Gespielte Eintracht in der Volksrepublik
China bekommt eine neue Regierung. Allerdings geschieht dies natürlich nicht durch Wahlen. Beim Parteitag der Kommunisten werden Konflikte nur durch kleine Gesten sichtbar
Die Illusion, dass in Chinas Kommunistischer Partei so etwas wie Harmonie herrschen könnte, hält an diesem Donnerstagmorgen eine knappe Minute: Um Punkt neun Uhr beginnt die Militärkapelle in Pekings Großer Halle des Volkes zu spielen und Chinas Führung betritt im Gänsemarsch die mit roten Fahnen geschmückte Bühne. Die 2300 Delegierten im Saal erheben sich und applaudieren brav. An der Spitze marschiert Parteichef Hu Jintao, gefolgt von seinem greisen Amtsvorgänger Jiang Zemin, dem das Laufen sichtlich schwerfällt. In der Mitte des Podiums lässt sich der 86-Jährige in seinen Stuhl fallen, doch als er sieht, dass alle anderen noch stehen, will auch Jiang sich schnell wieder erheben. Der 16 Jahre jüngere Hu streckt dem Alten hilfsbereit die Hand hin, aber der wedelt sie ärgerlich weg und wuchtet sich selber hoch. Die Blöße, sich vor aller Augen von Hu stützen zu lassen, will sich Jiang nicht geben.
Machtkampf zwischen Hu und Jiang
Hu und Jiang sollen sich in den vergangenen Monaten einen erbitterten Machtkampf geliefert haben, einen von vielen, die in der KP im Vorfeld des Parteitags ausgefochten wurden. Wer sich durchgesetzt hat, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen: Eine Woche lang will die Parteielite in Peking tagen und dann die neue Führungsriege vorstellen, die China dann zehn Jahre lang regieren soll. Dass Hu den Parteivorsitz an seinen bisherigen Stellvertreter Xi Jinping, der mit der im Land bekannten Volkssängerin Peng Li-yuan verheiratet ist, abgeben wird, gilt als sicher. Doch über andere Posten wird noch spekuliert. Nach der Verteilung der Parteiämter soll die „Fünfte Führungsgeneration“ im kommenden Frühjahr bei der Jahrestagung von Chinas Parlament, dem Nationalen Volkskongress, auch die Regierung übernehmen.
Neben der Inthronisierung der neuen Parteispitze geht es für die scheidende Führung vor allem darum, sich bei ihrem Abschiedsparteitag ihren eigenen Eintrag in die chinesischen Geschichtsbücher zu schreiben. In einer 100-minütigen Rede zog Hu Jintao am Donnerstag Bilanz und umriss die Aufgaben seiner Nachfolger. Auf dem „Weg des Sozialismus chinesischer Prägung“ habe das Land in den vergangenen Jahren große Erfolge erzielt und „neue Siege beim umfassenden Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand errungen“. Nun müsse es sich allerdings neuen Herausforderungen stellen, erklärte er. Die schwächelnde Wirtschaft müsse wiederbelebt, die Kluft zwischen Arm und Reich verringert und die Umwelt besser geschützt werden.
Hu warnt vor Korruption
Ausführlich äußerte Hu sich auch zur grassierenden Korruption, die im Vorfeld des Parteitages zu mehreren Skandalen geführt hatte. Der prominenteste war der Fall von Chongqings Parteichef Bo Xilai, der noch zu Jahresbeginn als gesetzter Anwärter auf einen Topposten gegolten hatte, nun aber wegen schweren Amtsmissbrauchs vor Gericht gestellt werden soll. „Wenn wir mit diesem Problem nicht gut umgehen, könnte es fatal für die Partei werden und sogar den Zusammenbruch der Partei und des Staates herbeiführen“, mahnte Hu in seiner mit monotoner Stimme vorgetragenen Rede. Zwar stellte der Präsident weitere Reformen in Aussicht. Einer grundlegenden politischen Erneuerung erteilte er aber eine Absage. China werde „niemals ein westliches politisches System kopieren“.
Von ihren sozialistischen Wurzeln hat sich die KP weit entfernt: Nur noch 40 Prozent der Mitglieder sind Bauern oder Arbeiter. Neue Mitglieder werden vorrangig bei den neuen Eliten aus Wirtschaft und Wissenschaft geworben. So versucht die Partei, alle wichtigen Entscheidungsträger an sich zu binden.
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