Der Held vom Hudson River im Verhör
Als er seinen Airbus auf dem Hudson River landete und alle überlebten, wurde Pilot Sullenberger gefeiert. In Clint Eastwoods Film Sully aber steht Tom Hanks unter Anklage.
Das Bild wirkt auf schreckliche Weise vertraut: Eine Passagiermaschine fliegt durch die Häuserschluchten Manhattans mitten in ein Gebäude hinein und geht in Flammen auf. Aber es sind nicht die bekannten Bilder des 9/11, die hier auf der Kinoleinwand zu sehen sind, sondern die Albträume eines Flugkapitäns, der ein solches Desaster verhindert hat und dennoch von den Horrorvisionen des Möglichen eingeholt wird.
42 Dienstjahre als Pilot hat Chesley Sullenberger auf dem Buckel, als er am 15. Januar 2009 ins Cockpit eines Airbus steigt und den US-Airways-Flug 1549 vom New Yorker City-Flughafen „La Guardia“ startet. Nur wenige Minuten nach dem Take-off gerät die Maschine in einen Vogelschwarm und beide Turbinen werden funktionsuntüchtig. Sullenberger gelingt es, das Flugzeug im Sinkflug auf dem Hudson River zu landen. Alle 155 Passagiere und die gesamte Besatzung überlebten die Notwasserung trotz frostiger Außentemperaturen unverletzt. Die Aufnahmen des schwimmenden Airbus A320 gingen um die Welt und wirkten wie ein visuelles Gegengift gegen die traumatischen Bilder des 11. September 2001.
Tom Hanks in der Rolle des "Sully"
Die New Yorker feierten „Sully“ als Helden, und nun hat kein geringerer als Clint Eastwood einen Film über den beherzten Piloten gedreht. Tom Hanks übernimmt die Hauptrolle, die der Regisseur vor zehn Jahren vielleicht noch selbst gespielt hätte. Denn dieser Sully ist ein direkter Seelenverwandter jenes Walt Kowalskis, den Eastwood in seinem „Gran Torino“ verkörpert hat: Ein Mann, der mit seinen 58 Lebensjahren einiges an Berufs- und Lebenserfahrung gesammelt hat und gerade dadurch die notwendige Handlungskompetenz in dieser extremen Krisensituation besitzt.
Gerade einmal 208 Sekunden vergingen zwischen der Beschädigung der Triebwerke und der Wasserlandung, in denen Sullenberger und sein Co-Pilot Jeff Skiles (Aaron Eckhart) entscheiden und handeln mussten. Er und seine Crew hätten nur ihren Job gemacht, betont „Sully“ in Interviews immer wieder, und dahinter steht keine falsche Bescheidenheit, sondern eine charakterliche wie berufliche Integrität.
Aber die Ermittler des „National Transportation Safety Board“ sehen in der riskanten Wasserlandung paradoxerweise einen Fall von fahrlässigem Handeln. Aus den Daten der Ingenieure gehe hervor, dass die zweite Turbine noch funktioniert habe, und Flugsimulationen zeigen, dass eine vorschriftsmäßige Rückkehr und weitaus sicherere Landung auf dem Flughafen noch möglich gewesen wäre.
Eastwood zeigt seinen Protagonisten als Mann, der sich von den Vorwürfen durchaus verunsichern lässt und nach den Ereignissen an posttraumatischen Stress-Symptomen leidet. Das Feld zwischen Einhaltung professioneller Vorschriften und persönlicher Verantwortungsentscheidung wird hier auf sehr gründliche Weise untersucht, auch wenn der Film keinen Zweifel daran lässt, auf welcher Seite der Barrikade er sich befindet. Im öffentlichen Hearing, wo die Flugsimulationen mit den Tonaufnahmen aus dem Cockpit verglichen werden, dringt Eastwood zu seinem Kernkonflikt vor. In den exakten Berechnungen bleibt der menschliche Faktor außen vor, der in unserer durchdigitalisierten Welt ja gemeinhin nur noch als Risikogröße wahrgenommen wird. In diesem Fall hat jedoch genau dieser menschliche Faktor zu einer Entscheidung aus Gefühl, Erfahrung und Professionalität geführt, die das Leben von 155 Passagieren rettete.
Plädoyer für die Überlegenheit des Menschen gegenüber der Maschine
Letztlich hält Eastwood in „Sully“ ein Plädoyer für die Überlegenheit des Menschen gegenüber der Maschine, die mit ihren kommagenauen Risikokalkulationen unsere Entscheidungen zunehmend bestimmt und die Fähigkeit zu Eigenverantwortlichkeit beschneidet. Mit seinem Sully entwirft der Film einen Helden, der einen scheinbar antiquierten, persönlichen Verantwortungsbegriff erfolgreich vertritt und von Tom Hanks mit überzeugendem Understatement verkörpert wird. Sieht man von zwei überflüssigen Rückblenden ab, erzählt Eastwood seine Geschichte in einer spannenden, kompakten und schlüssigen Dramaturgie, die angenehm pathosreduziert daherkommt. Ein Film, der weiß, was er will und was er tut. Genau wie Sully. ****
Filmstart in vielen Kinos der Region
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