US-Rundreise: Darum haben diese Menschen Trump gewählt
Viele Menschen in Oklahoma oder Texas. haben vor drei Wochen Außenseiter Trump zum Präsidenten gewählt. Nur wegen ihrer Ferne zu den urbanen und politischen Eliten? Von wegen.
Beaver An der herbstlichen Ulme vor Kirk Fishers Jagdhütte baumeln drei Weißwedelhirsche. Die Saison hat gerade begonnen. Fisher selbst hat zwar kein Tier erwischt. Doch das ist jetzt seine geringste Sorge. Der 69-Jährige ist demokratischer Bürgermeister im republikanischen Oklahoma, neben West Virginia der einzige Bundesstaat, in dem alle Wahlkreise an Donald Trump gingen. Der 1500-Einwohner-Ort Beaver, aus dem Fisher in seine hügelige Idylle geflohen ist, liegt auch noch in einem der konservativsten Bezirke. 88,8 Prozent der Wähler in Beaver County haben für Trump gestimmt. „Ich war geschockt“, sagt Fisher, „aber ich habe gelernt, mich zurückzuhalten. Meine Jagdgenossen und ich klammern das Thema aus.“
In seinem Clan ist Fisher mit seinen Ansichten allein. Sohn Chad, 40, ein Futtermittel-Hersteller, kann Hillary Clinton nicht leiden. Und: „Einer unserer Einkäufer kennt Trump persönlich und hat nur Gutes über ihn zu berichten“, sagt er. Jagdfreund Miles Layne, 29, hat natürlich auch für den Unternehmer gestimmt, aber nicht an eine Chance geglaubt. „Donald Trump hat den Status quo der vergangenen 15 Jahre auf den Kopf gestellt“, sagt der Vermessungstechniker. „Und das gefällt mir auch jetzt noch sehr.“
Gut drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl sind nicht nur Trumps Gegner noch dabei, sich an die neue Realität zu gewöhnen. Dieselbe Bevölkerung, die ihn ins Amt gehoben hat, glaubt mehrheitlich nicht, dass er die nötigen Qualifikationen mitbringt. Mehrere Wahlversprechen hat Trump schon kassiert. Hillary Clinton will er nun doch nicht im Gefängnis sehen, die Gesundheitsreform doch nicht komplett kippen oder zur Verhörmethode Waterboarding doch nicht wieder zurückkehren. „Die Leute wollten Veränderung“, sagt Bürgermeister Fisher und seufzt. „Und Hillary Clinton war nun mal, was wir schon hatten.“
Meinungsforscher rätseln noch immer, ob die Angst vor Handelsverträgen oder Clintons E-Mail-Affäre den Ausschlag gegeben hat. Kommentatoren wiederum wundern sich, warum Trumps Basis gegen jetzige Kurskorrekturen nicht revoltiert. Wer sich in Fishers Gemeinde umhört, merkt schnell: Die Wahrheit ist komplizierter.
USA: Der Faktor Obamacare
Mindy Jo Lee hat vor ein paar Monaten außerhalb von Beaver eine kleine Bar eröffnet. Das Etablissement „Road House Cantina“ hat die Größe einer Doppelgarage; es ist das einzige in der Gegend. Die alleinerziehende Mutter fühlt sich auch sonst manchmal etwas verloren. „Die Menschen hier sind kleingeistig. Wenn Sie anders aussehen, eine andere Frisur oder eine Tätowierung haben, werden Sie schon schief angeschaut“, sagt die 35-Jährige. Das Gerede über illegale Einwanderung findet sie unsinnig: „Wenn ich Präsidentin wäre, würde ich die Grenze einfach öffnen.“
Lee will Flüchtlinge aufnehmen, Schulpläne reformieren und Lehrer besser bezahlen. Sie hat nicht umsonst zweimal Obama gewählt. Doch diesmal wählte sie Trump. „Seit der Gesundheitsreform sind die Versicherungsbeiträge für mich und meine zwei Töchter unbezahlbar geworden. Das war mein wichtigster Grund“, sagt Lee. „Zusammen wären es 800 Dollar, das sind 75 Prozent meines Einkommens.“ Lee hat Diabetes, ist selbst aber nicht versichert. „Die Strafgebühr kommt mich billiger.“
Seit der Einführung von „Obamacare“ ist die Zahl der Amerikaner ohne Krankenschutz stark gefallen. In kleineren Bundesstaaten und in solchen, deren republikanische Regierungen die Umsetzung erschweren, kam es aber zu einem Anstieg der Prämien, teilweise auch zu einem Rückzug von Anbietern. Die bisherige Frontstellung im Kongress hat Korrekturen verhindert.
Lee räumt ein, dass sie früher über einen Arbeitgeber versorgt war. Mit ihrer Vorerkrankung fände sie heute ohne Obamacare womöglich gar keine Police. „Aber ich hoffe einfach, dass Trump einen Weg findet. Er war meine zweite Chance, für ,Hoffnung‘ zu stimmen.“
Kneipengast Ivan Nevarec fährt wochentags Schweine aus und hatte vergangenes Jahr eine Knieoperation, die 12000 Dollar kostete. „Ich zahle 203 Dollar im Monat und habe eine Eigenbeteiligung von 9500 Dollar“, erzählt der 27-Jährige. Die Rechnung für sein Knie hätte er da auch gleich ganz bezahlen können. „Die Krankenversicherung trifft die Menschen jeden Tag“, sagt Nevarec. „Wenn Trump sonst nicht viel einhält, ist das den Menschen egal.“
Die 55-jährige Mary Ester Sallee auf dem nächsten Barhocker arbeitet im Postamt. „Ich war nicht so weit, für eine Frau zu stimmen“, gesteht sie fröhlich. „Na gut, Alaskas Ex-Gouverneurin Sarah Palin hätte ich vielleicht gewählt. Sie steht für Familienwerte, ist eine Jägerin, lebt nahe an Russland.“
Mit 54 Prozent hat Clinton landesweit unter Frauen zwar eine Mehrheit errungen. Unter weißen Wählerinnen im ländlichen Raum allerdings erhielt sie nur 34 Prozent, Trump dagegen 62. Kneipenwirtin Lee hat keine Probleme mit den sexistischen Sprüchen des Milliardärs: „Ich habe eine 16-jährige Tochter. Wenn ich der nicht erklären kann, dass Männer eben so reden, kann ich’s gleich lassen.“
Gebete in Schulen sind Lee wichtig, sie lebt im sogenannten Bibelgürtel der USA. Und das uneingeschränkte Recht auf Waffenbesitz: „Damit verteidigen wir uns hier draußen.“ Oklahomas Nordwesten wird auch „No man’s Land“ genannt, Niemandsland. Die historischen Gründe sind kompliziert. Lee fasst sie zusammen: „Weil es niemand wollte“, glaubt sie. „Flyover Country sind wir ja sowieso.“
Der verächtliche Ausdruck fürs Kernland zwischen den Küsten trifft schmerzlich genau das Gefühl der Millionen, die sich dort vom Kulturwandel übergangen fühlen. Fly-over Country heißt so viel wie Überflugszone. Die liberalen Eliten in New York und San Francisco setzen kaum einen Fuß auf diesen Boden.
Die 19-jährige Kellnerin Dolcey Cudd finanziert sich ihr Studium im Restaurant „Chapala“, in dem morgens die Rentner und mittags die Jäger den Herbstfrost mit heißen Omeletts bekämpfen. „Es ist wahrscheinlich unhöflich, das in einem mexikanischen Restaurant zu sagen“, sagt sie, „aber ich finde es gut, dass Trump Menschen loswerden will, die illegal im Land sind.“ Auch wenn die versprochene Mauer an der Grenze zu Mexiko nur ein Wahlkampfspruch gewesen sei. „Ich nehme ihm das nicht übel, wenn er solche Positionen jetzt aufweicht.“ Wichtiger sind Cudd andere Dinge: Kampf gegen Abtreibung, mehr Mut zum Einsatz des Militärs. „Außerdem ist Trump reich und erfolgreich, vielleicht kann er unser Land aus den Schulden führen.“
Oklahoma als Ganzes ist schwer zu schlagen mit seinen flächendeckenden Trump-Hochburgen. Die Bezirke mit der höchsten Zustimmungsrate der USA liegen allerdings im benachbarten Texas. Mehr als 90 Prozent hat Trump dort teilweise eingefahren. Das kleine King County hat die niedrigste Zahl an Clinton-Wählern im Land. Ganze fünf Bürger haben für die demokratische Bewerberin gestimmt, Trump kam auf 93,7 Prozent.
Der Bezirk hat weniger als 200 Wähler. Der Weiler Guthrie dient vor allem als Sitz der historischen Großranch Four Sixes (6666), die Marlboro früher für seine Zigarettenwerbung nutzte. Es gibt ein Gericht, eine Schule und einen kleinen Laden mit Zapfsäule. Zwischen Holzregalen aus dem 19. Jahrhundert hält eine Heizplatte Filterkaffee für Cowboys und Trucker warm.
Für Familie Green ist alles teurer geworden
„Fahren Sie nicht nachts, Sie sehen das Wild nicht kommen“, warnt Jamie Green, die in dem Geschäft Stiefel, Kartoffeln und Handschuhe verkauft. „Wenn Sie einen Unfall haben, bleiben Sie bis zum Morgen in Ihrem Wagen. Die Klapperschlangen sind überall!“
Jamies Mann versorgt 36 Quadratkilometer fremden Landbesitz, er ist viel unterwegs. „Wir müssen eine halbe Stunde fahren, um zu einem Lebensmittelladen zu kommen“, sagt Green außerdem, „und der ist dann teuer. Bis zum Walmart dauert es eine Stunde.“
Die zeitweise hohen Benzinpreise in den letzten Jahren haben den Greens zu schaffen gemacht. Auch die Krankenversicherung ist teurer geworden. Jamie Green, 56, hat vor allem aus wirtschaftlichen Gründen für Trump gestimmt. Ihr sei es unter republikanischen Präsidenten finanziell immer besser gegangen, sagt sie. An die Grenzmauer glaubt sie nicht; auch ihr geht es mehr um eine veränderte Grundeinstellung als um einzelne Wahlversprechen. „Kein Politiker kann alles umsetzen, was er vorhat. Aber Trump hat viel von dem ausgesprochen, was wir hier draußen denken.“
Mangelnder Respekt gegenüber der Polizei beispielsweise. „Obama hat eine Menge Rassismus erzeugt, er ist für all diese Aufstände verantwortlich“, sagt Green über den Streit um die staatliche Gewalt gegen Schwarze. „Diese Leute müssen ihre Lektion lernen – macht, was die Polizei sagt, dann werdet ihr auch nicht erschossen!“ Noch kann man in Guthrie die Schlüssel im Auto und die Haustür offen lassen. Dass Waffen vorrangig zur Selbstverteidigung benötigt werden, so weit soll es hier nicht kommen. „Wir brauchen sie zum Jagen und im Auto, gegen die Klapperschlangen“, sagt Green. „Und was das betrifft, hatten viele vor Clinton Angst.“
Wo die Schlangen sind, zwischen Baumwollfeldern und der Prärie, wartet ein Trupp Cowboys auf Trucks der Ranch Four Sixes. Sie machen eine Herde Angus-Rinder zum Abtransport fertig. Die Männer sind wortkarg. Auf die Frage nach ihrer Wahl schmunzeln die meisten und kauen auf Zahnstochern herum.
Erst Reggie Hatfield, der Boss der Cowboys, bricht das Schweigen, als er mit dem Pferdetransporter vorfährt. „Ich habe für Trump gestimmt, weil ich seine Politik unterstütze“, sagt der Mann knapp. „Jemanden, der zum Konservatismus zurückkehrt. Und auch wenn die Liberalen das anders sehen wollen: Das ist hier immer noch ein christliches Land.“
Der Vater zweier Söhne findet nicht, dass Trump seit der Wahl Rückzieher gemacht hat. „Ein paar Ankündigungen hat er schon vorher geändert. Der Rest ist mediales Geschwätz.“ Für Hatfield ist die Wirtschaft das dominierende Thema. Dann kommt der Kampf gegen Terrorismus. Dem Reporter gibt er einen markigen Spruch mit auf den Weg: „Wir können nicht jeden hier reinlassen. Aber machen Sie sich keine Sorgen – gegen Deutsche haben wir nichts.“
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