Tod des kleinen Kevin schockierte vor zehn Jahren Deutschland
Er muss unvorstellbare Qualen erlitten haben: Vor zehn Jahren wurde die Leiche von Kevin in Bremen entdeckt - es offenbarte sich ein unbegreifliches Versagen des Staates.
Kevin wäre heute fast ein Teenager. Doch der kleine Junge aus dem tristen Bremer Stadtteil Gröpelingen wurde gerade mal zwei Jahre alt. Sein Martyrium erschreckte vor zehn Jahren ganz Deutschland. Die Leiche des Kindes wurde eingerollt in Teppich und Müllsäcke im Kühlschrank seines drogensüchtigen Ziehvaters entdeckt.
Unter anderem ein Untersuchungsausschuss und zwei Prozesse brachten das unvorstellbare Leid und die Schmerzen des Jungen ans Licht, aber auch ein schier unbegreifliches Versagen des Staates. Zögerliches Handeln, falsches Vertrauen und Fehleinschätzungen ließen das nur kurze Leben des Kindes zur Hölle werden. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss kam zu dem Ergebnis: Die Tragödie hätte verhindert werden können.
Als Polizisten Kevin am 10. Oktober 2006 aus der Wohnung des Ziehvaters holen wollen, weist dieser den Beamten mit einer stummen Geste den Weg zum Kühlschrank. Als Kevin gefunden wurde, war er schon Monate tot. Was in den letzten Wochen seines Lebens geschah, bleibt im Dunkeln. Doch die Obduktion lässt die Qualen und Schmerzen erahnen. An der Leiche werden rund zwei Dutzend Knochenbrüche festgestellt, ältere an Armen und Beinen, ein Schädelbruch und Verletzungen im Genitalbereich. Kurz vor dem Tod entstanden weitere Brüche, unter anderem eine Durchtrennung des Oberschenkelknochens.
"Kevin könnte noch leben"
"Kevin könnte noch leben, wenn man gehandelt hätte", hatte der damalige Ausschuss bilanziert. Der Amtsvormund des Jungen musste damals 240 bis 270 Kinder betreuen. Der zuständige Sozialarbeiter verließ sich auf Angaben Dritter. Nach dem Tod der drogenabhängigen Mutter blieb der Junge bei seinem nicht leiblichen Vater, obwohl es Hinweise auf Missbrauch gab. Der Mann wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu zehn Jahren Haft und der Einweisung in eine Entziehungsanstalt verurteilt. Er soll nach Polizei-Angaben nach dem Leichenfund gesagt haben: "Das Jugendamt trifft keine Schuld, ich bin das Schwein."
Ein Amtsvormund betreut nach einer bundesweiten Reform der Vormundschaft 2011 nach Angaben eines Sprechers von Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) heute weniger als 50 Kinder. Bremen hat nach der Tragödie immer wieder auf die Wichtigkeit des Kinderschutzes hingewiesen. Das Schicksal Kevins wurde in der Hansestadt für viele zum Alptraum. "Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat sie schützt", sagte der damalige Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD).
"Der Fall Kevin hat viele aufgeweckt", sagt der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. In vielen Städten und Kreisen habe der Fall zu einer verbesserten Personalausstattung in der Jugendhilfe geführt. Es habe zudem eine ganze Reihe von Gesetzesinitiativen gegeben. "Und zwar ist das Vormundschafts- und Betreuungsrecht geändert worden." Das sei im Juli 2011 in Kraft getreten. "Das hat zwar Jahre gedauert, bis sich die Politik dazu durchgerungen hat, aber der Fall Kevin war dafür sehr ausschlaggebend."
Für den kleinen Kevin kommt die Hilfe zu spät. Eine Erzieherin beschrieb den Jungen einmal als blasses, schwaches, ruhiges Kind, das auf seinen Unterarmen krabbelte. Ungewöhnlich an ihm war vor allem: "Er weinte lautlos." Auf dem Grabstein des Kindes steht schlicht: "Kevin 2006". Von Oliver Pietschmann und Elena Metz, dpa
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