Was nicht alles am Christbaum hängt
Seit über 50 Jahren sammeln zwei Münchner Schwestern Weihnachtsschmuck. Die schönsten und liebevoll ausgesuchten Stücke sind jetzt im Nationalmuseum zu sehen
Es muss ja nicht so enden wie bei Heinrich Bölls Tante Milla. Um Lichtmess 1947 herum will sich die ältere Dame partout nicht von ihrem Christbaum trennen. Wie eine Sirene beginnt sie zu schreien, als ihr Lieblingsrequisit abgeschmückt werden soll. Das bringt die Familie mächtig in die Bredouille, denn die schrullige Tante ist nur mehr zu beruhigen, wenn jeden Abend Heiligabend gefeiert wird – mit Friedensengel und Spekulatius. Und „Nicht nur zur Weihnachtszeit“, wie es im Titel von Bölls immer noch ziemlich amüsanter Satire von 1952 heißt, sondern im Winter wie im Sommer. Mit irrwitzigen Folgen.
Dagegen ist die Christbaum-Begeisterung von Waltraud und Elfrun Koch geradezu harmlos, auch wenn ihre Sammelwut über die Jahre kaum zu bremsen war. Und ob den Angehörigen die regelmäßigen, durchaus exzessiven Einkäufe nicht zwischendurch auf den Keks gingen, sei dahingestellt. Die Münchner Schwestern sind jedenfalls in keine Weihnachtshysterie verfallen wie Tante Milla, seit den 50er Jahren ist aber doch Beträchtliches zusammengekommen. Das wird nun in Teilen im Bayerischen Nationalmuseum gezeigt, das die Schätze der Kochs erworben hat: 27 Schachteln mit rund 350 Christbaumanhängern, liebevoll ausgesucht auf Märkten und in Spezialgeschäften. Traditionell musste der Schmuck sein und stimmungsvoll. Mit profanen Kuriositäten und coolem X-Mas-Designkram hatten Waltraud und Elfrun nie etwas am Hut. In der kleinen Sonderausstellung im Souterrain sieht man deshalb feine Holzfigürchen wie den Nussknacker oder das Schaukelpferd aus dem Erzgebirge, mundgeblasene Glasvögel aus Lauscha, einen Nürnberger Rauschgoldengel, ein aus Blattmessing gestanztes Häuschen aus Schwäbisch Gmünd, Perlenketten und natürlich Kugeln in allen Farben.
Alles in hoher handwerklicher Qualität – Fabrikware kam den beiden nicht an den Baum – und dazu selbst gebastelte Strohsterne. Ein bisschen Eigenbau gehört schon auch dazu. Aber da dürften sich die Schwestern von den meisten Familien mit Hang zur geschmückten Tanne nicht unterscheiden. Und wahrscheinlich hat auch ihr Festhalten an den weihnachtlichen Traditionen wie bei vielen Älteren nicht zuletzt mit dem Aufwachsen in kargen Zeiten zu tun.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war am Christfest wenigstens „ein Teil der Familie glücklich vereint“, erzählt Elfrun Koch. Der Vater hatte die Gefangenschaft nicht überlebt, die Mutter war krank und die fünf Kinder bei verschiedenen Verwandten in Franken untergebracht. Kraft und Hoffnung schöpfte man in den schweren Jahren nach 1945 aus den gemeinsam verbrachten Feiertagen. Und besonders das Schmücken des Baumes wurde für die Mutter zum wichtigen Ritual, durch das sie mit den Kindern an bessere Zeiten anknüpfen konnte. „Im Mittelpunkt stand immer der Baum“, erinnern sich Elfrun und Waltraud. Von der Großmutter war eine ausnehmend schöne Christbaumspitze überliefert, an der winzige Wachsengelchen mit rosa Schärpen hingen, und ein uraltes Blechkarussell, von dem schon die Farbe abging. Und damit es weihnachtlich roch, hat die Mutter den Raum mit einem Tannenzweig geräuchert. Das hat sich eingeprägt wie der viel zitierte Duft der Madeleines, der in Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ die Erinnerung seines Protagonisten Charles Swann anstößt. Und weil für die Schwestern der Heilige Abend immer noch der schönste Tag im Jahr ist, wird auch heuer wieder alles so hergerichtet wie früher, vor 60, 70 Jahren.
Das Bayerische Nationalmuseum hegt eine kostbare historischen Krippensammlung. Die kleine Schau „Christbaumschmücken“ bringt nun die Gegenwart ins Spiel, und überhaupt sind Waltraud und Elfrun Koch mit ihrer Leidenschaft nicht allein. Man sieht’s an der Bilderwand in der Ausstellung, auf der täglich mehr Christbaumfotos von den Besuchern landen. Das rührt selbst erklärte Weihnachtshasser.
„Christbaumschmücken. The same procedure as every year“ bis 3. Februar, Prinzregentenstr. 3, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr, am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag geöffnet.
Die Diskussion ist geschlossen.