirtschaftsamts, „kann es mal zu so etwas kommen.“ Mit zwei Geologen begutachtete er gestern die Stelle. Dabei stellten die Experten fest, dass sich noch 160 Kubikmeter instabiler Fels an der Wand befinden. Deshalb könne man die Eschach nicht mit einem Bagger ausräumen. Wie es weitergeht, müssten Experten in Baden-Württemberg entscheiden – denn der Fels befindet sich dort, während die Häuser auf bayerischer Seite stehen. Unter Umständen könnte das Gestein abgesprengt werden.
Die Anwohner im Kreuzthal müssen jetzt erst einmal aufräumen
Für die Anwohner im Kreuzthal ist jetzt erst einmal Aufräumen angesagt. Und dann unternimmt Thomas Urbantat vielleicht einen zweiten Anlauf: Eigentlich wollte er am Dienstagabend ins Kino. „Jurassic World“ gucken. Etwas Urzeitliches hatte auch das, was er stattdessen vor seiner Haustür erlebte.
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