Live by Night in der Film-Kritik: Gangster im Schlingerkurs
Als Regisseur zeichnet Ben Affleck bei "Live by Night" ein Sittengemälde Amerikas unter der Prohibition. Allerdings vertraut er zu sehr auf den Schauspieler Ben Affleck.
Als Schauspieler wird Ben Affleck oft und gerne belächelt. Gerade erst wurde er für seinen Auftritt als Fledermausmann in „Batman vs. Superman“ als schlechtester Darsteller für die „Goldene Himbeere“ nominiert, die als Anti-Oscar traditionell einen Tag vor dem Academy-Awards-Spektakel verliehen wird. Als Regisseur hingegen ist Affleck ein hoch angesehener Mann. Seit dem Debüt „Gone Baby Gone“ besteht kein Zweifel an seinem filmemacherischen Talent und seiner Liebe zum traditionellen Genrekino, das er ganz gegenwärtig zu inszenieren versteht.
War das Erstlingswerk als düsterer Neo-Noir-Thriller angelegt, folgte mit „The Town“ ein stilvoller Bankräuberfilm mit beeindruckenden Action-Sequenzen. In „Argo“ belebte Affleck den guten, alten Politthriller neu und wurde prompt dafür mit drei Oscars ausgezeichnet. Auf den Wogen dieses Erfolges reist er nun in „Live by Night“ zurück in die 1920er-Jahre, um vor der einschlägig bekannten Kulisse der Prohibitions-Ära ein großformatiges Gangsterepos zu entwerfen.
Filmkritik: "Live by Night" zeigt Amerika unter der Prohibition
Dessen Held Joe Coughlin, der von Affleck selbst gespielt wird, versteht sich weniger als Berufskrimineller denn als Outlaw. Mit zwei Erkenntnissen kehrt der junge Mann von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges zurück nach Boston: Zum einen will er sich von keinem mehr etwas vorschreiben lassen, zum anderen glaubt er, im Krieg genug Menschen getötet zu haben. Mit kleineren Überfällen sichert sich Joe sein Grundeinkommen, bis er eines Tages in den falschen Laden hinein marschiert.
Die illegale Pokerrunde gehört nämlich zum Reich des irischen Mobsters Albert White (Robert Glenister), der ihn in ein Angestelltenverhältnis für sein kriminelles Unternehmen zwingt. Dass sich der Neue ausgerechnet in Whites Mätresse Emma Gould (Sienna Miller) verliebt hat, führt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber, die Joe zunächst ins Krankenhaus, später ins Gefängnis und schließlich nach Tampa bringen. Dort soll er für den italienischen Konkurrenten die Rum-Geschäfte neu ordnen und seinen Erzfeind White abdrängen.
Aus dem grauen Boston geht es ins sonnige Florida, wo der Film den Klimazonenwechsel in bunten Farben zelebriert. Hier sind nicht nur das Licht wärmer und die Straßen staubiger, sondern auch die Einwohner- und Kriminellenstruktur multikulturell durchmischt. Joe kommt mit den kubanischen Rum-Produzenten ins Geschäft, die in Tunneln unter der Stadt ihre Destillerien aufgebaut haben. Besonders ist er von deren Chefin Graciella (Zoe Saldana) angetan. Die multiethnische Geschäfts- und Liebesbeziehung ruft bald den Ku-Klux-Klan auf den Plan, dessen unberechenbares rassistisches Treiben mit den üblichen Bestechungsmethoden nicht unter Kontrolle gebracht werden kann.
Live by Night: Nebendarsteller spielen Ben Affleck an die Wand
„Live by Night“ nach dem gleichnamigen Roman von Dennis Lehane, der auch schon die Vorlagen für Afflecks „Gone Baby Gone“ und „The Town“ sowie für Clint Eastwoods „Mystic River“ lieferte, verfügt über einen ausufernden Erzählbogen, der das Amerika der Prohibition von Norden nach Süden vermisst und in den Gangsterkriegen auch die aktuellen Polarisierungen im Land durchscheinen lässt. Neben dem Ku-Klux-Klan werden die Mafia-Geschäfte auch von einer jungen Predigerin (Elle Fanning) durchkreuzt, die, nach Drogen und Prostitution zum Glauben bekehrt, gegen den Bau eines Kasinos zu Felde zieht. Aber im Gegensatz etwa zu Tarantinos „Django Unchained“ ist Afflecks Film kein politisches Statement-Entertainment.
Sein Held ist ein Mann von widersprüchlicher Moral und Integrität, der sich im kriminellen Schlingerkurs durch eine Welt aus Gewalt, Korruption und Rassismus bewegt. Das macht die Figur und den Film interessant, der durch überraschende Plotwendungen und Location-Wechsel immer neue Konfliktfelder eröffnet. Das große Problem von „Live by Night“ ist allerdings, dass Regisseur Ben Affleck zu großes Vertrauen in den Schauspieler Ben Affleck setzt. Ein episches Gangster-Sittengemälde, das nicht in der gleichen Liga, aber zumindest in derselben Disziplin wie „Der Pate“ mitspielen will, braucht einen charismatischeren Hauptdarsteller, als es Ben Affleck je sein wird.
Ihm fehlt schlicht die handwerkliche Bandbreite, die eine solch schillernde und ambivalente Rolle erfordert. Das fällt umso mehr auf, als Affleck ein brillantes Nebendarsteller-Ensemble um sich versammelt hat: Brendan Gleeson, Chris Cooper, Sienna Miller, Zoe Saldana, Elle Fanning liefern herausragende Leistungen ab – und spielen ihren Regisseur an die Wand.
Wertung: 3 / 5
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