Noch Paradies, bald Ruine? Tauchurlaub auf Selajar
Ein Riff vor der Küste der indonesischen Insel Selajar bietet Tauchern paradiesische Bedingungen. Eine meeresbiologische Schatzkammer finden sie dort. Doch das Riff ist in Gefahr.
Gerade noch schien es, als würde dies wieder so eine herrlich ereignislose Mittagspause: müde vom Stickstoff abhängen im Palmenschatten, den Geckos beim Jagen zuschauen, an die bunten Fische denken drüben im Riff und dann gaanz laaangsaaaam wegdösen. Unvermittelt aber springt Jochen Schultheis auf, rennt über den Strand zum Steg und brettert mit dem Motorboot gen Horizont. Ja, irgendetwas ist da draußen. Ein Boot, oder?
Nach einer halben Stunde ist Jochen wieder da. Er und seine Mitarbeiter hieven meterlange Gartenschläuche mit Lungenautomaten auf den Steg. Dazu Plastikflaschen und Kanister, beschwert mit Steinen und gefüllt mit weißem Granulat: die Ausrüstung von Dynamitfischern, die mit Sprengsätzen Fische töten. Tag und Nacht müsse man auf der Hut sein, sagt er. "Sonst ist das Riff hier bald auch kaputt."
Kaputtes Riff? Wer - wie die meisten Gäste - nur ein bis zwei Wochen in Jochen Schultheis' Tauchresort im Herzen der indonesischen Inselwelt verbringt, kann das nur schwer glauben. Die Tauchplätze genügen höchsten Ansprüchen. Das dem Resort vorgelagerte Korallenriff bietet eine große Artenvielfalt. Denn die Insel Selajar liegt im sogenannten Korallendreieck.
Eine meeresbiologische Schatzkammer
Dieses Gebiet, das grob betrachtet die Philippinen, Papua-Neuguinea und die östlichen Inseln Indonesiens umfasst, ist eine meeresbiologische Schatzkammer. Mehr als 500 riffbildende Korallenarten haben Biologen hier gezählt. Ein Rekord. Und bei den Anemonen, Schwämmen, Schnecken, Seesternen, Krebsen, Würmern, Weichkorallen und Riff-Fischen ist es ähnlich. Bei jeder globalen Bioinventur liegen die Riffe des Korallendreiecks in puncto Vielfalt vorne.
Der Tauchurlaub wäre perfekt, könnte man hier - wenigstens hier - die Bedrohung der Weltmeere ignorieren und einfach nur tauchen und abends beim Bier auf der Veranda die Fotos sortieren. Doch die Zeichen des Niedergangs sind unübersehbar: Nicht nur die Fischer setzen dem Riff zu. Zivilisationsmüll kommt nachts mit den Wellen. Die Chipstüten und Plastikflaschen werden jeden Morgen vom Strand geharkt, damit sie die Urlaubsidylle nicht stören.
Und bei unnormal hohen Temperaturen von 33 Grad an der Wasseroberfläche - eine Folge des Klimawandels - geraten selbst wärmeliebende Steinkorallen ins Schwitzen. Auch den großen Tieren scheint das zu warm zu sein. Die Thunfische, Riff- und Hammerhaie bleiben lieber tief unter der Oberfläche.
Dass das Saumriff vor der Südostküste Selajars überhaupt noch in so einem guten Zustand ist, ist auch Jochen Schultheis zu verdanken. Der Tauchlehrer aus Franken kam vor mehr als 20 Jahren eher zufällig vorbei. Eigentlich wollte er eine Tauchbasis im rund 60 Kilometer südöstlich von Selayar gelegenen Meeresnationalpark Taka Bonerate aufmachen. Doch das Tauchen dort habe ihn enttäuscht, sagt er. "Auf dem Rückweg nach Sulawesi haben wir hier geankert - und einfach mal einen Tauchgang gemacht." Bis heute sind Tausende dazugekommen.
Vielfältiges Riff
Die Vielfalt des Riffs ist für jeden Taucher sichtbar: ein schwarz-gelber Sechsbinden-Kaiserfisch mit blauem Flossensaum hier, dort zwei Pfauen-Kaiserfische mit orangen, blauen, weißen und schwarzen Querstreifen. Und das sind nur die Fische!
Wer sich für winzige wirbellose Tiere interessiert und in den Hornkorallen nach dem zwei Zentimeter großen Pygmäen-Seepferdchen sucht oder dem "Dancing Hairy Shrimp" - sechs Millimeter, wollmausartig - kommt am Riffhang keine 20 Meter weit.
Seit der Jahrtausendwende betreibt Schultheis sein Selayar Dive Resort. Das Riff, genauer: ein Küstenabschnitt von etwa sieben Kilometer Länge, wurde damals auf sein Drängen hin per Gesetz geschützt. Fischen ist verboten. Aber was heißt das schon in Indonesien? Die Armut ist groß auf abgelegenen Inseln wie Selajar. Solange zahlungskräftige Taucher kommen, wird das Konzept funktionieren. Solange Geld zur Unterstützung der lokalen Polizeistation übrig ist, wird Recht auch durchgesetzt. Solange die Basis mit ihrem Hotelbetrieb Jobs schafft, wo es keine gibt, sind weniger Familien aufs Fischen angewiesen.
"Heute Mittag tauchen wir an der Grenze des Schutzgebietes", sagt Jochen, während das Motorboot vom Steg ablegt. Dann legt er den Hebel um. Der Außenborder schiebt das Boot auf die Bugwelle. Nach fünf Minuten Gleiten ist der Tauchplatz erreicht. Von oben ist kein Unterschied zu sehen. Die Szenerie unter Wasser ist deprimierend. Das Riff hat seine Farben verloren. Es gleicht einer Halde. Abgebrochene, kalkweiße Korallenstücke bedecken den Boden.
Zwischen dem Schutt schwimmen vereinzelt kleine Fische. Interessanter wird es erst wieder im Schutzgebiet: Eine Seeschlange stellt Riffbarschen nach. Unter einem Überhang döst eine Schildkröte. Auf einer Sandfläche ruht ein Weißspitzenriffhai und atmet. Im Blau vor dem Riff gleitet ein Adlerrochen vorbei. Dann rummst es dumpf. Dann noch mal. Schall breitet sich unter Wasser viel besser aus als in der Luft. Die Explosionen sind weit entfernt. Noch.
Von Arnd Petry, dpa
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